Willy-Sachs-Stadion:Der Schlüssel zum Keller

Willy-Sachs-Stadion: Stadioneröffnung mit Nazi-Prominenz: Willy Sachs (2.v.r.) mit Hermann Göring (Mitte) und Heinrich Himmler (2.v.l.).

Stadioneröffnung mit Nazi-Prominenz: Willy Sachs (2.v.r.) mit Hermann Göring (Mitte) und Heinrich Himmler (2.v.l.).

(Foto: Sachs Archiv/oh)

Wegen der NS-Vergangenheit von Willy Sachs soll das Schweinfurter Stadion umbenannt werden.

Von Christian Bernhard

Julia Stürmer-Hawlitschek ist Geschichtslehrerin in Schweinfurt - und hat als solche seit Jahren ein Problem. Immer dann, wenn sie mit ihren Schülern das Thema "Schweinfurt in der Zeit des Nationalsozialismus" bearbeitet und dabei unweigerlich auch die Person Willy Sachs thematisiert, fragen sie Schüler hinterher, warum denn das Schweinfurter Fußball-Stadion nach Willy Sachs benannt ist. Das, sagt sie, "kann ich ihnen dann nicht erklären".

Stürmer-Hawlitschek ist auch SPD-Stadträtin in Schweinfurt. In dieser Funktion hat sie am 9. November den Antrag eingebracht, das Willy-Sachs-Stadion in "Sachs-Stadion" umzubenennen und Willy Sachs die Ehrenbürgerschaft zu entziehen. Der Antrag wurde mit Ausnahme der AfD fraktionsübergreifend mitgetragen, für Stürmer-Hawlitschek ist er "historisch für Schweinfurt".

Willy Sachs, geboren 1896, war der Sohn von Ernst Sachs, dem Gründer des Unternehmens Fichtel & Sachs, das Anfang des 20. Jahrhunderts zu einem der wichtigsten Industriebetriebe Deutschlands wurde und Schweinfurt weltweit als "Kugellagerstadt" bekannt machte. Willy Sachs, der 1932 den Familienbetrieb übernahm, war ein Nationalsozialist. Bei der Einweihung des Willy-Sachs-Stadions, das er der Stadt stiftete, trat er im Juli 1936 in SS-Uniform an der Seite von Heinrich Himmler und Hermann Göring auf. Von Adolf Hitler, den er an jenem Tag als "unseren großen und geliebten Führer" würdigte, erhielt er ein persönliches Glückwunsch-Telegramm. Willy Sachs war zu diesem Zeitpunkt bereits SS-Hauptsturmführer - und Gast auf Görings zweiter Hochzeit, bei der Hitler Trauzeuge war. 1942 wurde ihm von Hitler das Kriegsverdienstkreuz 2. Klasse verliehen, Spenden von Willy Sachs an die NSDAP sind von 1933 an dokumentiert. Im Familienunternehmen arbeiteten während des Zweiten Weltkrieges rund 4000 versklavte Zwangsarbeiter aus zahlreichen Ländern.

"Es heißt immer wieder, wenn ich auf der Straße angesprochen werde: Der war doch so nett."

Historisch belegt ist all das spätestens seit 2015, als Andreas Dornheim von der Otto-Friedrich-Universität Bamberg seine Chronik "Sachs. Mobilität und Motorisierung. Eine Unternehmensgeschichte" veröffentlichte, in der Willy Sachs' Nazivergangenheit penibel aufgearbeitet wurde.

Es drängt sich also die Frage auf, warum der Antrag erst jetzt in den Stadtrat kam. Um sich darüber zu unterhalten, gibt es wohl kaum einen idealeren Gesprächspartner als Klaus Hofmann. Er beschäftigt sich seit dem Ende der 1970er Jahre mit diesem Thema und ist der Sprecher der Schweinfurter "Initiative gegen das Vergessen". Hofmann spricht von einer "unheiligen Allianz", die die historischen Fakten "viele Jahre lang" nicht wahrhaben wollte. Das Thema sei mit dem Verweis darauf, dass es das Image der Stadt schädige, immer wieder totgeschwiegen worden. "Einflussreiche Leute in der Stadt wollten das einfach nicht", sagt er.

"Die Schweinfurter und Willy Sachs, das ist ein ganz besonderes Thema", sagt Stürmer-Hawlitschek, da die Stadt sehr von ihm geprägt sei - und "viele sehr uninformiert" seien. In Schweinfurt sei oft die Rede von "unserem Willy", berichtet sie, "und es heißt immer wieder, wenn ich auf der Straße angesprochen werde: Der war doch so nett." Der Schriftsteller Peter Roos hatte schon 2002 auf einer Lesung zum Thema Stadion gesagt: "Jede Stadt hat ihre Nazi-Leiche im Keller, die Tür zugesperrt und den Schlüssel weggeworfen."

Seit die SPD-Stadträtin zusammen mit Adi Schön von den Freien Wählern den Keller aufgesperrt und den Antrag eingebracht hat, erntet sie auch immer wieder Kritik dafür. Ihr geht es aber darum, "dass man die Vergangenheit von Willy Sachs so nicht stehen lassen kann". Umso wichtiger ist ihr, dass mit dem Name Sachs "differenziert" umgegangen wird, denn gerade Ernst Sachs habe viel Gutes für die Stadt getan. "Deshalb haben wir auch vorgeschlagen, den Namen des Stadions in 'Sachs-Stadion' zu ändern - im Andenken an den Rest der Familie Sachs und die Tausenden Beschäftigten, die das Unternehmen groß gemacht haben", betont Stürmer-Hawlitschek.

Der Oberbürgermeister möchte nun eine Kommission bilden - wer darin sitzt, ist noch offen

Auch aus einer gemeinsamen Stellungnahme von Vorstand und Fans des 1. FC Schweinfurt 05 geht hervor, wie polarisierend das Thema ist. In der aktiven Fanszene werde die Umbenennung "sehr lebhaft diskutiert", heißt es, "manche Fans unterstützen diese voll und ganz", andere würden den Stadionnamen "gerne behalten". Die Klub-Vorstandschaft spricht sich einstimmig für die Umbenennung des Stadions aus, diese sei auf Basis der veröffentlichten Informationen zum Leben und Wirken von Willy Sachs in der Zeit des Nationalsozialismus "konsequent und richtig".

Diese Woche wurde es noch einmal emotionaler. "Die Stimmung in Schweinfurt kocht", sagt Stürmer-Hawlitschek, die Situation sei "sehr, sehr verworren". Der Antrag wird in der Stadtratssitzung am 1. Dezember nicht vorgestellt, sondern nur verlesen, da sich jüngst die Historiker Thomas Horling und Thomas Schmitz in die Debatte eingeschalten haben und diese der Meinung sind, dass die historische Aufarbeitung, auf welcher der Antrag fußt, die Person Willy Sachs nicht in Gänze beleuchten würde. Horling schrieb, an Verbrechen sei Willy Sachs "nicht beteiligt" gewesen, zudem sei der Titel SS-Obersturmbannführer ein "Ehrentitel" gewesen, "mit dem keine Karriere im eigentlichen Sinne verbunden war". Oberbürgermeister Sebastian Remelé (CSU) will nun eine Kommission bilden, die sich mit dem Thema beschäftigt. Wer neben dem Leiter des Stadtarchivs, der ein Gutachten erstellen soll, Teil dieser Kommission ist, ist offen.

Stürmer-Hawlitschek beschäftigt sich mittlerweile "24/7 mit nichts anderem mehr" als mit der Debatte um Willy Sachs, mit dem Gutachten rechnet sie nicht vor Januar. Sie sagt: "Ich befürchte das Schlimmste."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: