Winterspiele in Südkorea:Warum Russland gelassen bleibt

Winterspiele in Südkorea: Alexander Legkow (Mitte) jubelt über seine Goldmedaille in Sotschi - nun ist er wegen Dopings überführt und muss er sie zurückgeben.

Alexander Legkow (Mitte) jubelt über seine Goldmedaille in Sotschi - nun ist er wegen Dopings überführt und muss er sie zurückgeben.

(Foto: AP)
  • Der Langlauf-Olympiasieger Alexander Legkow wird wegen Dopings gesperrt.
  • Doch es deutet alles darauf hin, dass Russland bei den Winterspielen im Februar 2018 in Pyeongchang als geschlossene Mannschaft an den Start gehen darf.

Von Johannes Aumüller

Ein großes öffentliches Wehklagen hat eingesetzt in Russland. Die Langlauf-Chefin ist empört, der Sportminister, natürlich auch der Vize-Premier Witalij Mutko, und die vielen Gazetten sind es sowieso. Ein alarmierendes und verwunderliches Urteil sei die Dopingsperre der Langläufer Alexander Legkow und Jewgenij Below; eine Verschwörung zulasten der russischen Sportler. Doch in so manchem internen sportpolitischen Zirkel nehmen sie das Verdikt deutlich gelassener hin.

Am Mittwochabend hatte das Internationale Olympische Komitee (IOC) mitgeteilt, dass Legkow seine Medaillen von den Sotschi-Spielen 2014 (Gold über 50 Kilometer, Silber in der Staffel) zurückgeben muss und für künftige Spiele gesperrt ist. Gleiches gilt für Below. Vier weiteren Langläufern sowie Athleten anderer Sportarten droht in den nächsten Tagen die gleiche Sanktion. Aber dennoch wäre es falsch, aus diesem Urteil den Schluss zu ziehen, dass das IOC wegen des dokumentierten Staatsdopingsystems plötzlich besonders streng zu Russland wäre.

Mehr als 1000 Sportler sollen davon profitiert haben

Entscheidend ist nämlich nicht der Umgang mit einzelnen Sportlern, sondern der Umgang mit dem System als Ganzem. Und vieles deutet derzeit darauf hin, dass zwar einige Athleten Sanktionen erhalten, damit das IOC vorgeblich hartes Durchgreifen suggerieren kann - aber das System als Ganzes (nahezu) ungestraft davonkommt und Russland an den Winterspielen 2018 in Pyeongchang teilnehmen darf.

Im vergangenen Dezember hatte der kanadische Sonderermittler Richard McLaren seine Erkenntnisse über jahrelanges Staatsdoping in Russland präsentiert. Er war von der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) eingesetzt worden und er wies nach, wie unter Orchestrierung des Sportministeriums in Moskau ein Doping- und Manipulationssystem funktionierte, an dem auch der Geheimdienst, die Anti-Doping-Agentur (Rusada) sowie das Kontrolllabor in Moskau beteiligt waren.

Mehr als 1000 Sportler hätten davon profitiert, teilte McLaren mit. Darunter waren auch viele Medaillenanwärter für Sotschi; der Plan lautete, die Athleten zu dopen und deren schmutzige Urinproben während Olympia durch vorbereiteten sauberen Urin auszutauschen. Konkrete Doping-Nachweise für einzelne Athleten zu führen, war nicht McLarens Aufgabe, wie er betonte. Zudem lag das ja auch in der Natur des Systems, just diesen konkreten Nachweis schwer bis unmöglich zu machen.

Das IOC will erst im Dezember entscheiden

Das IOC gründete nach McLarens Report zwei Kommissionen, die bis heute arbeiten. Die eine soll sich unter Leitung des Schweizer Ex-Politikers Samuel Schmid um die Prüfung des ganzen Systems kümmern; die andere, geführt von IOC-Mitglied Denis Oswald, um 28 einzelne Athleten, die in Sotschi profitiert haben sollen.

Dazu zählen die Fälle von Legkow und Below, deren Resultate nun als erste bekanntgegeben wurden - und bei denen das IOC sich als strenger Richter gab. Der Anwalt der Athleten, der Bochumer Christoph Wieschemann, erhebt schwere Vorwürfe. Es sei ein Urteil "ohne Beweise". Die Oswald-Kommission habe keine zusätzlichen Ermittlungen und Erkenntnisse präsentiert. "Das Urteil stand fest, bevor wir den Gerichtssaal betreten haben. Das ist doch ein politisches Urteil", sagt Wieschemann und kündigt den Gang vor den Internationalen Sportgerichtshof (Cas) an. Ein Protest dort erscheint aufgrund der derzeitigen Faktenlage nicht aussichtslos. Und im Zweifel könnte das IOC so tun, als habe es sein Bestmögliches getan, sei aber von der Sportjustiz gebremst worden.

Maßgeblicher als der Umgang mit einzelnen Athleten ist ohnehin die Frage, wie das IOC auf das dokumentierte Dopingsystem als Ganzes reagiert. Hier ist die Beweislage viel klarer als in den Einzelfällen der Athleten - und indem das IOC die beiden Langläufer sperrt, gesteht es das indirekt ja auch ein. Logisch wäre daher, wie es viele Anti-Doping-Kämpfer und Sportjuristen fordern, einen Betrug des Systems auch mit einer Strafe für das System zu beantworten: also mit einem Komplettausschluss Russlands von den Spielen.

Bach lotste Russland zu den Rio-Spielen

Dafür bräuchte das IOC nur gemäß seiner Charta das nationale russische Olympische Komitee (ROC) zu suspendieren. Leichtathleten und Paralympier hatten aufgrund der Beweislage auch einen Komplettbann durchgesetzt, sogar abgesegnet vom Cas. Womöglich ließe sich gar eine Tür öffnen, wie einzelne russische Athleten unter neutraler Flagge an den Spielen teilnehmen könnten, aber das klare Signal einer Suspendierung wäre: keine russische Hymne, keine russische Fahne, kein Staatsdoper Russland bei den Spielen. Das würde Russland und seine Polit-Führung, die den Sport so gerne für ihre Zwecke nutzt, weitaus mehr treffen als die Disqualifizierung einzelner Athleten, und seien sie noch so prominent wie Langläufer Legkow.

Doch nach einer solchen Ausschluss-Strafe sieht es nicht aus - so wie schon bei den Spielen 2016 in Rio de Janeiro. Damals lag ein erster Report McLarens vor, der sogar nachwies, dass Mitglieder des ROC-Führungskreises in das System involviert waren. Aber das IOC unter Leitung von Thomas Bach lotste Russland trotzdem zu den Spielen. Die Bande zwischen Moskau und der Sportführung sind traditionell eng, das hilft in solchen kniffligen Momenten.

Die Schmid-Kommission will trotz der seit einem Jahr klaren Faktenlage erst in den nächsten Wochen Ergebnisse vorstellen, das IOC im Dezember entscheiden. Zu den vielen Forderungen nach einem Ausschluss hieß es nach dem jüngsten "Olympic Summit", einer Zusammenkunft wichtiger Figuren der olympischen Welt unter Bachs Leitung, in einem Statement: Diese seien zum jetzigen Zeitpunkt "nicht akzeptabel".

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