Wimbledon:Vom Wüstenbussard, der Queen und einem schwarzen BH

Wimbledon ist wie die Oscarverleihung, gepaart mit den Grammy Awards und dem Nobelpreis - nur etwas spektakulärer. Ein Wegweiser durch das speziellste Tennisturnier der Welt.

Von Gerald Kleffmann

13 Bilder

The Boodles Tennis Event

Quelle: Jordan Mansfield/Getty Images

1 / 13

Vom 27. Juni bis 10. Juli finden zum 130. Mal die Wimbledon Championships statt. Das dritte von vier Grand-Slam-Turnieren ist die speziellste und renommierteste Veranstaltung im Tennis. Man kann sich das Ganze wie eine Oscarverleihung, gepaart mit den Grammy Awards und der Nobelpreisüberreichung vorstellen, nur etwas spektakulärer vielleicht. Das Wichtigste zu diesem Anlass von A bis Z.

A - Auslosung: Es gibt keinen Konfettiregen wie beim Fußball, nicht mal Ex-Spieler oder Ex-Spielerinnen fungieren als Loszieher. Es wird nur ausgelost. Ein Computer übernimmt das Prozedere. Fand am Freitag vor Turnierstart statt. Beginn 10 Uhr. Kurz darauf war alles vorbei. Herrlich effektiv.

B - Boris Becker: Gewann drei Mal, sein erster Triumph 1985 als 17-jähriger Jung Siegfried mit roten Haaren war die deutsche Mondlandung. Hat Becker selbst so gesagt. Der Centre Court ist sein Wohnzimmer. Hat er auch so gesagt. Heute trainiert Becker den Weltranglisten-Ersten und Titelverteidiger Novak Djokovic aus Serbien. Gibt keinen besseren Wimbledondeuter als ihn. Deshalb liebt ihn die BBC.

Aerial Views Of The London 2012 Olympic Venues; Wimbledon

Quelle: Getty Images

2 / 13

C - Church Road: die berühmteste Straße während des Turniers. Erschließt sich allein schon aus der Anschrift des Turniers - Church Road, Wimbledon, London SW19 5AE.

D - Debentures: Die Schuldverschreibungen, alle fünf Jahre aufgelegt, ermöglichen es der All England Lawn Tennis Ground Gesellschaft, die die Anlage besitzt, Geld einzutreiben. Wird nicht zum Zocken verwendet, sondern in Umbauten und Renovierungen investiert. 2016 wurden 2500 Anteile offeriert, deren Erlöse für den Centre Court verwendet werden. 50 000 Pfund musste man locker machen. Dafür gibt's Kartengarantien für einen Sitz auf dem Hauptplatz.

Wimbledon Winner Andy Murray Photocall; Wimbledon

Quelle: Getty Images

3 / 13

E - Entry List: Wer es schafft, in Wimbledon auf einer der Listen zu stehen, die alle teilnahmeberechtigten Spieler benennen, hat sein Leben lang etwas zu erzählen. Anders als etwa beim Masters im Golf, das ein Einladungsturnier ist und Einladungen verschickt, macht Wimbledon kein Remmidemmi um die Entry List. Wer sich qualifiziert, ist qualifiziert. Herrlich transparent.

F - Fred-Perry-Statue: Wer nach Wimbledon fährt, stellt sich vor die Fred-Perry-Statue. Dadurch beweist man Tennissachverstand. Perry war in den Dreißigerjahren einer der besten Spieler der Welt und siegte dreimal in Wimbledon (zweimal im Finale gegen Gottfried von Cramm). Seine Statue steht rechts bei Gate 5, gleich hinter dem Centre Court.

The Championships - Wimbledon 2009 Day Seven; Wimbledon

Quelle: Getty Images

4 / 13

G - Geräusche: Sind hier anders. Der Klub klingt nicht nach Klub, Tennis nicht nach Tennis. Die Anlage klingt nach royalem Picknick im Grünen. Fröhlich-distinguiert. Andy Murray, schottischer Wimbledonsieger 2013, sagte jüngst schön in einem PR-Filmchen für Wimbledon: "Der Centre Court ist nicht immer der lauteste, aber er fühlt sich am lautesten an - weil die Stille, wenn du spielst, so unglaublich ist. Die Zuschauer machen nicht ein einziges Geräusch, wenn du deine Punkte spielst. Die Stille hat eine unglaubliche Intensität."

H - Hawk: Rufus ist ein Wüstenbussard ("Harris Hawk"), der so trainiert wurde, dass er über der Anlage seine Runden fliegt und Tauben verjagt. Macht einen echt guten Job. Malus: Hat nach SZ-Informationen für den Brexit gestimmt. 2012 gab es mal ein bisschen Aufregung, weil Rufus selbst den Exit suchte - und verschwand. War dann aber wieder da und alles gut. Rufus hat eine angenehme Arbeitsschicht. Morgens gegen 9 Uhr hebt er ab. Wenn die Spiele später beginnen, kann er sich entspannen.

The Championships - Wimbledon 2011: Day One; Wimbledon

Quelle: Getty Images

5 / 13

I - Isner: Der amerikanische Profi John Isner hat mit dem Franzosen Nicolas Mahut Tennisgeschichte geschrieben. 2010 duellierten sich die beiden auf Court 18, ein schöner Nebenplatz mit ein paar Tribünenplätzen. Die Partie ging über drei Tage, dauerte 11:05 Stunden und benötigte 123 Bälle. Die ersten vier Sätze endeten 6:4, 3:6, 6:7, 7:6 aus Sicht von Isner, der den fünften und entscheidenden Satz gewann - mit 70:68. Ein Schild mit einer Gravur erinnert heute noch an dieses unvergleichliche Match.

J - Jahr 2003: Damals verfügte der Duke of Kent, zugleich Club-Präsident, dass die Spieler sich nicht mehr vor Mitgliedern des Königshauses, die in der Royal Box sitzen, verbeugen müssen. Ausnahme: Bei der Queen und dem Prinz of Wales wird sich noch verbeugt. 2012 schaute Prinz Charles auf einen Sprung vorbei, und Roger Federer wurde gebeten, den Bückling zu machen. "No problem", sagte Federer.

Eugenie Bouchard of Canada reacts during her match against Ying-Ying Duan of China at the Wimbledon Tennis Championships in London

Quelle: REUTERS

6 / 13

K - Kleiderordnung: 1963 wurde bestimmt, dass die Spielkleidungsfarbe vorherrschend weiß sei. 1995 wurde diese Regel verschärft, in "fast ganz in Weiß". Jeder weiß Bescheid, doch trotzdem gibt es jedes Jahr kleine Debatten, die ganz groß werden. Eugenie Bouchard, Finalistin 2014, hat 2015 einen schwarzen BH getragen (im Bild ist ein schwarzer Träger an ihrer Schulter zu erkennen). Kam nicht gut an beim Schiedsrichter, gab eine Verwarnung. Man kann Wimbledon nicht austricksen. Auch auf die Farben der Socken, Stirnbänder und Schuhe gilt es zu achten. Aufreger diesmal vorab: Ein Einkleider hat seine Kollektion, die bereits an Spieler ausgehändigt war, zurückgerufen. Man sah zu viel Haut. Kostenlos wurden Röckchen und Shirts verlängert.

L - Lohn: Wimbledon lohnt sich für die Teilnehmer. Das Preisgeld wird gerne jedes Jahr angehoben. Man will der Welt zeigen, dass man das beste Turnier ist und die Spieler als Hauptakteure entsprechend entlohnen. Hat Wimbledon-Chef Philip Brook letztes Jahr der SZ verraten. Diesmal beträgt der Anstieg fünf Prozent. 28,1 Millionen Pfund werden verteilt. Männer und Frauen erhalten das Gleiche. Schon Erstrundenverlierer nehmen 30000 Pfund mit.

The Championships - Wimbledon 2013: Day Five; Wimbledon

Quelle: Getty Images

7 / 13

M - Medien: Mehr als 3200 Medienmenschen werden jedes Jahr akkreditiert. 600 für die Presse, knapp 2500 fürs Fernsehen und den Hörfunk, 200 Fotografen liefern Fotos.

N - Non Ticket Holders' Entrance: Die berühmte Queue endet an Gate 3, dem Eingangstor 3, natürlich erhält man nicht einfach im Glücksfall sein Ticket und sprintet los. Ehrenamtliche Helfer halten ein Seil, hinter dem sich die erste Reihe der Tageskartenkäufer befindet. Dann marschieren sie alle gemächlich wie Wanderer auf dem Jakobsweg los, bis sich alle mehr und mehr verteilt haben auf der Anlage. Rennen ist verboten. Gibt sonst Ärger.

The Championships - Wimbledon 2010: Day Three; Wimbledon

Quelle: Getty Images

8 / 13

O - Official Supplier: Auffallend ist, dass die Plätze nicht mit Werbebanden zugeballert sind. Herrlich. Auch deshalb wirkt dieses Turnier reiner, authentischer. Geworben wird trotzdem. Wer sich Official Supplier nennen darf, ist stolz. Die Offiziellen Unterstützer sind auch eine Art furchtbar elitärer Klub, und ob ihr Engagement den Absatz eigener Produkte fördert, ist unklar. Klar ist: Wer drin ist, will nicht raus. Die längste Partnerschaft besteht mit der Ballmarke Slazenger. Sie begann 1902. Damit ist diese Allianz die längste auf diesem Gebiet im Sport. Für die, die kein Zeitgefühl haben: Damals wurde noch nicht mal getwittert.

P - Pimm's: Kultgetränk, das alkoholhaltig ist, was manchmal Besucher zu vergessen scheinen. 80 000 dieser würzigen Liköre auf Gin-Basis werden jedes Jahr getrunken. Fürs Wimbledon-Flair im Wohnzimmer - hier das Rezept zum Nachmixen: vier Teile Ginger Ale, zwei Teile Pimm's Cup No. 1, eine Gurkenscheibe, eine Zitronenscheibe, eine Orangenscheibe, ein Minzzweig. Für die, die nicht gern mixen: geht auch ohne Minzzweig.

The Championships - Wimbledon 2011: Day Three; Wimbledon

Quelle: Getty Images

9 / 13

Q - The Queue: Berühmteste Kartenanstehschlange der Welt. Hier hoffen Fans, die keine Tickets haben, noch kurzfristig welche zu bekommen. Dafür stehen sie langfristig an, meist über Nacht. Nachteil: Der Rücken schmerzt vom Stehen oder schlafen auf dem Boden, und die Zelte halten nicht immer den Regen ab. Vorteil: Die Stimmung ist Woodstock-haft. Ohne Janis Joplin, aber mit viel peace. Strenge Regeln gibt es trotzdem. So dürfen die Kartenkäufer nur Taschen in den Maßen 40x30x30cm auf die Anlage mitnehmen. Also: abmessen!

R - Rasenlänge: Nicht sieben Millimeter, nicht neun. Acht sind es. Und täglich wird nachgemäht. Wer sich einen Wimbledonplatz in den Garten bauen will: Die verwendete Sorte nennt sich Rye Grass - Weidelgras.

The Championships - Wimbledon 2012: Day Four; Wimbledon

Quelle: Getty Images

10 / 13

S - Strawberries: Die Erdbeeren sind das, was Bier auf dem Oktoberfest ist. Teuer, lecker, Pflicht. Und die Besucher kommen dieser Pflicht nach. Rund 28 000 Kilo werden jedes Jahr verputzt, dazu 7000 Liter Sahne. Die Sorte: Grade I Kent Strawberries. Werden erst am Vortag gepflückt, um Frische zu garantieren. Bei der Erdbeere kennt der Engländer keinen Spaß.

T - Trophäen: Der Sieger im Männer-Einzel erhält seit 1887 den Challenge Cup, die Siegerin seit 1886 die Ladies' Singles Plate. Beides optisch stilvoll, wenn auch nicht so pompös wie der Stanley Cup in der NHL. Pompös soll's hier eh nicht sein. Subversiv elitär reicht.

The Championships - Wimbledon 2010: Day Six; Wimbledon

Quelle: Getty Images

11 / 13

U - Unterkünfte: An keinem Turnierort mieten derart viele Spieler private Wohnungen an. Weil hier ganze Häuser angeboten werden, die viel Charme besitzen und in der Nähe sind, verzichten die Profis auf die sonst üblichen Edelhotels. Da längst auch Trainer, Betreuer und Familienangehörige so untergebracht werden, ist der Markt an frei verfügbaren und bezahlbaren Häusern überschaubar. Bed & Breakfast ist eine Alternative. Notfalls ziehen die Besitzer für zwei Wochen zu den Eltern aufs Land, um das Geschäft mitzunehmen.

V - Verkauf: Selbstverständlich wird viel Gedöns angeboten, das irgendwie mit Wimbledon zu tun hat, und auch viel ansehnliche Sportkleidung. Kostet dementsprechend. Renner 2015: 19 500 Handtücher (Männer-Einzel-Kollektion) wurden gekauft. Und sonst: Tennisballschlüsselanhänger (11830), Frauen-Einzel-Handtücher (9500), Zweierpack Schweißbänder (8352), Schläger-Schlüsselanhänger (7553).

The Queen Attends The All England Tennis Championships At Wimbledon; Wimbledon

Quelle: Getty Images

12 / 13

W - Wetter: Bietet stets Anlass zu Smalltalks. Warum, lässt sich an einer Statistik gut erkennen. Nur in diesen Jahren gab es keine Regenunterbrechungen: 1922, 1931, 1976, 1977, 1993, 1995, 2009 und 2010. Worüber man in jenen Jahren geredet hat, ist bis heute unklar. Das Wetter kann nicht das Thema gewesen sein. Gab ja keins.

X - Das einzige X, das in Wimbledon eine Rolle spielt, steht an einem Wortende. Dieses Wort ist ein prächtiges USP (Alleinstellungsmerkmal): Royal Box. Hier, im elitärsten Zuschauerbereich der Sportwelt, sitzen nur Könige, Fürsten, Wirtschaftsgrößen, Schauspieler, Ex-Champions. Bewerbungen zwecklos. Man wird gefragt. Der beliebteste Gast in dem mit 74 Rattanstühlen bestuhlen Areal: die Queen natürlich. Viermal war sie da, 1957, 1962, 1977, 2010. Zur Tradition gehört jedes Jahr die Debatte: Kommt sie? Selbst wenn himmelweit klar ist, dass sie nicht kommt.

Wimbledon Championships; Wimbledon

Quelle: Getty Images

13 / 13

Y - Buchstabe in Wimbedounyng: So hieß einst Wimbledon. Ist eine Weile her. Edgar hieß der König, der anno 967 ein Dokument abzeichnete, in dem von dem Dorf Wimbedounyng die Sprache war. Edgar wurde "der Friedfertige" genannt, was ihn nicht davon abhielt, Befehle zum Rummetzeln zu erteilen. Hat aber nichts mit dem Tennisturnier zu tun.

Z - Zuschauer: Auf der Anlage können sich auf einmal 39 000 Menschen aufhalten. Einer der stimmungsvollsten Orte ist der Henman Hill hinter Court No.1. Eigentlich heißt der Hügel Aorangi Terrace, aber als der Brite Tim Henman spielte (und trotz vier Halbfinals nie gewann) und wegen ihm die Fans Parties vor der riesigen Videoleinwand veranstalteten, hat sich der neue Name weitgehend eingebürgert. Am schönsten gelingt das Erlebnis mit einem Sandwich in der Hand und einem Pimm's in Griffweite.

© SZ.de/schm
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: