Wie das Nationalteam gegen Italien scheiterte:Kunstvoll selber ausgetrickst

Gomez, Kroos, Podolski statt Klose, Reus, Müller? Eine ganz andere Schlachtordnung als bei den vier gewonnenen Spielen zuvor. Mit diesen fundamentalen Eingriffen in die deutsche Turniermechanik hatte niemand gerechnet. Bundestrainer Joachim Löw muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass er eine zuvor erfolgreiche Taktik eigentlich ohne Grund geändert hat.

Philipp Selldorf

Der Maulwurf war ein großes Thema vor dem Spiel; der Verräter deutscher Kabinengeheimnisse wurde stilisiert wie der mysteriöse Schwerverbrecher im Edgar-Wallace-Krimi. Auch der Maulwurf ist jetzt ausgeschieden, unerkannt und anonym ist er heimgereist. Ob der Saboteur überhaupt beim Spiel in Warschau war? Womöglich hat er ja erneut die Aufstellung ausspioniert, die der Bundestrainer für das Spiel gegen Italien entworfen hatte.

Aber wer hätte ihm das geglaubt: Gomez, Kroos, Podolski statt Klose, Reus, Müller? Eine ganz andere Schlachtordnung als bei den vier gewonnenen Spielen zuvor. Mit diesen fundamentalen Eingriffen in die deutsche Turniermechanik hatte niemand gerechnet.

Man kann sagen, dass Joachim Löw den Maulwurf besiegt hat; man kann sogar behaupten, dass er den Wettstreit gegen seinen schlauen Kollegen Cesare Prandelli gewonnen hat - mit seiner Formation und seiner Strategie hat der deutsche Bundestrainer den italienischen Commissario Tecnico in jedem Fall überrascht. Allerdings hat Joachim Löw nicht nur Prandelli, sondern auch sein eigenes Team ausgetrickst, er hat sich selbst überlistet. Sein Konzept nutzte nur dem Gegner.

Außerdem war die Statik seines Konstrukts instabil, beständig wackelte rechts die Deckung. Als es deshalb nach 36 Minuten 0:2 stand, war Löw zum nötigen Umbau nicht mehr imstande. Er hat zur Pause zwei Wechsel vollziehen müssen, um seinen Aufstellungsfehler zu korrigieren, er hat Podolski und Gomez gegen Reus und Klose getauscht; den dritten unvermeidlichen Wechsel - Schweinsteigers Erlösung von seinem Leid als verhinderter Spielgestalter - hat er am Ende unterlassen müssen. Er hatte seine Wechseloptionen verbraucht.

Die Fehler im Spiel haben die Spieler begangen, aber der Ur-Fehler stammt von ihrem Trainer. Löw hat sich mit seinen Beschlüssen über die Turnier-Wirklichkeit erhoben, die sein Team bis dahin aufgebaut hatte. Löw liebt es, das Unerwartete zu tun, unkonventionell zu handeln, sich über die klassischen, oft ja auch platten Weisheiten hinwegzusetzen. Seine Ideen haben sich oft als produktiv erwiesen: Zum Beispiel hat er mitten im Turnier den Rechtsverteidiger Lars Bender erfunden. Aber die Art, wie er in Warschau klassische Weisheiten ignorierte, wirkte wie eine Form von Selbstüberhöhung, mindestens aber blasiert.

Vermutlich sind jetzt viele Deutsche sauer auf den Bundestrainer, den sie bis Donnerstag so cool fanden und für seine Souveränität schätzten. Sie fragen sich, warum dieser gewandte und versierte Trainer mit seiner Mannschaft immer am letzten oder vorletzten Hindernis scheitert, und warum dann diese Niederlagen - zweimal gegen Spanien, nun gegen Italien - immer so aussehen, als wären sie das Ergebnis eines kraftlosen Versagens.

Dass er nach dieser EM weniger nach den vier Siegen als nach der einzigen Niederlage beurteilt wird, damit muss Löw nun zurechtkommen, das hat er herausgefordert. Andere Folgen wiegen schwerer: Die selbstverschuldete Niederlage gegen Italien bleibt eine Last, die die Deutschen mit ins nächste Turnier schleppen werden.

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