Ausschluss von Russen in Wimbledon:Sanktionen gegen die schwächste Partei

Ausschluss von Russen in Wimbledon: Daniil Medwedew ist Russe und kann deshalb nicht in Wimbledon antreten.

Daniil Medwedew ist Russe und kann deshalb nicht in Wimbledon antreten.

(Foto: Peter Nicholls/Reuters)

Wimbledon sperrt russische und belarussische Athleten aus. Doch kein Spieler hat mehr politischen Einfluss als die Funktionäre aus den Ländern der Aggressoren - die sind aber weiterhin in den höchsten Gremien geduldet.

Kommentar von Barbara Klimke

Um einen vergleichbaren Vorgang zu finden, muss man weit zurückblättern in den Annalen des ältesten Tennisturniers. Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Tennisspieler aus Deutschland und Japan ausgeschlossen in Wimbledon. 1948 noch, als sich für Sportler aus Italien oder Österreich die schmiedeeisernen Tore langsam wieder öffneten, blieb der Bann für Athleten aus den Ländern der beiden Kriegsaggressoren in Kraft. Eine solche kompromisslose Entschlossenheit hat der All England Club danach, bis zur Mitte dieser Woche, nie mehr an den Tag gelegt. Sogar zur Zeit des Apartheid-Sportboykotts, in den 1960er- und 1970er-Jahren, blieb es Südafrikas Spielern weitgehend unbenommen, auf dem sattgrünen Tennisrasen unter der berühmten Terrasse den Schläger zu schwingen.

Diese vornehme Zurückhaltung hat der Klub jetzt aufgegeben, indem er den Athleten aus Russland und Belarus das Teilnahmerecht an den Championships 2022 entzieht. Der Schritt ist so unerhört wie unerwartet, das zeigen die weltweiten, teils entrüsteten Reaktionen. Denn Wimbledon stellt sich nicht nur unilateral gegen alle anderen Tennisveranstalter und Organisationen, gegen ATP und WTA, die sich darauf einigten, russischen und belarussischen Profis den sportiven Wettbewerb als Individualisten unter neutraler Flagge zu erlauben. Der All England Club hat sich auch politisch positioniert.

Ein Verweis auf historische Parallelen kann kaum zur Orientierungshilfe taugen

Über die Haltung zu einem Angriffskrieg, zu humanitärem Horror in der Ukraine, Mord und Vergewaltigung, muss im Hier und Jetzt entschieden werden. Viel deutet darauf hin, dass der Wimbledon-Alleingang auf dieser Überzeugung beruht. Ein Verweis auf historische Parallelen, auf adäquate oder unzureichende Gegenreaktionen zu Aggressionen in der Vergangenheit, kann kaum zur Orientierungshilfe taugen. Zudem folgt der Klub der Regierungslinie. Er sieht sich ausdrücklich in der Verantwortung, die vielfältigen Anstrengungen Großbritanniens zu unterstützen, um "Russlands globalen Einfluss mit den allerstärksten Mitteln einzuschränken", wie es in der Ausschluss-Mitteilung heißt. Die Möglichkeit des Kriegstreibers im Kreml, propagandistischen Nutzen zu schlagen aus Bildern vom Centre Court mit russischen oder belarussischen Spielern, hält Klubpräsident Ian Hewitt für nicht hinnehmbar.

Auch das Tennisturnier, das viel auf sein blütenweißes Ambiente hält, kann nicht isoliert vom Weltgeschehen betrachten werden. Die Vorstellung, dass sich das begrenzte Spielfeld des Sports in jeder Lage seine Neutralität erhalten kann, war schon immer Illusion. Das Wimbledon-Turnier, der einzige von einer Privatorganisation organisierte Grand-Slam-Wettbewerb, gehört seit Langem zu den globalen Großveranstaltungen mit gewaltigem Werbewert. Und der All England Club ist sich der Wirkkraft der Bilder und Botschaften, die er entsendet, sehr wohl bewusst. Auch deshalb wird in London angeblich bereits erwogen, das TV-Signal vom Tennisrasen nach Russland zu kappen.

Nicht leugnen lässt sich, dass Wimbledons schonungslose Sanktionen gegen Einzelpersonen nun unmittelbar die schwächste Partei spüren wird: die Athleten. Einige von ihnen wie der Russe Andrej Rublew haben sich bereits früh und unter nicht unbeträchtlicher persönlicher Gefahr öffentlich gegen den Krieg in der Ukraine ausgesprochen. Die Regimes in Moskau und Minsk hingegen trifft der Sportler-Bann zunächst nur indirekt. Die Spielerorganisation der Männer, ATP, hat die Maßnahmen gegen russische und belarussische Profis als "Diskriminierung auf Grundlage der Nationalität" sowie als Bruch von Vertragsvereinbarungen kritisiert, die weitreichende Folgen haben könnten. Kein Spieler, auch das gehört zur Wahrheit, hat mehr politischen Einfluss als die Vielzahl von Funktionären aus den Ländern der Aggressoren, die weiterhin in den höchsten Gremien diverser Verbände geduldet sind.

Auch der All England Club bedauert ausdrücklich, dass es die Athleten sind, die unter den Taten des russischen Regimes zu leiden hätten. Fair ist das nicht. Aber die Fairness bleibt auf der Strecke, wenn der Bombenhagel fällt.

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