Wettskandal: SSV Ulm:Betrogen um jede Menge Illusionen

Lesezeit: 3 Min.

Der Wettskandal hinterlässt Brennpunkte wie den SSV Ulm, dem nicht nur die Ermittlungsakten zusetzen.

Claudio Catuogno

Am schlimmsten, sagt René Mick, waren die Tage der Ungewissheit. Und das will etwas heißen, heute, wo er weiß, wie schwer schon die Gewissheit zu ertragen ist. Die Gewissheit, dass es in den vergangenen Jahren nicht mit rechten Dingen zugegangen sein kann in manchen Spielen des Fußball-Regionalligisten SSV Ulm. Dass rote Karten nicht das Ergebnis ungestümer Leidenschaft waren, sondern Folge kühler Berechnung, und dass Elfmeter nicht in der Hitze des Gefechts verschossen wurden - sondern auf Bestellung. Die Gewissheit also, dass das, was Mick für sportlichen Wettbewerb hielt, wohl neu benannt werden muss: als organisiertes Verbrechen.

Einer von drei fristlos gekündigten Kroaten des SSV Ulm: Dinko Radojevic (r.). (Foto: Foto: imago)

Die Bochumer Staatsanwaltschaft war da, hat Fragen gestellt, hat Erkenntnisse präsentiert, und in Stuttgart, Ebersbach/Fils und Göppingen-Faurndau hat sie Wohnungen durchsucht. Die des Innenverteidigers, die des zentralen Mittelfeldspielers und die des Stürmers. So zielsicher, wie sich die Bundesstraße B 10 von Stuttgart über Ebersbach und Faurndau nach Ulm schlängelt, so sollte der Ball beim SSV über diese drei Akteure vors gegnerische Tor gespielt werden. Aber inzwischen muss René Mick, der SSV-Präsident, davon ausgehen, dass er das kreative Zentrum seines Teams einer Art Achse des Bösen anvertraut hat.

Wie das Manipulieren von Spielen den Fußball im Kern erschüttert, das kann man gerade an verschiedenen Brennpunkten besichtigen, in Verl, in Osnabrück. Und eben in Ulm, beim so traditionsreichen wie unglücklichen SSV, dem in den neun Jahren seit seinem Bundesliga-Abstieg so ziemlich jedes Übel begegnete, Größenwahn, windige Funktionäre, Finanzkrisen - und nun auch dieses.

Aber diesmal, darauf legt René Mick Wert, sei man "selbst Opfer". Und ohnehin ist ja noch niemand angeklagt oder gar verurteilt, auch von Geständnissen ist im Ulmer Kapitel der Wett-Affäre nichts bekannt. Aber die drei Kroaten Davor Kraljevic, 31, Dinko Radojevic, 31, und Marijo Marinovic, 26, haben wegen des sehr konkreten Verdachts, sie hätten absichtlich Spiele verloren, die fristlose Kündigung erhalten. Verteidiger, Mittelfeldspieler, Stürmer. Und für die Übriggebliebenen ergibt plötzlich alles auf bedrückende Weise einen Sinn.

Keiner traut dem Nebenmann

"Seit Jahren fragen wir uns das ja", sagt René Mick: "Wie kann es sein, dass wir so oft 1:0 führen, aber dann die Spiele nicht durchbringen?" Da sucht man nach Gründen: Ist es die Konzentration? Die Fitness? Der Trainer? Auf eine andere Antwort kommt man nicht sofort: Dass beispielsweise irgendwo in China ein Mann sehr viel Geld auf den Tresen eines Wettbüros gelegt hat, und dass deshalb nun alles so ausgehen muss, wie von seinen Komplizen in Europa arrangiert.

Drei mutmaßlich durch das Trio verschobene Ligaspiele wurden den Ulmern von den Ermittlern genannt, ein viertes wabert als Gerücht durchs Land, dazu noch ein Freundschaftsspiel gegen Fenerbahce Istanbul. Aber die zersetzende Kraft geht längst über Ermittlungsakten hinaus. Plötzlich erinnern sich Mick, Trainer Ralf Becker und Geschäftsführer Markus Lösch an viel mehr Seltsamkeiten. Wie viel Schein steckt in den letzten beiden Spielzeiten, in denen die drei Kroaten die "Schlüsselspieler" sein sollten beim SSV, nur eben ganz anders, als nun vermutet? "Es ist ein Wahnsinn", sagt René Mick. "Ich will gar nicht wissen, wann das angefangen hat."

Doch andererseits ist er eben auch froh, dass die Dinge nun auf den Tisch kommen, dass der Spuk vorbei ist und die Affäre einigermaßen überstanden, ohne abgesprungene Sponsoren, dafür mit einem 2:0-Sieg am vergangenen Samstag gegen Eintracht Frankfurt II. "Das hatte auch etwas von einer Befreiung."

Die Tage der Ungewissheit hingegen, das war jene Zeit, als Mick in den Zeitungen las, sein Verein sei in den Wettskandal verstrickt; am Trainingsplatz standen die Kamerateams, aber er selbst wusste von nichts. Was sagt einer, der von nichts weiß? "Der SSV Ulm 1846 Fußball e.V. war und ist weder direkt noch indirekt, weder mittelbar noch unmittelbar ..." Und so weiter.

Lächerlich, im Nachhinein betrachtet. Der Verein setzte Ehrenerklärungen auf, alle Spieler unterschrieben, auch die drei mutmaßlichen Wettbetrüger. Gegen Frankfurt wollte die Mannschaft mit einem Plakat auflaufen: "Wettskandal - ohne uns!" Im Stadionheft wehrte sich der Klub-Anwalt gegen Gerüchte. Aber gleichzeitig witterte doch auch jeder hinter jedem Busch Verrat, Trainer Becker sagt: "Es saßen 25 Leute in der Kabine, aber keiner wusste, ob er dem Nebenmann trauen kann." Nun hat die Wut wenigstens ein Ventil.

Torwart Holger Betz mistete eigenhändig die Spinde der drei ehemaligen Mitspieler aus, "das sind Betrüger", sagte er, und wenn er einem von ihnen begegne, könne er "für nichts garantieren". Und das Stadionheft haben sie ohne das von der Realität überholte Grußwort verteilt, eigenhändig haben sie die betreffende Seite rausgerissen, bei 1000 Exemplaren.

Ein lässig vergebener Strafstoß

Die Ulmer Spieler planen, die drei Kroaten wegen entgangener Prämien zu verklagen. Die Beweise scheinen ja erdrückend zu sein: Kraljevic, der früher bei TeBe Berlin spielte, soll mit Ante S. befreundet sein, einem der mutmaßlichen Drahtzieher des großen Betrugs. Beim 0:3 gegen Kassel in der vorigen Saison, bei dem die Wettmafia 141.080 Euro für eine Niederlage mit drei Toren Unterschied kassiert haben soll, verursachte Marinovic einen Elfmeter.

Und erst diesen Herbst gegen Darmstadt, Endstand 1:3 nach 1:0-Führung, verschoss wiederum Radojevic lässig einen Strafstoß. Über Zusammenhänge, Hintermänner, Anführer weiß man bisher wenig. Aber die Telefone der drei Kroaten wurden offenbar überwacht, die Staatsanwaltschaft will handfeste Beweise haben.

Ob sich der entstandene Schaden am Ende tatsächlich in Punkteprämien beziffern ließe? Der SSV Ulm ist ja nicht nur um ein paar Punkte ärmer nach dieser Affäre. Sondern auch um jede Menge Illusionen.

© SZ vom 03.12.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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