Florian Kohfeldt:Das Ende eines Versprechens

Werder-Trainer Kohfeldt

Florian Kohfeldt.

(Foto: Friedemann Vogel/dpa)

Mit Florian Kohfeldt wollte Bremen lange den ganz eigenen Weg gehen, doch nun traut man dem Trainer die erneute Rettung nicht mehr zu. Es kommt Thomas Schaaf - wieder ein Mitglied der Werder-Familie.

Von Ralf Wiegand

Man kann es sehen, fühlen, hören, das gebrochene Herz von Werder Bremen. Bis zum letzten Moment und sogar noch ein bisschen länger haben der Verein und sein Trainer Florian Kohfeldt aneinander festgehalten, sich gegenseitig Fehler verziehen, an den anderen glauben wollen. Doch in Beziehungen dieser Art - und die von Kohfeldt und Werder dauerte immerhin schon 20 Jahre, die letzten dreieinhalb war Kohfeldt Cheftrainer - ist es manchmal so, dass man sagen muss: Schatz, ich höre dich zwar noch, aber ich verstehe dich nicht mehr.

Den Punkt hatte der Bremer Geschäftsführer Frank Baumann am Samstag gegen Mitternacht erreicht, als er Florian Kohfeldt eröffnet haben will, dass dieser nicht länger Trainer des SV Werder ist. Die Gremien hätten getagt und entschieden. Der nach außen ewig optimistische Coach hatte nach dem 0:2 in Augsburg, der achten Niederlage aus zuletzt neun sieglosen Spielen, nach innen offenbar keine Antworten mehr. Für das letzte Spiel der regulären Saison und eine mögliche erneute Relegation steigt Thomas Schaaf, der Double-Trainer von 2004, noch einmal von seinem Denkmal herab. Mit Rollkoffer und Pandemie-Maske traf er im Quarantäne-Quarteier in Barsinghausen ein "Es ist natürlich eine große Herausforderung", teilte er via Vereins-Homepage am Sonntag mit. Fürwahr, das ist es.

Werder Bremen ist kein Verein, der sich öffentlichem Druck beugt. Er hatte sich im Herbst 2017 getraut, den Nachwuchstrainer Florian Kohfeldt als Chef zu installieren, nachdem genau dieses Modell schon zweimal zuvor gescheitert war, mit Viktor Skripnik und Alexander Nouri. Kohfeldt überzeugte schnell, führte Werder aus dem tiefen Keller zum sicheren Klassenerhalt, dann beinahe in die Europa League. Er wurde dafür vom DFB 2018 zum Trainer des Jahres gekürt, gerade 36 Jahre alt. The next Jürgen Klopp, made by Werder Bremen.

Kohfeldt blieb in Bremen, obwohl sein Marktwert damals hoch war, auch weil er durch und durch ein Werderaner ist. Als jugendlicher Fan hat er die goldenen Zeiten noch miterlebt, als sein Verein den Bayern Paroli bieten konnte und Real Madrid in der Champions League besiegte. Er glaubte daran, wieder den Fußball installieren zu können, für den die Bremer über Jahrzehnte standen, spektakulär, technisch hochwertig, offensiv, erfolgreich. Dazu sprach er die Sprache seiner Generation, unverstellt, lebensnah, kein bisschen abgeschliffen.

Der Aufsichtsratschef Marco Bode und der Sportchef Frank Baumann verbündeten sich mit dem Trainer in der Absicht, dem Werder-Fußball wieder ein unverwechselbares Gesicht zu geben, eine Philosophie, die sie auch durch sportliche Täler tragen wollten, ohne den Mechanismen des Marktes Zugriff zu erlauben. Eine lange Linie. Kohfeldt bekam einen Vertrag bis 2023. Mindestens bis zu diesem Sommer wollten sie zusammenarbeiten, der eine, Kohfeldt, kein besseres Angebot annehmen, der andere, Werder, ihm auch in Krisen vertrauen. Erst danach wollte man sich von Jahr zu Jahr prüfen, wie lange man den Weg gemeinsam gehen will.

Werder Bremen - Trainingslager Barsinghausen

Thomas Schaaf, neuer Bremer Interimstrainer, kommt mit Wolfgang Rolff (dahinter), der als Co-Trainer fungieren wird, am Sporthotel Fuchsbachtal an, wo sich die Mannschaft im Quarantäne-Trainingslager befindet.

(Foto: Moritz Frankenberg/dpa)

Dass Kohfeldt angeblich eine Ausstiegsklausel im Vertrag hatte für den Fall, dass ein Verein eine bestimmte Summe bieten würde, zeigt, dass er (oder sein Berater) annahmen, dass eher der Trainer auf Dauer womöglich zu ambitioniert sein könnten für die Möglichkeiten, die Werder Bremen ihm bietet. Der Verein wiederum nahm an, Kohfeldt würde aus jedem Kader das Maximum herausholen können. Nach der erfolgreichen 53-Punkte-Saison 2018/2019, die in allen der vorangegangenen zehn Jahren für die europäische Qualifikation gereicht hätte, wähnte sich Werder wieder nahe dran an der Elite der Bundesliga. Die Bremer unterlagen dem Trugschluss vieler ins Trudeln geratener großer Vereine, dass man nur wieder einen Fuß in die Tür bekommen müsse, durch die man früher schon einmal gegangen war, dann würde alles gut. Die Verantwortung dafür oblag vor allem Kohfeldt.

Erfolg, und sei es nur die Bundesliga-Zugehörigkeit, ist für Bremen von existenzieller Wichtigkeit. Werder hatte nach den goldenen Jahren, in denen der Verein noch bis 2010 regelmäßig in der Champions League spielte, größte Mühe gehabt, den ausbleibenden sportlichen Erfolg finanziell auszugleichen.

Der Klub ist hoch verschuldet

Der Spielbetrieb hat die Infrastruktur des Klubs finanziert, nun kam da nichts mehr aus irgendwelchen magischen Europacup-Nächten. Werders Kapital zehrte sich auf, auch durch den selbst bezahlten Ausbau des Weserstadions; das Tafelsilber, die guten Spieler, wurde nach und nach verkauft, die Bilanzen färbten sich dennoch rot. Die Schere zwischen Wunsch und Wirklichkeit ging immer weiter auf, aber die Beharrungskräfte in dem familiären Klub, es würde schon wieder, wenn man nur fest zusammenhält, verhinderten einen Plan B. Werder verpasste den Moment, sich neu zu erfinden.

Heute muss der Klub, angeblich mit 75 Millionen Euro verschuldet, mit Fan-Anleihen Geld eintreiben, das ihm die Banken nicht mehr geben. Um in der kommenden Saison nicht mit Punktabzug bestraft zu werden, muss im Sommer ein Transferüberschuss erwirtschaftet werden - aus einem Kader, der sich kaum mehr als bundesligatauglich erweist.

Die Transferpolitik überzeugt nicht mehr

Seit Jahren bringt der Klub keine eigenen Nachwuchsspieler mehr als Stammspieler in die Bundesliga, seit Jahren gelingt auf dem Transfermarkt kein Überraschungscoup. Die Strategie, die fehlende Qualität von den Ersatzbänken der anderen Klubs zu kaufen, ist riskant. Auch Kohfeldt ist ihr erlegen, Spieler wie Yuya Osako, Leo Bittencourt oder der Königstransfer der vergangenen Saison, Niclas Füllkrug, sollten nicht nur die Lücke schließen, die der Abgang von Max Kruse damals riss, sondern den Kader europacuptauglich machen. Den Moment, hochbegabte junge Spieler wie Milot Rashica oder Maximilian Eggestein auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklung gewinnbringend zu verkaufen und den Kader mit frischem Geld breiter aufzustellen, verpasste Werder aus dem gleichen Grund: der Sehnsucht nach dem einen erfolgreichen Jahr, dem Gamechanger. Wie Eintracht Frankfurt das geschafft hat, oder Borussia Mönchengladbach.

Stattdessen erlebte Werder erst eine Verletzungsserie wie aus einem Splatter-Movie, dann kam die trostlose Pandemie, das Ganze endete in der Relegation, die Werder mit Kohfeldt glücklich überstand. Währenddessen entwickelten sich Spieler nicht weiter, sondern eher zurück, Milot Rashica, der in Augsburg den entscheidenden Elfmeter zum 0:2 verursachte, ist das beste Beispiel. Aber auch Spieler wie Maxi Eggestein oder Osako vermochte Kohfeldt nicht mehr besser zu machen. In Werders Kader fehlt inzwischen jede Fantasie, in Werders Spiel fehlen die Tore. Die schießt derweil der wegen vermeintlichen Stürmer-Überflusses nach Österreich ausgeliehene Johannes Eggestein dort fast nach Belieben, während sich Werder auf die Qualität eines Davie Selke verließ, der mal Europas bester U-19-Stümer war. Das war 2014. Wenn Werder die Klasse hält, müssen sie für ihn mehr als zehn Millionen Euro an Hertha BSC Berlin bezahlen. In Raten, immerhin.

Erst setzt Werder Kohfeldt auf Bewährung - dann wieder nicht

Die Hoffnung des vergangenen Sommers, alles würde besser, wenn man nur mal über alles redet, was in der vergangenen Saison schief gelaufen ist, erwies sich als unbegründet. Kohfeldt opferte seine Spielidee vom dominanten Ballbesitzfußball nach dem auszehrenden Überlebenskampf dem pragmatischen Hinten-Dicht-Fußball eines Abstiegskandidaten, lavierte sich auf diese Weise und "ein Stück weit gegen seinen Willen", wie Frank Baumann am Sonntag sagte, durch weite Teile der Saison. Nach dem 24. Spieltag schien der Klub, wenn auch mit unansehnlichem Spiel, in Sicherheit: Elf Punkte lag Werder vor dem Relegationsplatz - und holte danach aus neun Spielen nur noch einen Punkt. Das gegenseitige Vertrauen, sagte Baumann, "sei Stück für Stück zerbröselt".

Als Höhepunkt der bremischen Gefühlskrise brauchten die Vereinsgremien nach einem deprimierenden 1:3 bei Union Berlin zwei Tage, um den Trainer Kohfeldt dann doch nicht zu entlassen, ihm aber ein Ultimatum fürs Pokalspiel gegen Leipzig zu setzen. Alles öffentlich. Als Vertrauensbeweis und adäquaten Umgang mit ihm hat Kohfeldt das nicht bewertet. Er überstand es mit einer engagierten Leistung seiner Mannschaft, durfte sich von ihr noch ein 0:0 gegen Leverkusen ermauern lassen - und wurde nun, nach dem 0:2 im erklärten Abstiegs-Endspiel von Augsburg, doch entlassen. Der Verein erweckt den Eindruck, als habe er sich in seinem eigenen Werte-System aus Anstand, Kontinuität und Fußballromantik verlaufen. Wo der Kompass verloren gegangen ist, werden nach der Saison Bode und Baumann beantworten müssen.

Der Vorteil in Augsburg wird verspielt

Werders Antwort auf die nächste Zukunft ist wieder ein Name von gestern, Thomas Schaaf, gerade 60 Jahre alt geworden. Er hat Werder 1999 schon einmal vor dem Abstieg gerettet und danach eine Ära begründet. Er hat sich aber auch einmal bei Hannover 96 als Feuerwehrmann versucht und in 91 grausamen Tagen drei Punkte aus elf Spielen geholt. Zuletzt war er Technischer Direktor im Verein, der viel zu gerne Leute an neuralgische Stellen setzt, die alles so lassen, wie es immer war.

Aber wichtiger als die Frage, wer am Samstag gegen Borussia Mönchengladbach auf der Bank sitzt, ist wahrscheinlich ohnehin die Frage, wer dort nicht mehr sitzt. Florian Kohfeldt und die Mannschaft waren sich bis zuletzt zugetan, aber was sie auch versuchten, brachte keinen Erfolg mehr. Spätestens in Augsburg wirkte auch der Trainer schwer verunsichert, als er den schon gelb belasteten Christian Groß zur Pause nicht auswechselte und dieser in dem kampfbetonten Spiel alsbald vom Platz flog. Die Überzahl, die der frühe Platzverwies des Augsburgers Vargas (13. Minute) den Bremern verschafft hatte, "ein Geschenk", wie Baumann es nannte, war damit perdu. Die Tore von Khedira (57. Minute) und Caligiuri (89.) erledigten den Rest, retteten Augsburg vor dem Abstieg.

Und brachen Werder Bremen das grün-weiße Herz.

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