Wimbledon-Endspiel:Zwei Frauen, zwei Universen

Wimbledon Championships

Trafen schon im Wimbledonfinale 2016 aufeinander: Serena Williams und Angelique Kerber (rechts).

(Foto: Facundo Arrizabalaga/dpa)
  • Angelique Kerber und Serena Williams bestreiten beim Rasenturnier in Wimbledon das Frauen-Endspiel.
  • Beide mussten in den vergangenen Jahren einige Widerstände überwinden, um sportlich wieder reüssieren zu können.
  • Hier geht es zu den Ergebnissen in Wimbledon.

Von Gerald Kleffmann, Wimbledon

Jede ist, wie sie ist. Die Sache mit der Royal Box etwa. Angelique Kerber, 30, weiß, welche Ehre es ist, an diesem Samstag das berühmteste Finale im Tennis zu bestreiten, vor einer einzigartigen Kulisse. Der Centre Court von Wimbledon ist ein Legenden-erfüllter Ort. Dort weht der Geist von Borg, Evert, Becker, Graf. Hinter einer Grundlinie, fast in Flüsterweite, werden 80 erlesene Besucher zusehen. Wenn um 15 Uhr deutscher Zeit (live im ZDF) das Frauen-Finale beginnt, nehmen die Duchess of Cambridge und die Duchess of Sussex dort oben Platz. Kate und Meghan kommen, die Gattinnen der beliebten britischen Prinzen William und Harry. Da könnte man nervös werden, unten auf dem Rasen. Oder? "Ich versuche, wenn ich auf dem Platz bin, nicht hinzuschauen", sagt Kerber: "Ich fokussier' mich auf mein Team, meine Box."

Serena Williams sagt: "Wenn es ein Königshaus in Wimbledon gäbe, wäre ich gern Mitglied im Wimbledon-Königshaus." Meghan, eine Amerikanerin wie sie, kennt sie seit Jahren. "Wir haben uns immer unterstützt", sagt Williams, "ich freue mich darauf." Sie meint: das Wiedersehen. Zuletzt trafen sie sich bei Meghans und Harrys Hochzeit und später beim Polo.

Kerber, Williams, jede ist nicht nur, wie sie ist. Sie leben in verschiedenen Universen. Gemein ist ihnen jetzt allerdings, dass sie jede für sich auf speziellen Ruhm hofft. Kerber wäre nach 22 Jahren die erste Deutsche seit Steffi Grafs Erfolg 1996, wenn sie im All England Club siegen würde. Williams könnte einen Rekord einstellen, der als uneinholbar galt. 24 Grand-Slam-Titel - so viele Triumphe hatte die Australierin Margaret Court bei den Turnieren in Melbourne, Paris, Wimbledon, New York gefeiert. Seit 1973 ist die Marke unberührt.

Kerber und Williams sagten beide fast wortgleich: Lasst uns erst mal spielen! Da sei noch dieses eine Match, nach den sechs, die jede zuvor überwiegend souverän gewonnen hatte. Aber auch ohne finale Belohnung haben sich beide schon ihre Hommage verdient. Ihrer beider Geschichten handeln von der Kraft und dem Willen, aufzustehen. Jede in ihrem Universum auf ihre Weise. Die Dimensionen ihrer Widerstände, die sie bewältigten, sind nicht vergleichbar. Zwei starke Frauen sind beide.

Bei Kerber ging es nicht um Leben und Tod. Ihr Comeback ist ein sportliches. "Das Finale bedeutet mir viel", sagt sie, "gerade nach dem letzten Jahr." Sie habe "viele Entscheidungen getroffen, um jetzt da zu sein, wo ich bin". Es ist eine mental anspruchsvolle Reise, die Kerber hinter sich hat. Vier Jahre zählte sie zu den besten zehn Profis, da sagte sie sich im Spätherbst 2015: "Ich bin nicht mehr das schüchterne Mädchen." Sie wollte das als Kampfansage verstanden wissen. Tatsächlich folgte Außergewöhnliches mit dem neuen Bewusstsein. Zwei Grand Slams gewann sie, wurde Nummer eins, deutsche Sportlerin des Jahres.

Den unumstößliche Vereinnahmungsprozess, der auf deutsche Helden einstürzt, machte sie erst mit, dann überforderte er sie. 2017 gewann sie nicht mehr viel. Das Hadern, Zaudern, Teil ihrer Persönlichkeit, kehrte zurück. Loyal hielt sie zunächst fest an Trainer Torben Beltz, positiv gesagt. Das Loslassen von Bewährtem ist nicht ihre Stärke, kritisch formuliert. Sie tat es doch, Ende 2017 musste Beltz gehen, Wim Fissette, zwei neue Physios, ein Fitnesscoach kamen. "Das war nicht so einfach", erinnert sich Kerber nach ihrem Halbfinale gegen Jelena Ostapenko.

Bei Williams ging es um Leben und Tod

Sie strahlte dabei Ruhe aus. 2018 war ein gutes Jahr, Kerber ist die einzige, die bei den drei Grand Slams die zweite Woche erreichte. Halbfinale Melbourne, Viertelfinale Paris, Wimbledon-Finale. "Das ist eine Bestätigung, dass alles auf dem richtigen Weg ist." Daher die Ruhe. Für sie war es ein gefühltes Risiko, loszulassen, Neues zu wagen. Es hat sich gelohnt. Aljoscha Thron, ihr Manager, versichert: "Sie hat ihre Mitte, ihre Balance gefunden." Sie konzentriere sich als Leistungssportlerin auf sich. Weniger darauf, äußere Erwartungen erfüllen zu wollen. Sie ist stets freundlich, nett, aber sie lebt abseits der Tour auch gerne zurückgezogen. In Polen, wo sie wohnt, gelingt ihr das gut. "Früher war ich noch zurückgezogener", sagt Kerber lächelnd. Sie steht zu ihrem Lebensentwurf.

Bei Williams ging es dagegen um Leben und Tod. Wortwörtlich. Und weil sie das Gegenteil von zurückgezogen ist, weiß das die halbe Welt. Sie hat sich, aufgrund ihrer Familienhistorie, schon automatisch nicht nur alleine auf den Beruf der Tennisspielerin fixiert. Als Williams im Herbst erstmals Mutter wurde und bei der Geburt der Tochter Olympia fast gestorben wäre, schilderte sie in einer TV-Serie namens "Being Serena" dieses Schicksal ausführlich.

Diese Extrovertiertheit ist normal für sie. Ihr ganzes Leben war öffentlich. Mit der älteren Schwester Venus brach Serena, gedrillt, vermarktet vom Vater, aus dem Ghetto L.A's auf, den Sport zu prägen, gegen Rassismus, für Frauenrechte einzutreten. Williams ist auch eine gesellschaftspolitische Person. Ein Star im Sinne der Popkultur sowieso. Ihre Leistung nun beruht auch darauf, inmitten ihrer Tausend Projekte Tennis noch unterzubringen. Manche in der Branche finden, es spricht nicht für die Qualität der Konkurrenz, dass jemand ein Kind kriegt, mit 36 einfach wieder den Schläger in die Hand nimmt und im nur vierten Turnier Wimbledon gewinnt. Man muss es aber wohl so sehen: Es spricht für die Qualität von Williams.

Williams weißt nicht viel über Kerber

"Ich sehe einen Champion", sagt Kerber über Williams. Sie kennt ihre Verdienste. Williams, das war ihren Kommentaren zu entnehmen, weiß nicht viel über Kerber. Einmal nannte sie Kerber und Julia Görges, die sie im Halbfinale bezwang, "nice girls", nette Mädchen. Das ist ihre Art, den Respekt auszudrücken, den sie hat, vor Kerber, als Gegnerin, als Profi. "Sie ist zum zweiten Mal in drei Jahren hier im Finale, richtig? Das ist beeindruckend", sagt sie.

Zwei Frauen, zwei Universen. Kerber und Williams begegnen sich nun wieder auf dem Centre Court von Wimbledon. Einfach nur mit einem Schläger in der Hand. Wie 2016. Und doch ist vieles anders.

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