Williams-Duell in Wimbledon:Zu viel für die Mutter

Day Seven: The Championships - Wimbledon 2015

Serena Williams (hi.) wird auch von Venus nicht gestoppt

(Foto: Getty Images)
  • Serena Williams schlägt ihre Schwester Venus im Achtelfinale von Wimbledon in zwei Sätzen.
  • Der Mutter ist das Duell zu aufregend.
  • Serena hat nun noch Chancen auf den Grand Slam.

Von Gerald Kleffmann, Wimbledon

Fröhlich bogen zwei russischen Nachwuchsspielerinnen um die Hecke, und als sie auf Trainingsplatz 16 im Aorangi Park blickten, wie die Übungsanlage in Wimbledon heißt, zuckten sie zusammen. Starrten. Schüttelten sich. Dann begann die große Kicher-Arie. Thanasi Kokkinakis, 19, übte dort leibhaftig, was für ein Anblick! Der Australier aus Adelaide bringt mit seinem Popstar-Knuddellook Mädchenherzen wie auf Knopfdruck zum Schnellerschlagen.

Keine fünf Minuten später schlenderte Venus Williams, 35, vorbei, sie blickte allerdings nicht auf, sie ging auf Platz 8, packte die Tasche aus, fast hätte man meinen können: ein Tag wie jeder andere im Leben eines Profis, der seit 20 Jahren weltweit unterwegs ist. Aber etwas war doch anders. Serena fehlte. Hatte nicht die zwei Jahre jüngere Schwester gesagt: "Ich trainiere jeden Tag neben ihr"?

Das hatte sie tatsächlich gesagt, nur wäre es schon ungewöhnlich gewesen, wenn sich zwei, die ein wichtiges Match gegeneinander bestreiten, gemeinsam einschlagen. An diesem angenehmen Sommermontag hatten sie ja einen Termin, 13 Uhr, Centre Court, Achtelfinale, zum 26. Mal Sister-Act, Williams gegen Williams. "Es wird nie einfacher", verriet Serena später, als sie ihre sechste Auseinandersetzung auf dem Centre Court von Wimbledon mit der Schwester beendet hatte. Daher hatte sie es vorgezogen, einen Vormittag lang auf Distanz zu gehen. Sie hatte sich am anderen Ende der Anlage eingeschlagen, auf dem offiziellen Turnierplatz No. 10.

Mit welchem Blickwinkel dieses Duell wahrlich zu betrachten war, erklärte David Witt, der langjährige Schlagpartner von Venus, mit Nachdruck: "Genießt es, solange wir sie haben. So was wie die zwei werden wir nie wieder sehen."

Vor Wimbledon trainierten sie noch auf den Grasplätzen von Golflegende Jack Nicklaus

Schon um 14.28 Uhr war dann das aus Familiensicht grausame Ende da, die eine Williams flog raus, die andere Williams war weiter und hat dafür immer noch die Chance, Außergewöhnliches zu schaffen. Was wäre das andererseits für eine Geschichte gewesen, wenn Venus ihrer Schwester den Weg zum möglichen Grand Slam, zum Gewinn aller vier großen Turniere in einer Saison, versperrt hätte. Bei der 4:6, 3:6-Niederlage hielt sie gut dagegen, 15 Punkte gelangen ihr mit harten Grundlinienwinnern. Aber Serena setzte diesen 36 entgegen, sie war zu dominant.

Nach 67 Minuten schritten beide gemächlich ans Netz, umarmten einander. Serena gab danach zu: "Es ist schwer, sich zu freuen, wenn man gegen jemanden spielt, den man liebt, um den man sich sorgt." Die zwei sind ja mehr als Schwestern. Sie sind Verbündete, Leidens- und Erfolgsgenossinnen, das Wirken der einen ist nicht ohne das Wirken der anderen zu betrachten.

Training bei der Golflegende

Beide wuchsen in einem der schwierigsten Viertel in Los Angeles auf, in Compton. Vater Richard, der selbst eine schwierige Kindheit in Louisiana hatte, soll der Legende nach den Beruf der Tennisspielerinnen für die Töchter vor deren Geburten geplant haben. Die Familie zog nach Florida, der Vater schickte die Mädchen auf eine renommierte Tennisschule, von dort aus eroberten die Schwestern die Welt, begleitet von Tiefen. 2003 starb Halbschwester Yetunde Price bei einer Schießerei. 2011 musste Serena wegen einer Lungenembolie notoperiert werden, bei Venus wurde im selben Jahr das Sjögren-Syndrom diagnostiziert, eine Autoimmunerkrankung, die sie ermüdet und schwächt.

"Sie ist meine größte Inspiration", sagt Serena über Venus, die ihrerseits sagt: "Für mich gibt es so etwas wie Aufgeben nicht. Aber auch nicht für sie. Sie hat so viel durchgemacht. Und sie hat sich nie beklagt." Die Bande ist enger als eng, in West Palm Beach/Florida sind sie Nachbarn, sie wohnten gar mal zusammen, ohne Reibung. Das einzige, was Venus an Serena auszusetzen hatte, war, "dass sie das ganze Haus nutzte" - aber selbst das sagte Venus am Montag mit einem milden Lächeln.

In den Tagen vor Wimbledon trainierten sie noch bei der Golflegende Jack Nicklaus, 75, der 18-malige Majorsieger besitzt in North Palm Beach drei Rasenplätze. Mit anderen Kolleginnen bestreiten sie keine Praxissessions, sie wollen Schwachstellen nicht preisgeben, einander vertrauen sie. Daran haben auch zig bedeutsame Spiele nichts geändert, allein in acht Grand-Slam-Finals trafen sie sich, aber gewöhnt an die Konfrontation haben sie sich nie.

"Es war schon irgendwie surreal heute", sagte Venus angesichts der Tatsache, dass sie im vergangenen Jahrtausend den ersten Sister-Act bestritten; 1998 siegte Venus in der zweiten Runde der Australian Open. Zu der Zeit war Steffi Graf noch aktiv, deren Rekord von 22 Grand-Slam-Titeln hat Serena nun weiter im Visier; 20 hat sie bereits.

Oracene Price, die Frau mit dem berühmten Wuschelkopf, hat im Übrigen auch Probleme mit dem Duell, "vielleicht fahr' ich zum Big Ben und mache ein Foto", hatte sie ominös angekündigt. Tatsächlich wusste später nicht mal Venus, wo ihre Mutter war. Im Stadion sah man sie nicht, "aber vielleicht kommt sie zum nächsten Match". Eine Williams ist ja weiter.

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