Windsurf-WM:Geschöpf der Freiheit

Philip Köster ist der beste Surfer, den Deutschland je hatte: Auf Sylt kann er zum vierten Mal Windsurf-Weltmeister werden. Der 23-Jährige profitiert von einer speziellen Biografie. Und einer heilsamen Zäsur.

Von Thomas Hahn, Westerland

Philip Köster Windsurfprofi Wave World Champion PWA World Tour 2011 2012 2015 Aerial auf der Wel

Spiel in den Wogen: Philip Köster, hier bei der World Tour in Australien, kennt seit seinem achten Lebensjahr die Launen der Meere.

(Foto: Reemedia/imago)

Auf Sylt jubeln sie schon, obwohl noch kein Brett offiziell zu Wasser gegangen ist. Das Sportprogramm des Windsurf-Weltcups am Brandenburger Strand von Westerland beginnt erst an diesem Samstag, aber dass in der Wettkampfwoche bis 8. Oktober alles gut wird, steht so gut wie fest. Der Wetterbericht verheißt straffen Südwind, die perfekte Voraussetzung für eine ansehnliche Show. Und auch für Philip Köster, 23, den dreimaligen Weltmeister und Deutschen mit spanischen Wurzeln. Straffen Südwind und hohe Wellen mag er sehr. Er könnte je nach Wetter am Montag oder Dienstag zum vierten Mal Weltmeister in der Windsurf-Disziplin Wellenreiten werden - obwohl er gerade erst eine heftige Verletzungsgeschichte abgeschlossen hat. Köster lächelt. "Es gehört sehr viel Glück dazu", sagt er, "mit dieser Wettervorhersage werden wir sehr viel Glück haben."

Philip Köster ist wieder in seinem Element. Es muss schlimm gewesen sein für ihn, monatelang ein schwer verletztes Knie mit sich herumschleppen zu müssen und nur aus der Ferne betrachten zu können, wie der Wind die Segel der anderen bläht. In seinem Alltag als Windsurf-Profi ist es ihm manchmal schwer gefallen, jeden Tag aufs Wasser zu gehen, das hat Philip Köster neulich im Interview mit dem Portal der Sportartikelmesse Ispo zugegeben. Die Routine nagte an seiner Leidenschaft. Aber als dieser Alltag unterbrochen war, spürte er, was ihm fehlt, wenn er nicht raus kann. Er schaute Wettkämpfe im Live-Stream an und stellte fest, dass das keine gute Idee war, "weil es besonders weh getan hat, nicht selbst dabei zu sein". Und am Strand sprang ihn das Verlustgefühl erst recht an. "Ich habe den anderen sehnsüchtig zugeschaut und Videos von ihnen mit einer Drohne gemacht." Es war für Philip Köster, als würde er vor dem Schaufenster seiner Bestimmung sitzen.

Windsurf World Cup auf Sylt Philip Köster, 23

Will den vierten WM-Titel: Philip Köster, 23, dreifacher Windsurf-Weltmeister.

(Foto: Christian Charisius/dpa)

Philip Köster gehört aufs Meer, in die Wellen, in den Wind. Er ist in gewisser Weise dort hineingeboren worden als Kind eines Hamburger Paares, das auf Gran Canaria 1980 eine Surfschule aufmachte. Fast möchte man sagen, Köster ist ein Windsurf-Wesen. So sehr ist er gewachsen an seinem Sport, dass dieser sein natürlicher Lebensraum geworden ist. Das beweist auch sein Comeback, denn es verläuft auf fast unwirkliche Weise reibungslos. Eine schwere Verletzung kann eine bittere Zäsur sein. Sie schlägt eine Schneise in die Sportler-Karriere, und ob danach alles so ist wie zuvor, kann im ersten Moment keiner sagen. Bei Köster weiß man das jetzt. Die Verletzung ist keine bittere Zäsur, eher eine heilsame.

Zehn Monate währte seine Wettkampfpause, nachdem er sich 2016 bei einem Sechs-Meter-Sprung Kreuzband, Innenband und Meniskus kaputtgemacht hatte. Zehrendes Aufbautraining bestimmte seine Tage. Und als er wieder fit war, war zunächst nicht klar, ob er gleich zum Weltcup-Auftakt vor Pozo Izquierdo auf seiner spanischen Heimatinsel Gran Canaria einen Start wagen dürfe. Er durfte und nahm den Wettbewerb ohne große Erwartungen in Angriff.

Der Wind war gut zu ihm. Köster bewegte sich so gewandt durch die Wellen, als wäre er nie verletzt gewesen. Er gewann. Spaniens Weltmeister Victor Fernandez Lopez gratulierte, und alle sahen: Philip Köster, der Surfmensch, hatte nichts verloren von seiner Selbstverständlichkeit beim Spiel in den Wogen. Auch den zweiten Weltcup der Saison auf Teneriffa gewann er. "Absolut beeindruckend", sagt Kösters Kollegin Lina Erpenstein, 20, derzeit Vierte der Weltcup-Rangliste. Philip Köster selbst sagt etwas ungläubig: "Es hat irgendwie sehr gut geklappt."

Eine Pause kann auch ein neuer Start sein. So sieht Köster das jetzt. Die Motivation frischt auf nach der ersten richtig langen Pause der Karriere. Trotzdem wird Philip Köster erleichtert sein, dass alles so gut klappt. Und nicht nur er. Denn Köster, groß gewachsen, stämmig, gewinnendes Lachen, ist so etwas wie der Marketing-Heilsbringer für eine ganze Branche. Köster ist der beste Surfer, den Deutschland je hatte, eine Art Geschenk, welches der Atlantik zutage gefördert hat nach einer mutigen Auswanderer-Geschichte. Schwer zu sagen, ob Köster auf deutschen Gewässern auch das geworden wäre, was er heute ist. Wahrscheinlich nicht, und deshalb ist er der leibhaftige Glücksfall für eine Industrie, die in Deutschlands reicher Freizeitgesellschaft einen sehr starken Absatzmarkt hat, aber trotz der Nord-und Ostseeküste kein perfektes Zuhause. Sylt ist zwar ein guter Standort für den Weltcup und auch für die vielfältigen Urlaubsfreuden des Wassersports. Aber den Charme spanischer Sonneninseln kann nicht einmal Nordfrieslands berühmtestes Eiland bieten. Und das Talent, das den sehr guten Surfer vom Ausnahme-Surfer unterscheidet, schärft sich eben erst, wenn der Sommer am Meer lang und groß ist.

Eine Identifikationsfigur wie Köster kann kein Sportfördersystem basteln. Die komplexen Bewegungsabläufe auf dem Brett, das Gespür für das Segel im Wind, den Blick für die Wellen - das alles ist keine Wissenschaft fürs Leistungssportlabor. Dazu braucht man das Meer mit seinen Launen, am besten jeden Tag. Köster ist einer der sehr wenigen Deutschen, die das von den ersten Jahren seines Lebens an hatten. Mit acht stand er zum ersten Mal auf dem Surfbrett, sein Elternhaus lag beim Strand. Er ist das Geschöpf einer Freiheit, die sich kaum einer nehmen kann. Es wäre nicht nur für ihn selbst tragisch gewesen, wenn der Kreuzbandriss seine Begabung nachhaltig angegriffen hätte.

Und nun? Wird das wirklich was mit dem vierten WM-Titel an dem Ort, an dem er 2011 als 17-Jähriger seine erste Weltmeister-Würde errang? Auf Sylt reden viele schon so, als wäre das im Grunde nur noch eine Formalie. Köster selbst zuckt mit den Schultern. "Ich höre gar nicht so richtig zu", sagt er. Von der Nordsee vor Sylt weiß man nie so ganz genau, was man zu erwarten hat. "Die Welle ist unberechenbar", sagt Köster. Aber er schaut auf den Wetterbericht und weiß: Seine Chancen nach der langen Auszeit stehen ganz gut.

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