Süddeutsche Zeitung

Wintersport:Allein in Altenberg

Weltmeisterin Tina Hermann ist seit der Skeleton-WM vor einem Jahr isoliert im Team, weil sie am entlassenen Bundestrainer Dirk Matschenz festhält - der mittlerweile die Russen trainiert.

Von Thomas Gröbner, München/Altenberg

Es war ein einfacher Brief, der vor einem Jahr die Kluft aufriss im deutschen Skeleton, und der bis heute nachwirkt. Ein Papier, das alle deutschen WM-Starter - mit Ausnahme der Weltmeisterin Tina Hermann - unterzeichneten, und darin ein gestörtes Vertrauensverhältnis beklagten zum Bundestrainer Dirk Matschenz. Von einer Vorzugsbehandlung von Hermann war die Rede. Der Verband reagierte - und trennte sich von Matschenz. Obwohl die erfolgreichste Skeleton-WM der Deutschen nur wenige Wochen zurücklag. Doch die Medaillen konnte nicht überdecken, dass es im Team brodelte. Man habe die "Reißleine" ziehen müssen, hatte Sportdirektor Thomas Schwab begründet.

Hermann habe die Entlassung ihres Vertrauten "den Boden unter den Füßen weggezogen", erzählte sie damals, Tränen flossen. Die dreimalige Weltmeisterin vom WSV Königssee, gerade 28 geworden, dachte darüber nach, alles hinzuwerfen. Ohne ihren Trainer mochte sie nicht mehr weitermachen.

Matschenz, 41, war im April 2018 als Nachfolger des zurückgetretenen Jens Müller zum Cheftrainer aufgestiegen. Seit 2010 hatte der Thüringer im Trainerstab gearbeitet, so lange war er auch der Heim-Trainer und Vertraute von Hermann, dann auch noch Bundestrainer. Das ging nicht lange gut.

Um die Top-Fahrerin nicht zu verlieren, konnte man sich zu einem Arrangement durchringen: Hermann darf weiter mit Matschenz trainieren, von Material-Entwicklung und den Unterkünften ist sie jedoch ausgeschlossen. Ist Hermann mit an der Bahn, wird über Kufen und Schlitten geschwiegen. Bis zu den Olympischen Spielen 2022 soll das so bleiben: "Egal, wie schwer es wird", sagte Hermann zu Saisonbeginn.

Im Eiskanal ist man alleine, für Hermann gilt das Alleinsein aber auch außerhalb der Bahn, das musste sie schon beim Weltcup-Auftakt in Sigulda spüren. Dort wohnte sie in einer Ferienwohnung - und die deutsche Mannschaft im Hotel. Seitdem ist Hermann eine Einzelkämpferin. "Ich habe sehr gut alleine trainiert" sagte sie trotzig vor dem ersten WM-Lauf am Donnerstag in Altenberg. Die Beziehung zum deutschen Team? "Ganz normal", sagte Hermann, "alles so weit okay."

Geschmerzt hat Hermann, dass sie nicht an den Lehrgängen zwischen Weihnachten und Neujahr dabei sein durfte. Und klar, der Vergleich mit den Konkurrenten im deutschen Team fehlt ihr, mit Jacqueline Lölling (RSG Hochsauerland), Hannah Neise (Winterberg) und Sophia Griebel (Suhl). Aber dafür kann sie sich mit den russischen Startern messen, die auch dank Matschenz weiter aufgeholt haben. Die Olympia-Dritte Elena Nikitina zählt diese Woche zu den Favoritinnen, ebenso Olympiasieger Alexander Tretjakow bei den Männern.

Denn Matschenz hat inzwischen beim russischen Verband angeheuert, er soll besonders an den Schlitten tüfteln, er gilt als ausgewiesener Material-Experte. Der verfemte Ex-Bundestrainer schraubt jetzt für die Konkurrenz am Material und präpariert gleichzeitig die deutsche Weltmeisterin. Eine delikate Situation in einem Sport, in dem jeder versucht, seine Kufen-Geheimnisse zu schützen.

Auch die Österreicherin Janine Flock trainiert nicht mit ihrem Team

Querelen wie die um Hermann sind nicht ungewöhnlich für eine Individualsportart, in der zwar zusammen trainiert wird, aber am Ende jeder für sich fährt. Auch die Weltcup-Gesamtsiegerin Janine Flock hatte sich mit dem österreichischen Verband überworfen, weil sie sich von ihrem Lebensgefährten Matthias Guggenberger trainieren lassen wollte. Seit Guggenberger Chefcoach der Letten ist, trainiert Flock eben mit den lettischen Männern.

Nun kehrt der deutsche Tross zurück nach Altenberg, wo Hermann mit einem Urschrei ihren Triumph gefeiert hatte, und die Deutschen im vergangenem Jahr alle Titel abgeräumt hatten. "Ich gehe nicht davon aus, dass wir das wiederholen können", sagt der neue Bundestrainer Christian Baude, besonders der Dreifach-Sieg der Männer war eine Überraschung. Trotzdem, ein wenig Geld könnte man diesmal auf ihn wetten, fand Titelverteidiger Christopher Grotheer. Auf Alex Jungk wird dagegen niemand setzten, der WM-Zweite schaffte es nicht ins Aufgebot, er konnte sich nach Verletzungen nicht gegen den Juniorenweltmeisterschaftszweiten Felix Keisinger vom Königssee durchsetzen.

In Altenberg wird es wohl darauf ankommen, wer mit der enorm schnellen Bahn zurecht kommt. Schon im Training bewegten sich die Zeiten nahe am Bahnrekord, das Eis ist ungewöhnlich hart: "So kalt war es hier noch nie, da muss man schon die richtige Materialauswahl treffen" glaubt Hermann. Ein Fall für Dirk Matschenz also.

Hin und wieder kommt Tina Hermann dann doch im Hotel der Deutschen vorbei - aber nur, um sich vom Physiotherapeuten des Teams behandeln zu lassen. Über Kufen wird dabei nicht getratscht.

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