Süddeutsche Zeitung

Federer vs. Nadal in Wimbledon:El Clásico in Südlondon

  • In Wimbledon steigt an diesem Nachmittag ein Highlight - Federer trifft im Halbfinale auf Nadal.
  • Das Duell der beiden erinnert an ein ganz entscheidendes Match im Jahr 2008.

Von Barbara Klimke, London

Der eine ist voller Vorfreude auf das Wiedersehen. Bei dem anderen wird der Ton in der Stimme einen Grad wärmer, als er den Respekt, die Vertrautheit und Verbundenheit erwähnt. Sie werden beide langsam älter, und mit der Zeit nehme die Zahl der Zusammenkünfte leider ab, sagt Rafael Nadal. Doch bevor der falsche Eindruck entsteht, dass hier zwei betagte Freunde bei einem guten Tropfen im Sessel auf ihre unbeschwerte Jugend anstoßen, sei an den Grund des Treffens erinnert: Es geht nicht um Sentimentalitäten. Im Halbfinale von Wimbledon werden sich Roger Federer und Rafael Nadal die Bälle um die Ohren feuern, dass es nur so kracht.

In ihrer Laufbahn haben sich die Wege der beiden besten Tennisspieler der Gegenwart 39 Mal gekreuzt. Erst vor einem Monat standen sie sich im Halbfinale der French Open in Paris gegenüber, einer windigen Angelegenheit mit dem besseren Ausgang für Nadal, an die Federer ungern erinnert werden will. Aber seit sie sich letztmals auf dem Rasen in Wimbledon duellierten, im "Finale aller Finals" von 2008, das Nadal, den wilden Draufgänger von den Balearen, damals auf eine Stufe mit dem Schweizer Feingeist Federer hob, sind tatsächlich elf Jahre vergangen. Den Mitschnitt vertreibt der All England Club heute in seinen Museumsshop.

Sie sind nicht mehr dieselben. Auch nicht, was ihre Spielanlage betrifft. Rafael Nadal ist 33 alt und glaubt, dass sich seine Technik stark verändert hat, was er nicht nur als Verbesserung verstehen will. Er habe "einige Dinge" seinem Arsenal zugefügt, weil "andere Dinge verloren gingen mit dem Alter". Ein Beispiel: "Ich laufe weniger, also muss ich besser aufschlagen." Weil er nach einer Vielzahl von Verletzungen an der Hand, am Knie, am Knöchel mit seinen Kräften haushalten muss und nicht mehr 30 Wochen pro Saison bei Wettbewerben mit Wucht auf den Ball prügeln kann, plant er die Belastungs- und Entlastungsphasen anders als früher. Er hat die Rückhand umgestellt und mehr Volleyspiel trainiert. Die interessante Frage, ob er mit der heutigen Leistung die Herausforderung von 2008 meistern könnte, lässt er offen.

Vorteil Nadal: Die 13 Grand-Slam-Duelle im Überblick

Zum 40. Mal trifft Roger Federer am Freitag auf Rafael Nadal, der eine Art Angstgegner für den Schweizer ist: Der Spanier gewann von 13 Partien (kurioserweise nicht eine bei den US Open) bei Grand-Slam-Turnieren zehn, und auf Rasen liegt Federer vermutlich nur deshalb 2:1 vorne, weil das bisher letzte Spiel 2008 stattfand. Es folgen die 13 Partien aus der Sicht von Nadal. Neun davon waren Endspiele, * benennt die Halbfinals.

2005 French Open * 6:3, 4:6, 6:4, 6:3

2006 French Open 1:6, 6:1, 6:4, 7:6 (4)

2006 Wimbledon 0:6, 6:7 (5), 7:6 (2), 3:6

2007 French Open 6:3, 4:6, 6:3, 6:4

2007 Wimbledon 6:7 (7), 6:4, 6:7 (3), 6:2, 2:6

2008 French Open 6:1, 6:3, 6:0

2008 Wimbledon 6:4, 6:4, 6:7 (5), 6:7 (8), 9:7

2009 Australien 7:5, 3:6, 7:6 (3), 3:6, 6:2

2011 French Open 7:5, 7:6 (3), 5:7, 6:1

2012 Australien *6:7 (5), 6:2, 7:6 (5), 6:4

2014 Australien *7:6 (4), 6:3, 6:3

2017 Australien 4:6, 6:3, 1:6, 6:3, 3:6

2019 French Open *6:3, 6:4, 6:2

Federer, 37, hat sich nach 20 Jahren auf der Tennistour - sein erstes Match in Wimbledon verlor er 1999 gegen den Tschechen Jiri Novak - seine ästhetische Rückhand und seine ruhige, fast heiter wirkende Abgeklärtheit auf dem Platz bewahrt. Aus seinem 100. Sieg auf Londons Rasen am Mittwoch gegen den Japaner Kai Nishikori zog er die Erkenntnis, dass er besonders bei den kurzen Ballwechseln "alles unter Kontrolle" hat, wie er sagte. Auch wenn er einen Satz zurückliege, wie im Viertelfinale, empfinde er keine Nervosität.

Aber auch er spürt die Jahre, wägt Kräfteverschleiß und Turnierkalender sorgfältig ab; und er weiß im Abendlicht seiner Karriere, hinter der Fassade der Gelassenheit, die Bedeutung eines Tennisduells zu schätzen, das durch seine Intensität in der jüngeren Geschichte seines Sports kaum Entsprechungen kennt. Das Duell zwischen Björn Borg gegen John McEnroe wäre zu nennen - aber diese Rivalität war erstaunlich kurz und umspannte lediglich 14 Matches.

Der Takt des Endspiels 2008 blieb erbarmungslos

Federer und Nadal hingegen kämpfen nun seit 2004 um die Vormacht in ihrem Königreich zwischen den weißen Linien. Als sie sich 2006 erstmals im Finale von Wimbledon begegneten, verlor Nadal, damals 20 Jahre alt, Sandplatzspezialist und bereits zwei Mal French-Open-Sieger, gegen den Rivalen mit dem variableren, eleganteren Spiel in vier Sätzen, den ersten sogar 0:6. Ein Jahr später brauchte Federer als fünfmaliger Wimbledonsieger bereits fünf Sätze (7:6, 4:6, 7:6, 2:6, 6:2), um sich gegen den Widersacher durchzusetzen.

Und dann kam jenes Finale am 6. Juli 2008, das am frühen Nachmittag begann und erst um 21.16 Uhr endete: in der beginnenden Dunkelheit eines regnerischen Tages, als der Flug der Bälle kaum noch zu erkennen war. Fast fünf Stunden reine Spielzeit. Zwei Regenunterbrechungen, die erste mehr als eine Stunde lang, die zweite weniger als 30 Minuten. Doch der Takt dieses Matches blieb erbarmungslos: Wucht gegen Eleganz, Stil gegen Power. Und mit jedem Ball ein Zweikampf auf Augenhöhe.

Im ersten Satz glückte Nadal im ärmellosen Shirt ein frühes Break zum 2:1, das er über die Zeit rettete. Im zweiten Satz ging Federer 2:0 in Führung, gab den Vorsprung aus der Hand, wehrte einen Satzball ab, machte einen leichten Fehler, verlor auch diesen Durchgang; beim Seitenwechsel hatte er leichte Verzweiflung im Blick. Den dritten entriss er Nadal mit einem Ass im Tiebreak. Der Tiebreak des vierten Satzes war dann ein Epos für sich: Federer hatte nicht einen, sondern zwei Matchbälle gegen sich und gewann ihn trotzdem. 2:2. Im entscheidenden fünften Satz wogte die Partie 16 Spiele lang hin und her, der Regen kam und ging, bis Federer den Ball in die Maschen schlug. Nadal hatte 6:4, 6:4, 6:7 (5), 6:7 (8) und 9:7 gewonnen. Dann ließ er sich fallen auf dem heiligen Rasen - oder dem, was nach zwei Turnierwochen noch von der Grasnarbe übrig war. Er hatte endlich bewiesen, mehr als ein Satzplatzwühler zu sein.

In jenem Sommer, sagte Federer später, seien alle davon ausgegangen, dass dieses Rasen-Duell eine Fortsetzung finden werde. "Aber es ist einfach nicht passiert." Noch immer steht das 4:48 Stunden währende Match als längstes Finale in der 528-seitigen Vereinschronik des All England Clubs, der schon seit 1877 Zweikämpfe mit Ball und Racquet organisiert.

Die beiden haben sich anschließend noch 21 Mal an der Netzkante die Hände geschüttelt - oder in späteren Jahren, mit zunehmender Vertrautheit, gegenseitig auf die Schulter geklopft. Weder Federer noch Nadal ließen je einen Zweifel daran, dass das Kräftemessen, der ständige Vergleich, sie erst zu dem formte, was sie heute sind: die Besten ihres Sports mit 20 Grand-Slam-Siegen für Roger Federer und 18 für Rafael Nadal. Die dritte treibende Kraft im Bunde, Novak Djokovic aus Serbien, hat auch schon 15 angehäuft.

Beim 39. und bislang letzten Zusammentreffen bei den French Open setzte sich übrigens Nadal durch, doch Federer bleibt dabei, dass der Wettkampf während eines Sturmtiefs über Paris unter nahezu irregulären Bedingungen stattfand. Jetzt aber gibt es die Revanche: für Paris, für Wimbledon 2008, für Federers bislang 24 Nadal-Niederlagen. Nur Djokovic hat den Schweizer öfter bezwungen, 25 Mal.

Bevor die Spannung ins Unermessliche steigt, hat Nadal daran erinnert, dass es sich nur um Tennis handelt. "Der von uns beiden, der besser spielt, hat die größere Chance durchzukommen." So logisch, so banal. Denn wer immer am Freitag in diesem Duell siegt, hat nur einen Platz im Finale gegen Djokovic oder Roberto Bautista Agut sicher. Erst geht es ums Prestige. Und am Sonntag dann um den goldenen Pott.

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Quelle:
SZ vom 12.07.2019/jbe
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