Kerbers Aus in Wimbledon:Es bleibt immer noch Paris

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„Ich bin fast gar nicht in meinen Rhythmus gekommen“: Angelique Kerber haderte mit ihrem frühen Aus in Wimbledon, aber nur kurz. (Foto: Henry Nicholls/AFP)

Zum achten Mal in dieser Saison misslingt Angelique Kerber das Auftaktmatch eines Turniers. Sie ringt weiter um die Form früherer Tage. Nach dem Aus in Wimbledon setzt sie nun auf Olympia – im Einzel und im Doppel mit Laura Siegemund.

Von Gerald Kleffmann, London

Angelique Kerber mag drei Grand-Slam-Titel errungen haben im Verlaufe ihrer wechselhaften, in Summe beispiellos erfolgreichen Karriere; sie hat Olympia-Silber gewonnen, war Weltranglistenerste, in ihren besten Phasen hat sie gar alte Gefühle in Tennisdeutschland geweckt, die seit Boris Beckers und Stefanie Grafs Zeiten als verschüttet galten – doch eines hat sich bis zu diesem Tag im All England Club nicht geändert: ihr leerer, leicht glasiger Blick, wenn sie verloren hat.

Da saß sie also im Medienraum 2, es war der Dienstagabend, vor gut einer Stunde war sie vom Court 12 geschlichen, nach einem 5:7, 3:6 gegen die kleine, nicht nur spielerisch giftige Kasachin Julia Putinzewa – und ein bisschen war es wie früher, als sie auch mal hier und da zu früh ausgeschieden war. In Wimbledon, man glaubt es kaum, war ja vorher schon dreimal in der ersten Runde für sie Schluss gewesen (2007, 2008, 2011). „Ich bin fast gar nicht in meinen Rhythmus gekommen“, sagte Kerber in der ihr eigenen knappen Art, und: „Natürlich ist man enttäuscht, ich habe mich so gut es geht vorbereitet, und ich habe mich auch gut gefühlt“, und: „Wenn es dann nicht klappt und man zu viele leichte Fehler in den wichtigen Momenten macht, dann hilft das natürlich nicht.“

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Kerber schaute bei diesen Worten einmal in die Ferne, als säße sie nicht in diesem beengten Zimmer, sondern irgendwo am Meer. Aber nur kurz, denn in dieser Phase ihres Weges ist einiges wiederum sehr anders: Mutter ist sie nun, liiert, finanziell aus dem Gröbsten raus mit allein 30 Millionen Euro gewonnenem Preisgeld (vor Steuern natürlich). Vor allem ihr Töchterchen gibt Kerber eine andere Perspektive auf ihr sportliches Wirken, und so resümierte sie, bezeichnend im Moment des Scheiterns, in dieser für sie speziellen Saison mit fester Stimme: „Es tut nicht mehr zwei, drei Tage weh, sondern nur ein paar Stunden.“ Sie lächelte dabei.

Zu Jahresbeginn war Kerber zurückgekehrt auf die Tennistour, nach ihrer Schwangerschaft und der Geburt von Liana. Offiziell hatte sie verständlicherweise nicht die höchsten Erwartungen; andererseits war und ist sie eben Kerber, eine Profiathletin, die sich den Ruf verdient hat, eine der zähsten Comeback-Spielerinnen zu sein. Sie konnte schon immer, im Kleinen, Partien drehen, die Australian Open 2016 gewann sie nach Abwehr eines Matchballs in der ersten Runde – das erzählt alles über ihren Spirit auf dem Platz. Und, im Großen, konnte sie Rückschläge und Verletzungen oft genug überwinden und gestärkt aus Auszeiten hervorgehen. Nun, nachdem sechs Monate ins Tennisland 2024 gezogen sind, hat sich jedoch die Gewissheit manifestiert: Vintage-Angie, die mit dem Jubel am Ende, wird noch gesucht, auch wenn sie manchmal immerhin zu erahnen ist.

Ihr letzter Handschlag in Wimbledon? Das ließ Angelique Kerber (links) offen nach ihrer Erstrundenniederlage gegen die Kasachin Julia Putinzewa. (Foto: Isabel Infantes/Reuters)

Zum achten Mal in dieser Saison schaffte es Kerber nicht, ihr Auftaktmatch bei einem Turnier zu gewinnen, das ist zunächst einmal ein Fakt, den sie so auch bisher nicht in ihrer Vita stehen hatte. Vom Gefühl her, und das ist wohl einer der Gründe, warum sie nicht zu sehr ins Zweifeln gerät, kommt ihr selbst diese Situation absolut vertraut vor. „Auch unabhängig, wie viele (Niederlagen) ich jetzt auch einstecken musste … ich meine, wenn ich auf meine Karriere zurückschaue, dann gab es immer extreme Aufs und Abs“, rief sie sich am Dienstagabend in Erinnerung und versicherte: „Ich glaube, da bin ich auch schon abgehärtet.“ Ganz sicher ist sie das.

Und doch gehört zur sportlichen Wahrheit, dass sie spielerisch und läuferisch um den Anschluss an die Form früherer Tage ringt und kämpft. Im Duell mit Putinzewa gab es schon Momente, in denen Kerber die Vintage-Angie erkennen ließ, wenn sie etwa die Vorhand aus dem Lauf die Linie entlang platzierte und „komm jetzt!“ rief. Es fehlte nicht viel – dann aber wieder doch einiges, um zu reüssieren. „Es geht nicht“, rief sie einmal verzweifelt aus. Ein anderes Mal schlug ihr Grundlinienschlag noch vor dem Netz auf dem Rasen auf, in der eigenen Spielhälfte wohlgemerkt. Sie litt sichtlich in solchen Augenblicken, denn die Lust ist ja keinesfalls das Problem, wie sie betonte: „Also, mir macht Tennis weiterhin Spaß. Und deshalb bin ich auch zurückgekommen, es ist immer noch meine Leidenschaft.“

„Ich denke, das wird sehr interessant, mit Laura Doppel zu spielen.“

Kerber wird folglich dranbleiben, auf eine Wende hoffen. Eine Frage zu ihrer Zukunft und ob etwa der Auftritt in Wimbledon ihr letzter am Ort ihres größten Triumphs 2018 gewesen sein könnte, schob sie beiseite. „Dazu kann ich auch nicht antworten, das weiß ich nicht“, antwortete sie, „mit dem Gedanken bin ich auch nicht hergekommen.“ Genossen habe sie ihren Kurzbesuch trotzdem, „ich habe immer noch die schönsten Momente hier im Kopf“, betonte sie, „das wird auch so bleiben. Das hängt jetzt nicht von diesem Match ab“. Offen ließ sie, ob sie 2025 nochmals antrete, allgemein sagte sie nur: „Ich freue mich immer wieder herzukommen.“ Das kann alles und nichts heißen.

Mit Torben Beltz, ihrem unverwüstlichen Trainer, wird sich Kerber nun bald zusammensetzen und die Vorbereitung auf die Olympischen Spiele angehen, in Paris startet sie im Einzel und, wie nun feststeht, im Doppel mit Laura Siegemund: Die 36-Jährige aus Metzingen, die in Wimbledon in der zweiten Runde steht, hatte am Dienstagnachmittag diese Neuigkeit preisgegeben. „Ich denke, das wird sehr interessant, mit Laura Doppel zu spielen“, bestätigte Kerber am Abend. „Wir haben noch nie miteinander gespielt. Aber ich bin bereit, und mal gucken, was daraus wird.“ Sie ist ganz offensichtlich selbst gespannt darauf, was die nähere Zukunft für sie bereithält.

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