Wildmoser:Der letzte Gang

Von Gerald Kleffmann

Als Karl-Heinz Wildmoser plötzlich zu sehen war, im Treppenhaus hinter der großen Glasfront, brach Hektik aus. Fotografen quetschten sich vor die Absperrung, die den Zutritt zur Geschäftsstelle des TSV 1860 München verhinderte.

Dutzende Fans begannen zu grölen, Bier spritzte durch die Luft, eine Stimmung wie auf dem Oktoberfest. Und während Wildmoser weiterging, immer sichtbar hinter der Glasfront, begleitet von einem dunkelhaarigen Mann, Stufe für Stufe hinabschreitend, brachten sich die Reporter in Position zwischen Menschen, die wie Flummies auf- und absprangen. Sie saugten den Augenblick auf, sie erlebten, wie er, dieser wuchtige, mächtige, eigenartige Mann seinen letzten Gang als Präsident ging.

An den Augen Wildmosers war es zu erkennen: Er war nicht mehr Präsident des TSV 1860. Tränen glänzten auf seiner Netzhaut, Wildmoser blickte starr, gebrochen. Soeben vom Aufsichtsrat entmachtet, von den Fans höhnisch empfangen, von den Journalisten befragt wie ein Verbrecher.

Es war eine Demütigung, die Wildmoser bei seinem Abschied vom Vereinsgelände ertragen musste, er versuchte, gefasst zu bleiben. Er schritt ins Freie, faltete sein Sakko, legte es auf die Rückbank der bereit stehenden Limousine, setzte sich ans Steuer und fuhr los. Weit kam er nicht, die Menge tanzte einen letzten Tanz vor der Kühlerhaube.

Wildmoser blickte starr. Dann war er weg, die Menge aber taumelte weiter, und zurück blieb der seltsame Eindruck, dass an diesem Abend des 15.März 2004 nichts Geringeres passiert war als Sportgeschichte. Einer der letzten Patriarchen des Fußballs war entmachtet worden.

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