Süddeutsche Zeitung

Werder gegen Ingolstadt:Gift für die Heimeligkeit

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Der FC Ingolstadt verdirbt abermals einem erwartungsfrohen Heimpublikum den Nachmittag. Diesmal sind es die Bremer, die eigentlich die Rückkehr von Claudio Pizarro feiern wollten.

Bereits drei Stunden vor dem Anpfiff belagerten hunderte Bremer Fans die Eingänge zur Ostkurve, in froher Erwartung des Messias und um ja keine noch so nichtige Kleinigkeit bei der Rückkehr von Claudio Pizarro in sein Wohnzimmer zu verpassen. Als Letzter seiner Mannschaft, in grellgelben Schuhen und mit einem Lächeln im Gesicht, betrat der Heilsbringer später den Rasen im Bremer Weserstadion und nicht wenige auf den Rängen schwelgten wohl heimlich in Erinnerungen an die schönen Zeiten, die nun doch auch schon einige Jahre zurückliegen - und die Pizarro, der in wenigen Tagen 37 Jahre alt wird, wieder beleben soll.

In all der Heimeligkeit ging fast schon unter, dass da ja noch ein ziemlich wichtiges Bundesligaspiel zu absolvieren war. Gegen einen Kontrahenten, der für diese Art der ausgelassenen Stimmung pures Gift war. Der FC Ingolstadt kam zwar nur mit rund 300 Fans, aber eben auch mit der Empfehlung nach Bremen, bisher beide Auswärtsspiele seiner noch jungen Bundesligageschichte ohne Gegentor gewonnen zu haben.

Aufsteiger-Rekord: Der FCI gewann dreimal im fremden Stadion

"Wir wussten, wie gefährlich und unbequem der Gegner ist. Aber wir haben es an diesem Tag nicht geschafft, die richtige Körpersprache und Leichtfüßigkeit zu finden. Deshalb müssen wir das Ergebnis so akzeptieren", sagte Bremens Trainer Viktor Skripnik. Er akzeptierte: Einen 1:0-Sieg des Gegners, den dritten in Serie in einem fremden Stadion. Ingolstadt hat damit einen Rekord in der 53-jährigen Geschichte der Bundesliga aufgestellt, noch nie zuvor war dies einem Aufsteiger zum Beginn einer Saison gelungen.

"Da muss jetzt also der kleine FC Ingolstadt kommen und Geschichte schreiben. Das ist natürlich sensationell", sagte Trainer Ralph Hasenhüttl. Der zwei Generationen jüngere Alfredo Morales interessierte sich weniger für die historische Bestmarke seiner Mannschaft und formulierte stattdessen eine offenbar recht zeitgemäße Einschätzung. "Der Rekord bringt mir jetzt auch nichts. Nicht mehr Geld oder vielleicht Follower auf Instagram."

Bremer Vorwurf: "Die haben auf Zeit gespielt."

Diszipliniert, sachlich und in den entscheidenden Situationen auch kühl spulte Ingolstadt die Partie in Bremen runter. Werder war mit der 4-3-3-Grundordnung des Gegners und dessen Überzahl im Mittelfeldzentrum besonders in der ersten Halbzeit überfordert und hatte im Prinzip nur eine Chance zur Führung, als Ingolstadts Roger einen Freistoß unabsichtlich an die eigene Latte verlängerte (28.). In der Phase davor war der Gast die bessere Mannschaft, die den Rhythmus der Bremer immer wieder geschickt unterbrechen und selbst einige Male gefährlich kontern konnte.

13 Fouls leistete sich Ingolstadt in den ersten 45 Minuten, in der Vorwoche gegen Wolfsburg waren es im gesamten Spiel lediglich zehn gewesen. Nicht nur Werders Clemens Fritz wollte darin ein Muster erkannt haben: "Die haben in der ersten Halbzeit schon auf Zeit gespielt, sind lange liegengeblieben oder haben den Ball weggeschlagen. So habe ich das auch noch nicht erlebt."

Der andere Teil der Wahrheit war aber, dass Werder auch nach Pizarros Einwechslung nach 45 Minuten nie so richtig zum eigenen Spiel fand - und die wenigen Chancen dann auch vergab. Erst scheiterte Theodor Gebre Selassie per Seitfallzieher (51.) am wieder einmal souveränen FCI-Keeper Ramazan Özcan, zwei Minuten später setzte Pizarro einen Kopfball knapp am Tor vorbei. Immer wieder verfingen sich die Bremer in der Folge im Dickicht Ingolstädter Abwehrbeine, spielten die wenigen Kontergelegenheiten hektisch und zu unpräzise zu Ende oder vergaben leichtfertig reihenweise Offensivstandards, die in Abwesenheit des Spezialisten Zlatko Junuzovic fast komplett ungefährlich blieben. Von den Gästen kam im zweiten Durchgang fast gar nichts mehr. Bis sich Stefan Lex in der 90. Minute einen Ball im Bremer Strafraum erlief, an Assani Lukimya vorbeispazierte und der Bremer die an sich harmlose Situation mit einem Foulspiel unterband.

Trauriges Ende: Bargfrede sieht nach übler Grätsche die rote Karte

Den berechtigten Elfmeter verwandelte der eingewechselte Moritz Hartmann zum 0:1 (90.+3) und als wäre das Bremer Unheil damit noch nicht komplett gewesen, ließ sich Philipp Bargfrede mit dem Schlusspfiff noch zu einem üblen Tritt gegen Alfredo Morales hinreißen, den Schiedsrichter Bastian Dankert mit der roten Karte sanktionieren musste.

Zwei Bremer Eseleien vermiesten allen in Grün und Weiß einen Nachmittag, der doch als Start in eine bessere Zukunft gelten sollte. Immerhin hatte Pizarro vor der Partie recht freizügig mit der Rückkehr seiner Liebe in die Champions League kokettiert.

Der Peruaner war zumindest der Erste, der nach der Partie mit einer treffenden Analyse überzeugen konnte. "Wir haben gesehen, dass wir noch viel arbeiten müssen, um unsere Fehler zu korrigieren", sagte Pizarro, der bei sich selbst vermutlich am meisten Verbesserungspotenzial ausmachen konnte. "Ich muss weiter an mir arbeiten, um wieder meine Bestform zu erreichen."

Die meisten Bremer Anhänger hatten da schon längst mit der Frustbewältigung begonnen. Immerhin ergibt sich die Chance auf einen vergnüglicheren Nachmittag schon bald: Das nächste Heimspiel ist für kommenden Samstag terminiert.

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SZ vom 20.09.2015
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