Olympia-Kälte:Wenn die Cola im Glas gefriert

Pyeongchang 2018 Winter Olympics

Eiseskälte in Pyeongchang: US-Athleten frösteln auf dem Skilift.

(Foto: REUTERS)

Die Winterspiele in Südkorea sind jetzt bereits rekordverdächtig frostig. Kälte und Sturm werden für den Olympia-Zeitplan zum Problem.

Von Johannes Knuth, Pyeongchang

Im Grunde musste man nur die Fahnen studieren. Für eine Weile hingen sie schlaff am Mast. Dann begannen sie plötzlich zu tanzen. Bald flatterten sie derart stramm, dass man meinte, der Wind würde mit seiner Wucht jede Falte aus dem Stoff trimmen. Beim Blick auf die Fahnen, die am Sonntagmorgen vor dem Mannschaftshotel der alpinen Skirennfahrer in Jeongseon mit dem Wind tanzten, war also klar: Eine Abfahrt würde heute nicht stattfinden.

Eine Stunde später sagte die Jury die erste alpine Leistungsschau dieser Spiele ab. Renndirektor Markus Waldner vom Ski-Weltverband Fis berichtete von "verrückten Windböen" am Berg, bis zu 100 Kilometer pro Stunde schnell. Der Südtiroler steht jetzt vor einer Denksportaufgabe, die er sich gerne erspart hätte. Er gab den Fahrern auch am Montag dienstfrei, es soll kalt und windig bleiben. Erst ab Mittwoch soll der Wind nachlassen, dann könnte es aber schneien. Das wiederum könnte Abfahrt und Super-G schaden, die nun am Donnerstag und Freitag stattfinden sollen.

Spätestens am Sonntag wollen die Frauen, die am Montag und Mittwoch ihre technischen Wettbewerbe auf einem anderen Hügel bestreiten, ihr erstes Abfahrtstraining abhalten, um nicht in der zweiten Woche in Verzug zu geraten. Dafür muss die Abfahrtspiste der Männer noch neu präpariert werden. Eine zweite, wie bei Großereignissen üblich, gibt es diesmal nicht; Umweltschützer waren schon sauer, dass die Veranstalter für die einzige Schnelltrasse eine Schneise durch den teils 500 Jahre alten, heiligen Forst gejagt hatten.

"Mei, joa, freilich ist es schad", sagte Abfahrer Thomas Dreßen nach der Absage am Sonntag, aber mei. Lieber kein Rennen als ein vom Winde verwehtes.

Derartige Glücksspiele gab es am Wochenende in Pyeongchang freilich auch zu bestaunen. Der Wind blies im Slopestyle-Finale der Snowboarder von hinten, von vorne, von der Seite in den Parcours. "Das hat eine große Rolle gespielt", sagte der Amerikaner Redmond Gerard nach seinem Olympiasieg. Viele Fahrer konnten das Tempo im Anlauf schwer abschätzen, viele stürzten, wenn auch ohne schwere Folgen. Die Slopestyle-Qualifikation der Frauen fiel danach aus. Die Skispringer erlebten auf der Normalschanze eine "Lotterie" (Polens Dawid Kubacki), erst um 0.30 Uhr war Andreas Wellingers Olympiasieg aktenkundig.

Hinzu kam die Kälte; am schlimmsten traf es den Schweizer Simon Ammann, der wurde gleich sechsmal auf den Absprungbakken raufbeordert, ehe er - sehr passabel - sprang. Ein Grund für die zunehmende Kälte war auch, dass die Skispringer erst um 21.30 Uhr Ortszeit ihren Wettkampf aufgenommen hatten, nach den Biathleten. Das gefällt den europäischen Fernsehanstalten besser, wovon wiederum die TV-Einnahmen des IOC profitieren. Die Tribüne am Ort? War nahezu leer.

Vor der Eröffnungsfeier hatten die Organisatoren in ihrer Willkommensbroschüre den Gästen übrigens empfohlen: "Die starke Leidenschaft aller Teilnehmer wird jedes extreme Wetter überwinden." Manchen Besuchern gefror bei der Zeremonie die Cola im Glas.

Erdbeben mit der Stärke 4,6

Die Athleten vertrauen weniger auf wärmenden Nationalstolz. Die Kanadier und Amerikaner tragen in Pyeongchang Skihosen und Parkas, in die batteriebetriebene Wärmezellen eingewebt sind. Andere kleben sich Tape auf freie Körperstellen wie die Wangen, die am ehesten kältegefährdet sind - vor allem bei den Alpinen, die mit mehr als 100 Kilometern pro Stunde durch die Kälte rauschen.

Die Norweger tragen Wollwäsche und beheizbare Socken. "Heiße Schokolade aus Norwegen ist auch beliebt" sagte Teamärztin Mona Kjeldsberg der New York Times. Richtig gefährlich werde es erst ab unter minus 25 Grad, dann drohen Erfrierungen. Für den Montag waren minus 14 Grad vorhergesagt, bzw. minus 25, wenn man den Wind dazu addiert. Ab Dienstag soll es wärmer werden, für Mittwoch sind Plusgrade veranschlagt.

So oder so sind die Winterspiele in Südkorea bereits rekordverdächtig frostig, und das liegt auch daran, dass es in Turin, Vancouver (Spitzname: Raincouver) und Sotschi rekordverdächtig mild war. Als sie am Schwarzmeerort Sotschi vor vier Jahren die Eiswettbewerbe abhielten, lagen die Menschen am Strand, in Badehosen und oberkörperfrei.

Und sonst? Als Pyeongchang am Sonntag wach wurde, flirrte auf vielen Handybildschirmen eine Nachricht mit vielen koreanischen Lettern auf, dazwischen eine 4,6. Viele fanden erst später am Tag heraus, dass ein Erdbeben der Stärke 4,6 den Osten des Landes erschüttert hatte, 260 Kilometer vom Ort der Winterspiele entfernt. Zu spüren war davon in Pyeongchang nichts. Überhaupt: "Alle Anlagen im Gebiet der Spiele sind so gebaut, dass sie Erdbeben mit Stärken von über 7,0 aushalten", sagte ein Sprecher des Organisationskomitees. Na dann.

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