Wimbledon:Kerbers schwere Krone

Day Four: The Championships - Wimbledon 2017

Über den Kampf zum Spiel: Angelique Kerber rackert sich in die dritte Runde von Wimbledon.

(Foto: Clive Brunskill/Getty Images)
  • Angelique Kerber müht sich als Nummer eins der Weltrangliste auch in Wimbledon.
  • Es sieht so aus, als belaste die Position im Ranking sie.
  • Sie hofft nun, über den Kampf zurück zum unbeschwerten, leichten Spiel zu finden.

Von Barbara Klimke, London

"Niemals beschweren, niemals erklären", lautet ein Motto der Königlichen Familie, das von der Sippe der Windsors in allen Lebenssituationen beherzigt wird. Wie sich diese Maxime auf den Tennissport übertragen lässt, ist an allen Turniertagen in der Royal Box des All England Lawn Tennis & Croquet Clubs zu besichtigen. Am Freitag zum Beispiel führte Prince Michael of Kent, ein Cousin der Queen und Enkel von König Georg V., die Besucherliste an, auf der auch Mr. und Mama Beckham, Neuseelands Rugby-Weltmeister Dan Carter und der ehemalige Außenminister Lord William Hague of Richmond standen. Sie alle, ob aristokratisch oder nicht, streckten das Rückgrat und hoben das Kinn, auf dass ihr imaginäres Krönchen nicht herunterfallen kann.

Die schwerste Krone im Tennis der Frauen, im übertragenen Sinne die Imperial State Crown des Rasenreichs, trägt momentan die 29-jährige Angelique Kerber aus Kiel: die Nummer Eins der Weltrangliste. Doch wo immer sie auftritt in Wimbledon, lässt sie keinen Zweifel daran erkennen, dass sie dieses Symbol der Überlegenheit eher als Last und Bürde denn als Schmuck und Zierde empfindet.

Auch in ihr Zweitrundenmatch gegen die 32-jährige Belgierin Kirsten Flipkens ging Angelique Kerber mit Trauermiene. Es brauchte nur drei Spiele mit einer zu lang geschlagenen Vorhand, einem Stoppball, den sie nicht erreichte, und einem missratenen Return, bis sie die Schultern hängen ließ. Nach einem weiteren Punkt, der ihr nicht glückte, hätte sie fast den Schläger auf den Rasen gefeuert. "Ich habe versucht, wieder gut Tennis zu spielen", sagte sie später fast trotzig zur Erklärung, als sie ihre belgische Gegnerin mit 7:5 und 7:5 niedergerungen hatte - eine Gegnerin, die immerhin 87 Plätze hinter ihr in der Weltrangliste steht.

Es war eine Matchanalyse, die für leichtes Kopfschütteln auf den Kommentatorenplätzen und Tribünen in London sorgte. Denn dass die - statistisch gesehen - beste Tennisspielerin der Zunft, die vor Jahresfrist die Grand-Slam-Titel in Melbourne und New York gewann und in Wimbledon im Finale stand, ordentlich gegen einen Filzball schlagen kann, sollte außer Frage stehen. Noch immer aber hat Angelique Kerber keine Erklärung für das Formtief gefunden, in das sie im vergangenen halben Jahr absackte.

Ihre Ängstlichkeit und Verzagtheit hatten sie im Mai geradewegs in eine jämmerliche Erstrundenniederlage bei den French Open in Paris geführt. Auch ihre Trainer können nicht erklären, was ihr seit Jahresbeginn den Schlagarm und die Beine lähmt. Und doch weigerte sich Kerber nach den gewonnenen zwei Partien in der Auftakt-Woche beharrlich, über Vergangenes zu grübeln: "Ich denke nicht zurück. Ich spiele jetzt in Wimbledon auf Rasen", stellte sie klar: "Ich analysiere gar nichts."

Sie hofft nun, über den Kampf zurück zum unbeschwerten, leichten Spiel zu finden. Möglicherweise war der zähe Zweitrundensieg über Kirsten Flipkens ein erster Schritt dahin. Vor einem Einzug ins Achtelfinale steht am Samstag das Duell gegen die 24-jährige Shelby Rogers aus den USA, die sich in Wimbledon erstmals selbstbewusst in die dritte Runde durchgeschlagen hat. Es ist an der Zeit, dass sich bei Kerber "die Handbremse im Kopf" löst, sagte die deutsche Tennis-Nationaltrainerin Barbara Rittner.

Dem sollte, in der Theorie, nichts entgegenstehen. Denn Kerber spielt noch immer weit druckvoller als beispielsweise ihre deutsche Kollegin Carina Witthöft, die am Freitag gegen die Weltranglistenfünfte Jelena Switolina aus der Ukraine 1:6, 5:7 verlor. Ihre Vorhand-Peitschenschläge, Smashs und Serves hat die zweimalige Grand-Slam-Siegerin ja nicht verlernt.

"Das Ranking interessiert mich hier wirklich nicht", sagt Kerber

Vielmehr deutet einiges darauf hin, dass es einen andere Fakt ist, der sie hemmt: Sie scheint sich weit sicherer in der Rolle der Angreiferin als in jener der Verteidigerin fühlen, die den Schatz der Nummer Eins zu bewahren hat. Zumal diese Position sich aus den Ergebnissen eines Zwölfmonatszeitraums berechnet und damit ohnehin einen sehr trügerischen Glanz hat - wie ein Stern, der längst verloschen ist und trotzdem noch hell auf sie herab strahlt.

Dabei wäre es ein Leichtes für Angelique Kerber, die Herausforderung in diesem Jahr guten Mutes anzunehmen: Serena Williams aus den USA, die dominierende Spielerin des vergangenen Jahrzehnts, ist wegen ihrer Schwangerschaft nicht angetreten; die zweimalige Wimbledon-Siegerin Petra Kvitova (2011, 2014) schied in der zweiten Runde aus. Und auch die tschechische Kontrahentin Karolina Pliskova, an Nummer drei gesetzt, hat sich bereits einer Besseren, der Slowakin Magdalena Rybarikova, geschlagen geben müssen.

Bei den britischen Buchmachern wurde am Freitag die Engländerin Johanna Konta als Favoritin geführt - eine Spielerin, die in den vergangenen sechs Jahren in Wimbledon nur drei Matches gewann und nun bis ins Achtelfinale gekommen ist. Auch die Grand-Slam-Siegerinnen Victoria Asarenka, Venus Williams und Jelena Ostapenko sind für die zweite Woche qualifiziert.

Für Angelique Kerber lautet die Rechnung nun so: Wenn sie nicht ins Finale kommt, ist sie die Position als Führende der Weltrangliste los, dann könnte zum Beispiel die Rumänin Simona Halep die Nutznießerin sein. "Das Ranking interessiert mich hier wirklich nicht", hat Kerber von dem Turnier gesagt. Aber sie hat das unsichtbare Krönchen im Rasenreich, ihre Imperial State Crown, ohnehin selten mit einem seligen Lächeln getragen.

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