Wimbledon:Halme lieben lernen

Wimbledon

„Bei jedem Schlag denke ich, gleich legt es mich auf die Schnauze.“ – Andrea Petkovic beim Sieg gegen Zhang Shuai.

(Foto: Toby Melville/Reuters)

Zu Beginn des einzigen Rasen-Grand-Slam-Turniers fällt auf, wie schwer vielen die Umstellung fällt - Andrea Petkovic ist dennoch in der nächsten Runde.

Von Gerald Kleffmann, Wimbledon

Eugenie Bouchard steht hinter dem Eingang im Trainingsgelände namens Aorangi Park, die Kanadierin ist das Postergirl der Frauentour, sie vermarktet sich so. Im Vorbeigehen schnappt man Wortfetzen auf, "tolle Fingernägel" und "das muss ich machen", sagt sie zu einer Kollegin, während im Hintergrund das Gedränge zunimmt. Es nähert sich die volle Stunde, auf den 19 Übungsplätzen wechseln die Buchungszeiten. Tommy Haas begrüßt Lucas Pouille, den Davis-Cup-Spieler, "ihr habt gute Chancen bei der WM", sagt Haas, der Franzose lächelt. Johanna Konta grüßt, auch wenn sie den deutschen Reporter noch nie gesehen hat, freundlich mit "guten Morgen". Auf die Britin wird sich nun die heimische Presse noch mehr stürzen, jetzt, nachdem Darling Andy Murray doch zurückziehen musste, die Hüfte.

Ungezwungen, fast wie in einem Club auf Ibiza wirkt die Atmosphäre, und das liegt vielleicht daran, dass der Aorangi Park, für den man einen Extraausweis benötigt, eine Oase inmitten des All England Clubs ist. Hier sind auch einige strenge Regeln außer Kraft gesetzt. Die Tenniskleidung muss zum Beispiel nicht komplett weiß sein. "Fantastisch siehst du aus", ruft Lars Uebel zu Carsten Arriens. Uebel ist der Trainer von Philipp Kohlschreiber, Arriens von Jan-Lennard Struff - Arriens trägt schwarzes T-Shirt und dunkle Shorts.

Es sind viele deutsche Protagonisten im Aorangi Park, was daran liegt, dass viele Deutsche sogleich starten dürfen, acht insgesamt. Heute ist Tag eins des Tennisturniers von Wimbledon, das vor allem "eine mentale Herausforderung" ist, wie Christopher Kas sagt. Kas war ein exzellenter Doppelspieler, mit Sabine Lisicki verpasste er 2012 hauchdünn Bronze beim Olympia-Turnier, das im All England Club ausgetragen wurde. Inzwischen betreut er Mona Barthel. "Man muss lernen, Rasen zu lieben", erklärt Kas. "Es gibt immer mal Platzfehler, es ist nicht einfach, sich zu bewegen." Weil ja auch nur vier Wochen im Jahr dieser Belag zum Einsatz kommt, fehlt allen eine lange Vorbereitung. "95 Prozent der Profis haben Schwierigkeiten mit der Umstellung", schätzt Arriens. "Viele wissen nicht genau, wie sie auf Rasen spielen sollen." Den Bereich am T, bei der Aufschlaglinie, sollte man im Idealfall beherrschen, sagt Arriens, der früher Davis-Cup-Teamchef war und nun als Selbstständiger viel im mentalen Bereich arbeitet mit Sportlern und Kunden aus der Wirtschaft. "Das perfekte Rasenspiel wäre: Slice einsetzen, nach vorne wirken, Punkte kurz halten." Er lächelt. "So wie Roger." Diese letzte Erkenntnis ist nicht neu. Doch was soll man machen, wenn sie stimmt?

Von den acht Deutschen hat Barthel als Erste ihre Schicht beendet. Die 27-Jährige aus Neumünster, die in Rosenheim lebt, hatte am Samstag mit Bouchard gut trainiert, der Wimbledon-Finalistin 2014. Die beiden hatten sich über die Qualifikation im benachbarten Roehampton ins Hauptfeld gekämpft. Gegen die Belgierin Yanina Wickmayer verlor sie dennoch 5:7, 4:6, die Gegnerin war einfach etwas sicherer bei ihren Aktionen. Auch die 21-Jährige Antonia Lottner, ebenfalls über die Qualifikation in das Turnier gelangt, scheiterte, wenn auch knapper. Sie unterlag der Russin Jewgenija Rodina mit 6:3, 5:7, 4:6. Julia Görges setzte sich 6:4, 7:6 (7) in einem starken Match gegen die Olympiasiegerin Monica Puig durch.

Und Tatjana Maria schaltete mit 7:6 (3), 4:6, 6:1 die an Nummer fünf gesetzte Ukrainerin Jelena Switolina aus. Die Deutsche, die einen Roman über ihre Beziehung zu Rasen verfassen könnte, ist Andrea Petkovic, auch an diesem Montag gesteht sie, sie habe noch intensive Probleme mit den Halmen. "Bei jedem Schlag denke ich, gleich legt es mich auf die Schnauze", sagt sie, die frühere Top-Ten-Spielerin, die zuletzt bei den French Open mal wieder ein richtig gutes Grand-Slam-Turnier gespielt hatte mit dem Erreichen der dritten Runde. In Mallorca habe sie kürzlich bei "jedem dritten Training gedacht, ich hasse Rasen". Aber sie ist ja nun 30, weiser geworden, "an Liebe muss man arbeiten", weiß sie, manchmal fruchtet Geduld. Petkovic hatte auch deshalb gute Laune, weil sie die Chinesin Zhang Shuai, die Nummer 31, bezwungen hatte - 6:4, 4:6, 6:2. Und weil Petkovic ist, wie sie ist, verrät sie, welche Psycho-Nummer ihr diesmal half. "Es war in meinem Kopf drin, dass ich die Gesetzte bin", sagt sie. Dieses Selbstvertrauen zu reaktivieren, führt sie auf die Arbeit mit Dusan Vemic zurück, ihrem "alten, neuen Trainer". Er habe ihr hinderliche Verhaltensmuster abgewöhnt, "ich bin nicht mehr gestresst, wenn ich schlecht spiele", sagt Petkovic, "ich glaube, mein schlechtes Niveau ist besser als vor einem Jahr." Auch wenn man bei Petkovic manchmal zweimal hinhören muss, um ihre Logik zu durchdringen: Es war logisch.

Weniger verschachtelt, aber auch klar denkt Philipp Kohlschreiber, der seinerseits einen Erfolg erlebte. Der 34-Jährige aus Augsburg, seit Kaiser Wilhelms Zeiten in den Top 50, steht nach dem 6:2, 6:4, 7:5 gegen den Russen Jewgeni Donskoi erstmals seit 2014 in Runde zwei. "Die Linien kommen diesmal stärker hervor", schildert er die Kniffe des Rasenplatzes, "die Bälle springen an unterschiedlichen Stellen unterschiedlich." Auch Struff freute sich am Ende. Er holte erstmals einen 0:2-Satzrückstand auf und bezwang den Argentinier Leonardo Mayer 3:6, 6:7 (5), 7:6 (5), 7:6 (5), 6:1.

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