Werksklub in Abstiegsgefahr:Seelsorger dringend gesucht

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Nach dem peinlichen Auftritt beim 1:4 gegen Schalke 04 steckt Bayer 04 Leverkusen im Zwiespalt zwischen dem Drang zum Handeln und der Abneigung, Aktionismus zu betreiben. Das Ergebnis sind seltsame Parolen.

Von Philipp Selldorf, Leverkusen

Der Abend war ohnehin schlimm genug, doch dann kam auch noch die Frau vom Radio. "Rudi Völler", sprach sie, "wie ist die Gemütslage? Enttäuscht?"

Der Sportchef von Bayer Leverkusen hätte an diesem schwarzen Freitag genügend Gründe gehabt, seinem bewährten Hang zum Jähzorn stattzugeben. Für die tiefsinnige Frage nach seinem Befinden hätte er sich mit einer tiefsinnigen Tirade revanchieren können, das hätte seiner Gemütslage vermutlich gut getan, aber Völler hatte entschieden, dass laute Töne an diesem Abend nicht sinnvoll wären. Der Mannschaft von Bayer Leverkusen trat er nach dem bedrückenden 1:4 gegen Schalke 04 nicht als tobender Betriebsleiter entgegen, sondern wie ein Seelsorger zur Seite. Völler glaubt offenbar nicht, dass öffentliche Strafpredigten die Chancen für den Klassenerhalt steigern könnten, nicht mal von einem Trainerwechsel verspricht er sich Besserung. "Eins darf jetzt nicht passieren", sprach er, "bei aller Kritik, die auch da sein muss: Wir dürfen uns jetzt nicht kaputtreden."

Das Wort kaputt kam dem Zuschauer öfter in den Sinn, nachdem Bayer keine Zeit verloren hatte, um rettungslos in Rückstand zu geraten. Keine zwanzig Minuten vergingen bis zur 3:0-Führung der Gäste, die Schalker konnten sich selbst nicht erklären, was ihnen da gelungen war. Die Mannschaft sei bis zum 3:0 "total effizient" gewesen, sagte Manager Christian Heidel. Was er nicht sagte: dass Schalke ein fantastisches Auswärtsspiel bestritten hätte. "Wir sind uns schon bewusst, wie das Spiel hier gelaufen ist", meinte Heidel. Günstige Umstände bescherten einen wunderbaren Start ins lange Wochenende.

Lachhaftes Defensivverhalten

Auch Tayfun Korkut beklagte vom Abpfiff um kurz vor halb elf bis weit nach dem Gongschlag um Mitternacht den unseligen Spielverlauf, den er immer wieder als "brutal" klassifizierte. Bayer hatte energisch begonnen, nach nicht mal einer Minute tauchte Julian Brandt allein vor Ralf Fährmann auf - doch der Schalker Torwart gewann den Zweikampf. Schalke stand stark unter Druck und schien geneigt, dem Druck nachzugeben, dann startete Nabil Bentaleb mit einem brillanten Steilpass auf Leon Goretzka den ersten vernünftigen Angriff, den Guido Burgstaller mit dem Schuss ins leere Tor ungestört vollenden durfte (6.). Auch dem Schalker 2:0 durch Benedikt Höwedes (10.) und dem 3:0 durch Alessandro Schöpf (18.) gingen gelungene Aktionen voraus, die allerdings auch deswegen glücken konnten, weil sie durch ein lachhaftes Defensivverhalten der Leverkusener begünstigt wurden.

Leere: Leverkusens Stefan Kießling wendet sich nach dem Spiel gegen Schalke von den erbosten Bayer-Fans ab. (Foto: Federico Gambarini/dpa)

Das Benehmen von Hilbert und Brandt bei Höwedes' Kopfball zum 0:2, die Desorganisation der gesamten Deckung beim 0:3 - das war tatsächlich eines Absteigers würdig. Die Schalker hätten bei fortgesetzter Konsequenz noch weitere Treffer erzielen können, Raum zum Kombinieren wurde ihnen ausreichend zur Verfügung gestellt. In einem repressiven Klubsystem mit dem zugehörigen Despoten im Präsidentensessel hätte Bayer-Coach Korkut die zweite Halbzeit vermutlich am Autoradio verfolgen dürfen. Doch Korkut erschien wie seine Elf auch zur zweiten Hälfte, in der Burgstaller noch sein achtes Schalker Bundesligator folgen ließ (50.). Summiert man dazu seine 14 Zweitligatreffer aus dem Nürnberger Halbjahr, dann hat Manager Heidel recht mit seinem Hinweis: Dann wandelt Burgstaller tatsächlich auf den Spuren von Aubameyang, Modeste und Lewandowski.

Kleine Protestversammlung am Parkplatz

Während die Schalker übermütig mit ihren Fans feierten, blieben die Leverkusener Emotionen am Freitagabend jederzeit unter Kontrolle. Ein paar Leute haben gepfiffen, in der Kurve forderte man gewohnheitsmäßig den Rauswurf des schnauzbärtigen Geschäftsführers Michael Schade, und zur Pause suchten einige bereits das Weite, das Zaunplakat mit dem Imperativ "Arsch aufreißen" nahmen sie mit. Später gab es dann noch eine Protestversammlung am Parkplatz, ein paar Anhänger versperrten den Spielern die Ausfahrt. Der verletzte Kapitän Lars Bender, sein Statthalter Ömer Toprak und andere Profis beruhigten die Lage.

Auch Tayfun Korkut hatte nichts zu befürchten, als er das Stadion verließ. Völler stellte ihm eine Beschäftigungsgarantie aus. Die Zusage, dass der Trainer bis zum Saisonende seine Arbeit machen dürfe, gelte "absolut", versicherte der Sportchef laut und deutlich im Namen des Vereins. Dass vielen Leuten dieses standhafte Festhalten merkwürdig vorkommt - Korkut hat seit dem Einstieg bei Bayer nur sechs Punkte aus acht Spielen geholt und lediglich ein Spiel gewonnen: beim 2:0 in Darmstadt -, das kann Völler verstehen: "Wenn Du 1:4 verlierst, dann ist es schwierig zu sagen: Die Trainingswoche war gut", gab er zu. Dennoch lobte er den Einsatz und die fachlichen Eigenschaften des Trainers.

Kießling versucht eine Ruck-Rede

Letztlich ist der Entschluss, der Zwischenlösung Korkut nicht eine weitere Zwischenlösung folgen zu lassen, Ausdruck von Ratlosigkeit und Hilflosigkeit. Bayer steckt im Zwiespalt zwischen dem Drang zum Handeln und der Abneigung, Aktionismus zu betreiben. Einerseits: Wer sollte es in der Kürze der Zeit besser machen als Korkut? Andererseits: Kann es mit ihm überhaupt besser werden? Dass es immer noch ein Stück schlechter geht, das zeigte sich am Freitag gegen Schalke, weshalb das nächste Spiel ein Drama werden könnte. Es findet in Ingolstadt statt. "Das muss langsam in jeden Kopf rein", versuchte sich Stefan Kießling, das wandelnde Bayer-Denkmal, an einer Ruck-Rede: "Wir haben in Ingolstadt, egal wie sie am Wochenende spielen werden, ein absolutes Endspiel. Wir müssen jetzt die Punkte holen, damit wir mit dem 16. und 17. Platz nichts zu tun haben."

Guido Burgstaller (links) erzielt hier den vierten Treffer seiner Mannschaft gegen Leverkusen. Zuvor hatte er bereits zum 1.0 getroffen. (Foto: Lars Baron/Getty Images)

Mit Blick auf die Leverkusener Besetzung ist das eine seltsame Parole. Außer dem ehemaligen Nationalspieler Kießling bot Korkut am Freitag die aktuellen Nationalspieler Leno, Bellarabi, Tah, Brandt, Volland und Henrichs auf. Und doch war den Schalkern ihr dritter Auswärtssieg in dieser Saison so leicht gefallen, dass Manager Heidel meinte: "kein Grund, euphorisch zu werden". Auch Schalke hat kommende Woche ein Endspiel: Beim SC Freiburg geht es um einen Platz im Europacup. Jenem Wettbewerb, auf den sich bis vergangene Woche auch die Leverkusener Chancen ausrechneten.

© SZ vom 30.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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