Süddeutsche Zeitung

Werder-Sieg:Komödie statt Drama für Bremen

Die Offensive von Werder gilt als die schwächste der Liga - doch im Abstiegskampf gegen Paderborn trifft das Team von Florian Kohfeldt fünfmal. Die Freude ist groß, die Aufgabe aber noch immer knifflig.

Von Ulrich Hartmann, Paderborn

Das 1897. Bundesligaspiel des SV Werder Bremen, bereits im Vorfeld zu einem der bedeutsamsten in der 56-jährigen Bundesliga-Historie dieses Klubs erkoren, begann mit einem verschossenen Handelfmeter. Der Stürmer Milot Rashica schoss ihn in der 19. Minute so unplatziert, dass Paderborns Torwart Leopold Zingerle ihn mit der linken Faust abwehren konnte. So beginnen Dramen. Auf diese Art steigen Bundesliga-Dinos ab. Kein Verein hat mehr Bundesligaspiele als Werder Bremen, und dieses viertletzte Saisonspiel, 40 Jahre nach dem bislang einzigen Bremer Abstieg, schien andeuten zu wollen, dass Werder in zwei Wochen mit seinem 1900. Bundesligaspiel zum zweiten Mal in die zweite Liga abzusteigen droht.

Der Himmel über dem schwülen Paderborn verdüsterte sich im Laufe der ersten Halbzeit dramatisch, doch die Mienen der Bremer Spieler hellten sich auf, denn nur eine Minute nach dem verschossenen Elfmeter brach sich eine Bremer Erlösung Bahn, die zunächst zu einer 3:0-Pausenführung und später zu einem 5:1-Sieg führte, der Werder neue Hoffnung auf den Klassenerhalt schenkte. Es war der höchste Ligasaisonsieg einer Mannschaft, deren Hauptmanko zuvor immer die Chancenverwertung gewesen war. Punktgleich mit dem Drittletzten Fortuna Düsseldorf und nur noch einen Treffer hinter den Rheinländern keimt bei den Bremern neue Zuversicht nicht nur aufs Erreichen der Relegation, sondern sogar auf den direkten Klassenverbleib auf.

So wurde dieses als Drama begonnene 1897. Bundesligaspiel zu einer Komödie - aber nur für den Moment. Am kommenden Dienstag wird das Heimspiel gegen Bayern München eine ganz schwierige Prüfung, und das Spiel in Mainz am kommenden Samstag wird gleich zum nächsten wichtigsten Spiel in der jüngeren Vereinsgeschichte.

Regen prasselte, Donner grollte

Der niederländische Mittelfeldspieler Davy Klaassen, in dieser Saison mitunter kritisiert für die verbesserungswürdige Ausübung seiner Führungsrolle, rettete den Bremern die missraten begonnene Partie mit zwei Treffern: Zunächst köpfelte er die 1:0-Führung in der 20. Minute, eher er nach dem 2:0 durch Yuya Osako (34.) auch die 3:0-Pausenführung erzielte in einer 39. Minute, in der dieses Spiel bereits entschieden war.

In der Pause braute sich ein veritabler Sturm zusammen über der Paderborner Arena. Es wurde extrem böig und schüttete nun wasserfallartig aus dunkelgrauen Wolken, hinter denen Donner grollte. Der SC ist mit dieser Niederlage im 65. Bundesligaspiel der Klubhistorie so gut wie abgestiegen, zum zweiten Mal nach der Saison 2014/15 direkt ein knappes Jahr nach dem Aufstieg. Konsterniert sind die Ostwestfalen darob indes wenig, denn sie mussten ja damit rechnen. "Wir wollen jetzt noch drei Mal unseren Fußball zeigen und überlassen das Rechnen anderen", sagte Kapitän Christian Strohdiek hinterher.

In der 51. Minute hätte Paderborns Sven Michel dem Spiel beinahe noch die Chance auf eine Wende verordnet, doch er traf nur den Innenpfosten. Maximilian Eggestein erhöhte mit seinem ersten Saisontreffer auf 4:0 (59.), ehe Abdelhamid Sabiri mit dem 1:4 (67.) Paderborn vorübergehend ein wenig Linderung verschaffte. Neben den drei Punkten feierten die Bremer auch die Einwechslung von Angreifer Niclas Füllkrug in der 77. Minute, erstmals seit seinem Kreuzbandriss vor neun Monaten oder 273 Tagen. Sein Treffer zum 5:1-Endstand in der zweiten Minute der Nachspielzeit passte ins Bremer Glücksschema an diesem Tag, genauso wie Dortmunds Siegtreffer in der fünften Minute der Nachspielzeit in Düsseldorf, wodurch die Bremer nach Punkten zur Fortuna erst aufschlossen.

"Auch darüber freuen wir uns heute", sagte Klaassen nach dem Schlusspfiff. "Bis wir in Bremen aus dem Bus steigen", hatte sein Trainer Florian Kohfeldt Freude erlaubt, "denn wir stehen ja immer noch auf einem Abstiegsplatz und haben noch nichts gewonnen." Am wichtigsten für ihn war, "zu sehen, dass die Mannschaft solche Spiele spielen und dem Druck standhalten kann". So wittert man die Chance, im kommenden Spätsommer das 1901. Bundesligaspiel absolvieren zu dürfen.

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SZ vom 14.06.2020/sonn
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