Werder verliert 0:6:"Es gibt Schlimmeres"

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Die Achterbahn-Saison von Werder Bremen findet beim 0:6 in Wolfsburg einen Tiefpunkt. Trainer Skripnik peilt aber bereits das Nord-Derby gegen den Hamburger SV an.

Von Korbinian Eisenberger, Wolfsburg

Am Biegungsgrad der Augenbrauen von Wolfsburgs Trainer Dieter Hecking lässt sich recht gut bemessen, wie gut seine Mannschaft Fußball spielt. Ein 60-Grad-Winkel muss da noch nichts heißen, doch in den vergangenen Wochen neigten sich die dichten Büschel immer bedrohlicher gen Süden. Es dauerte bis zum Samstagnachmittag, ehe sich die Hecking'schen Gesichtszüge nach zwei bitteren Wochen endlich mal wieder entspannten. Das Bundesliga-Heimspiel gegen Werder Bremen gewannen seine Wolfsburger mit 6:0 und feierten den zweithöchsten Sieg ihrer Ligageschichte. "Das sollte uns eine breite Brust für Moskau geben", sagte Hecking nach Abpfiff. Endlich hatte ihn seine Mannschaft wieder an jenes Team erinnert, das in der vergangenen Spielzeit in die Champions League gestürmt war, wo am Dienstag eine Reise an die Moskwa zum ZSKA ansteht. "Wir wollen wieder zu den besten Mannschaften in Deutschland gehören", sagte Hecking. Laut Tabelle gibt es nach 13 Spieltagen noch zwei Teams, die besser sind - der FC Bayern und Borussia Dortmund.

Die zweiwöchige Ligapause hat der VfL deutlich besser vertragen als die Bremer. Nach den beiden mut- bis lustlosen Auftritten in Mainz und Eindhoven (jeweils 0:2) fielen die Wolfsburger regelrecht über die Elf von Bremens Trainer Victor Skripnik her. Nationalspieler Max Kruse durfte sich nach zwei Toren und einer Vorlage als Mann des Spiels feiern lassen. Vieirinha, Josuha Guilavogui, Bas Dost und ein Bremer Eigentor ließen schließlich sogar den Rekordsieg aus der Saison 1998/99 wanken. Damals musste Borussia Mönchengladbach bei einem 7:1 dran glauben.

Früh ergeben sich die Gäste in ihr Schicksal

Den Kontrast dazu bildeten die Bremer. Mit hängenden Köpfen wollten die Profis in die Kabine, da scheuchte der einstige Nationalspieler und Weltmeister Torsten Frings, inzwischen Co-Trainer beim SV Werder, den frustrierten Haufen noch einmal vor die Kurve der Fans. Dort gab es ein gellendes Pfeifkonzert. "Das muss man erst einmal schlucken. Ich hätte nie gedacht, dass wir hier so untergehen", sagte Mittelfeldspieler Fin Bartels, der mit seinem Fernschuss (40.) die einzige Torchance der Gäste hatte. "Wir haben nur reagiert. Wolfsburg hat sich in einen Rausch gespielt, und wir haben richtig auf die Fresse bekommen", sagte Spielmacher Zlatko Junuzovic, der zur Halbzeit Claudio Pizarro Platz machen musste.

Spaß bei der Arbeit: Wolfsburgs Bas Dost (r.) lacht schon bevor er den Ball locker zum zwischenzeitlichen 5:0 gegen Bremen einschiebt. (Foto: Stuart Franklin/Getty Images)

Trainer Viktor Skripnik versuchte, die Bedeutung der Niederlage herunterzuspielen. "So ist das Leben. Es gibt Schlimmeres, als in Wolfsburg 0:6 zu verlieren", betonte der Coach. Sein Team hatte zuletzt vor gut einem Jahr 0:6 bei Bayern München verloren, er kennt das Gefühl: "Wir haben jetzt eine richtige Klatsche gekriegt, aber im nächsten Spiel gegen den HSV sind wir wieder da", sagte der Ukrainer und gelobte Besserung. Doch es war schon erstaunlich, wie sehr sich die Bremer in ihr Schicksal ergaben.

Bedenklich nahe an den Abstiegsplätzen

"Am Ende konnten wir uns bei unserem Keeper bedanken, dass die Niederlage nicht noch höher ausgefallen ist", stellte Skripnik fest. Nach dem Zwischenhoch mit drei Siegen aus vier Spielen stürzte das 0:6-Debakel die Bremer bedenklich nahe an die Abstiegsplätze. Noch drei Punkte beträgt der Vorsprung zum Relegationsplatz. "Ich habe immer gesagt, dass es für uns nicht um Titel geht, sondern nur darum, die Klasse zu sichern. Das haben heute wohl alle gesehen", erklärte Skripnik.

Der Fehlstart ins Spiel bestätigte bereits alle Bremer Befürchtungen. Vor 30.000 Zuschauern grätschte Verteidiger Galvez bereits in der elften Minute so unglücklich durch den Strafraum, dass er eine Vieirinha-Flanke ins eigene Tor verlängerte. Nach gut zwanzig Minuten verletzte sich dann Wolfsburgs Luiz Gustavo, er musste das Spektakel kurz darauf verlassen. Deutlich besser lief es dagegen für seinen Kollegen Max Kruse, der nach einer längeren Verletzungspause zum ersten Mal wieder auf dem Platz stand. Der frühere Bremer setzte kurz vor der Pause zum Sprung an, um eine Flanke mit dem Kopf zu erwischen - 2:0 (45.)

Dost und Kruse vollenden den munteren Reigen

An diesem Nachmittag waren, anders als im Wolfsburger Stadion sonst üblich, alle Tickets verkauft worden. Für einen Großteil der VfL-Fans hat sich die Investition gelohnt, nicht für die mitgereisten Bremer Fans - sie mussten einem fast leid tun an diesem kalten Spätherbsttag. Denn Heckings Team hatte sich gerade erst warm kombiniert. In der 56. Minute hatten sich die Bremer Verteidiger einmal mehr auf dem Flügel den Schneid abkaufen lassen. Diesmal war es Marcel Schäfer - er vertrat den verletzten Ricardo Rodríguez - der nach innen flankte und den Fuß von Vieirinha fand: 3:0.

In der 65. Minute kam André Schürrle auf den Platz. Es dauerte 20 Sekunden, da lief der Nationalspieler plötzlich alleine aufs Bremer Tor zu. Eine Glanzparade von Bremens Torhüter Felix Wiedwald vermasselte Schürrle einen Blitzstart. Zwei Minuten später sprintete Schürrle am Feldrand entlang und flankte in die Mitte. Dort stand Josuha Guilavogui und erzielte volley das 4:0 (67.). Dost mit dem 5:0 (78.) und Kruse mit dem 6:0 (87.) vollendeten den munteren Reigen. Der wilde Wirbel eines Nachmittags war beendet. Für Bremen allerdings hatte sich das Auf und Ab dieser Achterbahn-Saison fortgesetzt.

© SZ vom 22.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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