Wettskandal:Zocker gegen Zocker

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Im bislang größten europäischen Fußball-Wettskandal erhärtet sich der Verdacht der Bandenkriminalität - die Staatsanwaltschaft plant erste Anklagen.

Hans Leyendecker

Die Schwerpunktstaatsanwaltschaft Bochum wird voraussichtlich schon in den nächsten Wochen die erste Anklage im bislang größten europäischen Fußball-Wettskandal erstellen. Eine Reihe von Prozessen mit insgesamt mehr als einem Dutzend Angeklagten steht dann ab Spätsommer an. Den meisten von ihnen wird vermutlich gewerbsmäßiger Bandenbetrug vorgeworfen werden. Die Staatsanwaltschaft peilt angeblich bei zentralen Figuren Strafen zwischen vier und sechs Jahren Haft an.

Fünfzehn Verdächtige waren am 19. November 2009 bei einer Groß-Razzia der Bochumer Schwerpunktstaatsanwaltschaft und des örtlichen Kriminal-Kommissariats 21 in Deutschland festgenommen worden. In der Schweiz gab es zwei Festnahmen. Angeblich waren 200 Fußballspiele in neun Ländern manipuliert worden. Zehn der Beschuldigten sitzen noch immer in NRW in Haft.

Der Verdacht der Fahnder, die seit Januar 2009 ermitteln, basierte anfangs im Wesentlichen auf abgehörten Telefongesprächen, abgefangenen SMS und der Auswertung von E-Mails; die Lektüre war ein manchmal sehr wüster Stoff voller zum Teil merkwürdiger Geschichten.

Inzwischen hat sich die Beweislage, aus Sicht der Strafverfolger zumindest, noch erheblich verbessert und den alten Verdacht bestätigt. Bei etlichen Hausdurchsuchungen wurde belastendes Material gefunden. Mehr als ein halbes Dutzend der Inhaftierten hat zum Teil sehr ausführliche Geständnisse abgelegt. So hat einer der Hauptverdächtigen über einen Zeitraum von sechs Wochen an zehn Vernehmungstagen ausführlich ausgepackt.

Er hat, ebenso wie andere Verdächtige, auch über die Szene des VfL Osnabrück geredet. Danach sollen die ehemaligen Spieler Marcel Schuon, Thomas Cichon und Bilal Aziz entweder von Spielmanipulationen gewusst oder sie gefördert oder mit verschobenen Spielen Geld verdient haben. Insbesondere Schuon und Aziz werden in Vernehmungen schwer belastet. Schuon und Cichon haben schon vor Monaten vehement dementiert, auch nur irgendein Spiel verschoben zu haben.

Daran hat sich nichts geändert. Ihr früherer Osnabrücker Mitspieler Thomas Reichenberger hingegen, gegen den auch Ermittlungen eingeleitet worden sind, wurde von mehreren Tatverdächtigen entlastet. Von illegalen Kontakten Reichenbergers sei ihm nicht bekannt, sagte ein im Raum Niedersachsen tätiger Zockerkönig. Die meisten der Geständnisse, die insgesamt rund eintausend Seiten umfassen, beziehen sich auf verschobene Spiele in der Türkei.

So provinziell die verdächtige deutsche Szene wirkt, so fiebrig ist die türkische Szene. Rund vierzig Verdächtige sitzen derzeit wegen des Wettskandals in Haft. Betroffen sind vor allem Vereine der zweiten und dritten Liga. Türkische Ermittler arbeiten eng mit Bochumer Fahndern zusammen.

Die in Deutschland operierende Bande hatte, den Ermittlungen zufolge, keinen engen Zusammenhang. Ihre Zentren waren Berlin, das Ruhrgebiet und Nürnberg. Die beiden Köpfe der Bande sollen der aus Herten stammende Deniz C. und der Berliner Ante Sapina gewesen sein. Sapina, in der Wettszene als "Navigator" bekannt, weil er schon in den ersten Wettskandal im Jahr 2005 verstrickt war, gilt vergleichsweise als sanft.

Der Wettpate Deniz C. hingegen wird von Ermittlern eher dem Milieu der Organisierten Kriminalität zugerechnet und er gilt als sehr robust. Sapina und C. sind angeblich nie zusammengetroffen und hatten nicht direkt miteinander zu tun. Die aus dem Ruhrgebiet und die aus Berlin waren über Bekannte im Frankenland miteinander verbunden.

Drei gekaufte Spieler pro Partie

In ihren Geständnissen beklagen manche der illegalen Zocker den Umstand, sie seien von den anderen reingelegt worden. Beispielsweise seien Wettschulden oft nicht bezahlt worden. So soll Mario C. aus Nürnberg 300 000 Euro Schulden bei Nurettin G. aus Lohne gehabt haben, der sechs Wettbüros besaß. G. wiederum hatte bei Tuna A. sehr viel Geld verloren. Die meisten Akteure agierten wie Zocker, die an der Nadel hängen. Es wurde getrickst und getäuscht.

Verbindungsleute im Ausland forderten von deutschen Paten hohe fünfstellige Summen für angeblich gekaufte Spieler. Allerdings wussten die Kicker offenkundig nichts von einer geplanten Manipulation: "Der Penner, der das Spiel verkauft hat, hat drei Tore gemacht", klagte der Zocker Mario C., dessen Telefon abgehört wurde. Das gängige Muster für ein verschobenes Spiel waren drei gekaufte Spieler in einer Mannschaft. "Zwei sind zu wenig", soll der kundige Sapina gesagt haben, der bislang noch nicht ausgepackt hat. Manchmal wurde auch die gesamte Mannschaft gekauft. Auch soll ein Funktionär eines türkischen Vereins der gegnerischen Mannschaft eine Siegprämie versprochen haben, weil er gegen das eigene Team gewettet habe.

Weil im Oktober 2009 ein von deutschen Wettpaten angeblich gekauftes Spiel zwischen dem türkischen Erstligisten Kayserispor und Eskisehirspor anders ausging als gewettet, soll ein deutscher Pate zwei Spieler - einer war der Ex-Osnabrücker Bilal Aziz - heftig bedroht haben. Beide beichteten daraufhin dem Vereinsmanager die Geschichte. Aziz wurde im Januar 2010 vom Verein suspendiert, sein Kollege kam im März in Haft. Die Drohung sei nicht ernst gemeint gewesen, sagte einer der Paten in Bochum bei seiner Vernehmung. Ein Kollege, der mit Aziz nach dem Spiel gesprochen hatte, habe maßlos übertrieben. Gewalt lehne er ab.

© SZ vom 10.4.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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