Tennis:Kerbers Romanze mit Wimbledon

Wimbledon 2021

Angelique Kerber strahlt in Wimbledon Freude und Leidenschaft für ihren Beruf aus wie an keinem anderen Tennis-Ort der Welt

(Foto: dpa)

Angelique Kerber lässt auch der Tschechin Karolina Muchova keine Chance und kämpft nun um ihr drittes Wimbledon-Finale. Sie erblüht wie zu ihren besten Zeiten.

Von Gerald Kleffmann

Wurde ein Interview von 2018 eingespielt? Sie liebe das Gras so sehr, sie spiele auch wegen "you guys" an diesem Ort immer so gut, sagte Angelique Kerber, während sie auf dem Rasen stand, beim kurzen Interview nach ihrer jüngsten Arbeitsschicht. So glücklich sei sie, "endlich wieder mein Tennis spielen zu können", führte sie weiter aus. Und ja, das alles klang doch exakt so wie damals, als sie schon einmal einen ganz wunderbaren Lauf hatte. Sieben Siege sind es bis zum Titel beim berühmtesten Tennisturnier, sieben Mal gewann Kerber, 33, schon einmal in Serie im All England Club. Vor drei Jahren war das, als sie ihren Grand-Slam-Triumphen bei den Australian Open und US Open im Jahre 2016 auch noch den von Wimbledon hinzufügte.

Nun, im Juli 2021, ist sie bereits wieder bei fünf Erfolgen hintereinander auf diesem penibel gestutzten Rasen angelangt, was nach dem völlig unspektakulären 6:2, 6:3 am Dienstag gegen die Tschechin Karolina Muchova auch bedeutet: An diesem Donnerstag bestreitet die beste deutsche Tennisspielerin der vergangenen zwölf Jahre ihr viertes Halbfinale in England.

Dass sie sich rhetorisch gerne an bereits erprobten harmlosen Äußerungen festhält, ist ihr nicht vorzuwerfen. Vielmehr ist die Geschichte hinter diesem Detail ja sogar auch eine Erklärung dafür, wie es sein kann, dass Kerber just immer an der Church Road, diesem "magischen Ort", wie sie auch jedes Mal nicht zu erwähnen vergisst, aufblüht wie zu ihren besten Zeiten. 2012 Halbfinale, 2014 Viertelfinale, 2016 Finale, 2018 der Sieg - und nun? "Ich genieße jeden Moment", sagte sie, ihre Augen leuchteten. Wenn eines Tages die großen Würdigungen auf ihre Karriere kommen, wird man sie in jedem Fall an allerallererster Stelle mit ihren Auftritten in Wimbledon verbinden. Da läuft was zwischen den beiden.

Diese Partie war ein offenes Buch, ab Seite 1

Es war sicher ihrer Höflichkeit und dem Respekt gegenüber ihrer Gegnerin geschuldet, aber bei der schnellen Kommentierung ihres Sieges am Dienstag hatte sie tatsächlich gemeint, es sei ein "tight match" gewesen. Ein enges Match? Nein, das war es wahrlich nicht. Dieses Viertelfinale auf dem Court No. 1 war kein Duell auf Augenhöhe. Manchmal, sogar oft genug, sind Tennismatches ja höchst komplizierte Angelegenheiten, voller Wendungen und Höhen und Tiefen. Diese Partie war eher ein offenes Buch, ab Seite 1. Ab dem Moment, als Kerber 1:0 führte.

Das lag schlicht daran, wie sich beide präsentierten. Kerber tänzelte auch mal an der Grundlinie, puschte sich, das "Come On" ertönte. Muchova wirkte, als säße sie in einem Ohrensessel und würde, einen gepflegten Five-o'Clock-Tea umrührend, erst mal abwarten und schauen, was passiert. Herrje, das war so, als würde man einem Löwen einen schönen Braten hinwerfen und glauben, der würde erst mal schauen, was es noch als Beilage gibt. Kerber schnappte zu. Break zum 2:0. Bei 4:2 wehrte sie zwei Breakbälle ab, dramatisch war da aber auch nichts. Als es nach 35 Minuten 6:2 hieß, war da dieses Gefühl: Kann sie nicht verlieren. Kann Muchova nicht gewinnen. Never.

Wimbledon 2021

Die Geste der Siegerin: Angelique Kerber nach ihrem Erfolg gegen Karolina Muchova.

(Foto: Alastair Grant/dpa)

Das, was Kerber wieder so dominierend, so unangenehm zu spielen macht, ist vor allem ihre Zähigkeit. Sie versucht sich dazu zu zwingen, keine Fehler zu machen, was die Chancen erhöht, dass die Kontrahentin patzt. Und wenn sich die Gelegenheit zum direkten Gewinnschlag eröffnet, hat Kerber in den aggressiven Schlägen wieder Sicherheit. Sie strahlt zudem ein Selbstbewusstsein auf dem Platz aus, das einschüchtern kann. Wie bei diesen Menschen, die es im Supermarkt immer als erste an die Kassen schaffen, die den Parkplatz vor der Nase wegschnappen und dann mit einer Gott gegebenen Selbstverständlichkeit aussteigen und sagen: "Schöner Tag heute, oder?"

Nur um die Geschichte ganz zu erzählen: Nicht überall ist Kerber so kühn, so zuversichtlich, so frei in ihrem Wesen, das ja auch andere Seiten kennt. Wer sie womöglich immer nur bei den French Open gesehen hat und nun diese Kerber im Londoner Stadtteil SW19 betrachtet, mag sich denken: Ah, hat sie eine Zwillingsschwester? Die mag aber den acht Millimeter hoch geschnittenen Rasen wohl wesentlich lieber als diese rote Terre Battue! Acht Erstrunden-Niederlagen in Paris - was hat Kerber dort nicht schon für grummelnde Gesichter gemacht. Und sie hat dort auch nie zum Publikum frohlockt, wegen "you guys" brenne ich hier so auf den Sieg. Vielmehr war sie immer nur froh, dass die Sandplatzsaison dann vorbei war. War vor ein paar Wochen exakt wieder so.

Wimbledon

Oft zu spät am Ball: Karolina Muchova.

(Foto: Toby Melville /Reuters)

Der zweite Satz gegen Muchova bot nur zweimal latente Gefahr für Kerber, die auch 2018, als andere die Flatter bekamen, so robust wie ein kanadischer Holzfäller stur ihr Programm abrief - und Hieb auf Hieb setzte. In diesem Modus ist sie auch jetzt. Einmal legte Muchova ein Break zum 2:1 vor. Korrigierte Kerber umgehend. Und einen Breakball hatte Muchova noch, die offenbar auch eine Zwillingsschwester hat. Die wurde im Februar bei den Australian Open gesichtet, im Halbfinale des dortigen Grand-Slam-Turniers in Melbourne. Von dieser Klasse war die Wimbledon-Muchova, zumindest an diesem Nachmittag, weit entfernt. Nach 1:15 verwandelte Kerber den zweiten Matchball, beziehungsweise Muchova überreichte ihr den Sieg höflich: ein leichter Vorhandball aus dem Halbfeld, natürlich ins Seiten-Aus. 6:2, 6:3 für Kerber.

Im Halbfinale trifft sie in jedem Fall auf eine Australierin, die Weltranglisten-Erste Ashleigh Barty hatte es nach Kerbers Partie noch mit Landsfrau Alja Tomljanovic zu tun. "Es wird wieder ein großartiges Match, egal gegen wen", sagte Kerber. Bislang, und das spricht absolut für die Kielerin, die seit Jahren in Puszczykowo in Polen lebt, teilen bei diesem Turnier ihre Gegnerinnen diese Freude allerdings deutlich weniger.

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