Süddeutsche Zeitung

Wimbledon:Lebensberater für Novak Djokovic

  • Novak Djokovic, derzeit Nummer vier der Tennis-Weltrangliste, hat in Wimbledon noch keinen Satz verloren. Nun trifft er auf den Tschechen Tomas Berdych.
  • Großen Anteil am neuen Erfolg hat sein Trainer Andre Agassi. Der ist eher für den Kopf zuständig als für das reine Tennistraining.

Von Matthias Schmid, London

Die weiße Schlabberhose, die Andre Agassi trägt, ist ein paar Nummern zu groß. Steffi Graf, seine Ehefrau, hätte sie ihm wohl ausgeredet, aber er ist ja nicht nach Wimbledon zurückgekehrt, um modische Glanzpunkte zu setzen. Bequem muss die Kleidung sein, wenn er in diesen Tagen auf dem Trainingsplatz steht und hin und wieder locker einen Ball übers Netz schlägt. Es ist alles neu und aufregend für den Amerikaner an der Church Road. Der 47-Jährige ist in einer anderen Rolle nach London gekommen als in früheren Jahren. Das merkt er zum Beispiel daran, dass er sich plötzlich dafür interessiert, wo die Spieler essen können. Außerdem muss er jetzt alleine zu Court Eins laufen, "ohne Sicherheitsleute", wie er im Wimbledon-TV verblüfft feststellte.

Agassi arbeitet seit ein paar Wochen als Trainer von Novak Djokovic, aber wie das so ist bei einem früher so erfolgreichen und charismatischen Spieler, steht er dabei nicht im Hintergrund, sondern unter ständiger Beobachtung. Während der Matches sitzt Agassi meistens regungslos in der Box, stoisch verfolgt er die Spiele seines Klienten, hin und wieder stützt er seinen Kopf auf die linke Hand, mit seiner Glatze sieht er dann aus wie ein Buddha. Das kann helfen bei seinem neuem Job, denn um vollkommene Weisheit, um Liebe und Glückseligkeit geht es nach den Spielen von Djokovic auch oft. Der hat sich zuletzt während seiner Sinn- und Schaffenskrise kritisch mit dem Leben auseinandergesetzt.

Agassi soll dem Serben nun dabei helfen, das Gleichgewicht auf dem Platz wiederzufinden. Wie es scheint, sind die beiden auf einem guten Weg. Djokovic trifft an diesem Mittwoch auf den Tschechen Tomas Berdych. Er steht in Wimbledon im Viertelfinale, hat bisher keinen einzigen Satz verloren und tritt viel leidenschaftlicher auf als in den vergangenen Monaten, in denen er vom ersten auf den vierten Platz in der Weltrangliste zurückgefallen ist.

Als kurz vor den French Open die Nachricht aufpoppte, dass Agassi Trainer von Djokovic werden würde, fragten sich viele in der Tennisszene, auf welche Weise Agassi zum ewig sinnierenden Djokovic durchdringen könnte. Um Tennis allein geht es bei Djokovic ja schon lange nicht mehr. Vor den All England Championships gab er einen Einblick in sein Seelenleben. "Ich habe früher meine ganze Glückseligkeit vom Gewinn eines Tennismatches abhängig gemacht", sagte er: "Das tue ich nicht mehr. Nicht, weil es mir eventuell gleichgültig geworden sei. Ich will immer noch siegen. Aber das soll nicht mehr über das Glück in meinem Leben bestimmen."

Auch Agassi sinniert gerne über das Leben, er hat viel mitgemacht, bleierne Jahre erlebt. Obwohl seine Aufgabe in Wimbledon eher nach Lebensberater aussieht, betont er, dass er Trainer von Djokovic sei. "Ich habe Novak mein Versprechen gegeben, dass ich ihn jeden Tag besser mache", sagt Agassi

Die Arbeit zwischen den beiden spielt sich vornehmlich im Kopf ab, sie reden darüber, wie sich Djokovic in kritischen Matchsituationen verhalten soll. Es geht um Nuancen, nur um ein, zwei Ballwechsel, die aber auf diesem Niveau den Unterschied zwischen Sieg und Niederlage ausmachen können. Spielerisch formen wie einen jungen Spieler kann Agassi den zwölfmaligen Grand-Slam-Turniersieger kaum. Sein Job ist nicht, ihm eine neue Ausholbewegung bei der Vorhand beibringen zu wollen oder einen stabileren Rückhandslice.

"Wir müssen neue Lösungen für neue Probleme finden", sagt Agassi. Er meint dabei auch Faktoren außerhalb des Tennis, die das Spiel beeinflussen: das zunehmende Alter und die Familie zum Beispiel. Agassi könnte in der Tat der richtige Mann zur richtigen Zeit sein, Djokovic feierte im Mai seinen 30. Geburtstag. Agassi kennt die Herausforderungen in diesem Alter. Er war sogar noch älter als Djokovic heute, als er zwei seiner acht Grand-Slam-Titel gewann und noch einmal zur Nummer eins der Welt aufstieg. "Er muss lernen das Leben effizienter zu gestalten, damit er noch genügend Energie hat", sagt Agassi im Wimbledon-TV. Er will Djokovic vor allem dabei unterstützen, dass er frei aufspielen, sich wieder voll dem Tennis widmen kann. Agassi ist davon überzeugt, dass Djokovic "eher früher als später", wieder ein Grand-Slam-Turnier gewinnen könne, wie er es im Interview mit dem Guardian formulierte. "Ich bin daran interessiert, dass er alles wiederfindet, was ihn als Tennisspieler ausmacht."

Geld will Agassi dafür nicht, er arbeitet bei diesem Job ohne Honorar, weil er sich mit Djokovic auf Augenhöhe sieht. Dafür nimmt sich der Amerikaner die Freiheit, nicht bei jedem Turnier in den entlegensten Ecken der Welt dabei sein zu müssen. Auch deshalb hat Djokovic in Wimbledon noch einen weiteren früheren Profi in seiner Box sitzen: den Kroaten Mario Ančić. Er gilt als schlauer Kopf, schlug 2002 in Wimbledon mal Roger Federer und erreichte das Halbfinale, musste seine Karriere wegen Verletzungen allerdings früh beenden. Ančić studierte Jura und arbeitet heute für eine Schweizer Bank. Ob er sich für sein Engagement in Wimbledon Urlaub nehmen musste, wollte jemand von Djokovic wissen. Das sei keine Frage für ihn, entgegnete der Serbe, betonte aber, dass Ančić geschäftlich ohnehin nach Wimbledon gekommen wäre. Auch mit ihm hat Djokovic - genau wie mit Agassi - keinen Vertrag abgeschlossen.

Djokovic hat jetzt zwei zusätzliche Trainer, ohne auch nur einen davon bezahlen zu müssen. Vielleicht überlässt er ihnen etwas vom Preisgeld, wenn er das Turnier in Wimbledon gewinnen sollte. Der Sieger erhält umgerechnet mehr als 2,6 Millionen Euro.

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