Wettaffäre:Der Navigator und der Backgammon-Betrüger

Gierige Tipp-Gemeinschaft: Die Wettmafia soll von Berlin und Herten aus Verbindungen zu anfälligen Teams geknüpft haben.

Hans Leyendecker

Drei Männer im Hotel, ein Spielchen Backgammon - das versprach, ein netter Abend zu werden. Als sich in der Nacht zum 1. Mai 2008 der aus Herten im nördlichen Ruhrgebiet stammende Türke Deniz C., sein Kumpel Marijo C. und ein Abidin B. im Zimmer 608 des Nürnberger Sheraton zu einer Partie Backgammon verabredeten, soll die Stimmung zunächst fröhlich ge-wesen sein. B. hielt sich für einen guten Spieler, aber er verlor kräftig: 150.000 Euro an nur einem Abend.

Wettaffäre: In neun Ländern sind Spiele verschoben worden: hier der Überblick.

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(Foto: Karte: SZ)

Einen Teil der Spielschuld, immerhin 50.000 Euro, soll er gleich an Ort und Stelle bezahlt haben. Weil er die Restsumme aber, trotz dringlicher Ermahnung, nicht bezahlte, soll B. dann sechs Wochen später entführt, nach Herten verschleppt, tagelang in einen Keller gesperrt und verprügelt worden sein. Am Ende soll er gezahlt haben. Der Becher und die Würfel sollen übrigens präpariert gewesen sein.

Ob sich die Geschichte tatsächlich so abgespielt hat, werden die Ermittlungen der Bochumer Staatsanwaltschaft zeigen. Eigentlich hat die Szene auch nichts mit dem Wettskandal zu tun und doch erlaubt er einen Einblick in das Milieu: Deniz C. und Marijo C. sollen sich nach den Feststellungen der Strafverfolger mit "mindestens" vier weiteren Männern auf einer "Führungsebene" zusammengetan haben, um mit Hilfe von Spielern, Schiedsrichtern oder Offiziellen, Fußballspiele in Europa zu manipulieren.

Die Berichterstatter streiten sich derzeit, ob die "Drahtzieher" des großen Betruges aus Berlin oder aus dem Ruhrgebiet kommen. Vom Ergebnis her betrachtet, liegt das Ruhrgebiet mit acht von fünfzehn Festnahmen in Deutschland vorn. Auch in Nürnberg soll es eine Art Filiale gegeben haben. Richtig ist wohl, dass die Knoten des Netzes sowohl in dem Städtchen Herten im Ruhrgebiet als auch in der Hauptstadt geknüpft wurden.

Die Gruppe, die mehrere Dutzend Personen stark sein soll, hatte Fachleute für unterschiedlichste Aufgaben: Es gab Experten für die Ligen in Europa, Spezialisten für anfällige Mannschaften, für moralisch schwache Trainer und möglicherweise schwache Schiedsrichter.

Der Wettbetrug ist ein hartes Geschäft. Wenn einer auf vier Tore Unterschied gewettet hat, kann schon ein falsches Tor alles kaputtmachen. Riskant sind auch die Kombinationswetten. Das gekaufte Spiel läuft nach Plan, aber dann spielen die anderen nicht wie erwartet.

Affäre mit Rotlichtgeruch

Wen besticht man? Die Szene bevorzugt Torhüter und Schiedsrichter, aber das klappt oft nicht und dann müssen Feldspieler ran. Die Affäre verströmt einen Rotlichtgeruch. Etliche der Verdächtigen nennen sich Kaufleute, ihr Geschäft ist der Im- und Export aller Waren oder die Grundstücksverwaltung. Übersetzt heißt das, dass mancher von ihnen ein paar Saunaclubs sein eigen nennt.

Zwei der Verdächtigen könnten vielleicht das Gesicht der Affäre sein: Jener Deniz C. aus Herten, der beim Backgammon-Spiel einen so erfolgreichen Abend gehabt haben soll, und der Berliner Ante Sapina, den der Ex-Schiedsrichter Robert Hoyzer einst bewundernd "den Navigator" nannte. Beide sitzten in Untersuchungshaft. Sapina war der große Strippenzieher im ersten großen deutschen Wettskandal, und auch in der neuen Affäre rechnen ihn die Ermittler zum Führungspersonal. Mit 16 Jahren hat er schon gezockt.

Er verbrachte die Tage mit dem Studium von Quoten, hatte immer einen Informationsvorsprung vor den damaligen Wettanbietern, fuhr teure Autos und platzierte hohe Wetten. Als Beamte seine Wohnung durchsuchten, stießen sie bergeweise auf Quittungen von Sportwetten. Insgesamt gewann er mehr als er verlor. Sein Finanzamt in Charlottenburg machte später die Rechnung auf, dass er allein für das Jahr 2004 rund 1,754 Millionen Euro Einkommensteuer nachzahlen müsse. Die Verluste haben die Steuerfüchse allerdings nicht berücksichtigt.

Ein Leben auf großem Fuß

Sapina war charmant, auch vor Gericht. Bevor er zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, erklärt der Staatsanwalt im Plädoyer, es habe sich um ein "dreistes Bubenstück" gehandelt. Bubenstück? Auch der 30 Jahre alte Türke Deniz C. hat ein einnehmendes Wesen. Er kann höflich sein, aber auch, wie die Szene im Sheraton andeutet, sehr robust.

Vor Jahren stand er in Dortmund mal wegen versuchten Totschlags vor Gericht. Am Ende blieb eine Strafe wegen Körperverletzung übrig. All die Jahre hat ihn der erfahrene Strafrechtler Siegmund Benecken erfolgreich begleitet. "Mein Mandant ist ein anständiger Mann, der wirklich nichts mit Organisierter Kriminalität zu tun hat", sagt Benecken. Wer mag dem 67-Jährigen widersprechen?

Deniz C. lebte auf großem Fuß. Seine Leidenschaft ist, ebenso wie beim "Navigator", das Wetten. Auch bei C. haben vorigen Donnerstag Ermittler säckeweise Wettunterlagen abgeschleppt, ein paar Spezialitäten waren darunter: So gibt es heutzutage Live-Wetten, bei denen für Manipulation keine Zeit bleibt Hunderttausend Euro seien da schon mal fällig gewesen, sagt Beneckens Sohn Burkhard, der auch in der Kanzlei arbeitet und ebenfalls Deniz C. anwaltlich betreut.

Deniz C. und die anderen Verdächtigen werden vor allem durch Telefonabhöraktionen der Ermittler belastet. Aber es soll auch anderes, belastbares Material geben. Mindestens einer soll schon ausgepackt haben. Vielleicht wettet einer der Zocker in der Untersuchungshaft jetzt auf den Ausgang des Verfahrens.

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