Werder Bremens 3:2:Der schlechte Film ist zu Ende

GER, 1.FBL, VfL Wolfsburg vs SV Werder Bremen / 01.12.2019, Volkswagen Arena, Wolfsburg, GER, 1.FBL, VfL Wolfsburg vs S

Auf den Punkt gebracht: Bremens Milot Rashica bringt sein Team per Handelfmeter in Führung.

(Foto: imago)

Mit dem 3:2-Sieg beim VfL Wolfsburg hat Werder Bremen seine Negativserie gestoppt. Einer der Erfolgsgründe: eine Video-Motivation von Trainer Kohfeldt.

Von JAVIER CÁCERES, Wolfsburg

Wenn am Sonntagabend etwas Aufschluss darüber gab, wie groß die Erleichterung im Lager von Werder Bremen über den 3:2-Sieg beim VfL Wolfsburg war, dann war es der Wochenausblick von Florian Kohfeldt. Am Dienstag, kündigte der Trainer an, werde er sich nach längerer Zeit mal wieder einen freien Tag gönnen und seinen Nachwuchs im Kindergarten abholen. "Und nächsten Donnerstag gehe ich mit einem Lächeln zur Pressekonferenz - und setze es mir nicht auf!"

Zuletzt hatte Kohfeldt tatsächlich häufiger durchgearbeitet. Er war auch an freien Tagen im Büro erschienen und hatte nach Fehlern und Lösungen gesucht: "Nicht, weil das jemand von mir verlangt hätte, sondern weil ich mir nichts vorwerfen wollte." Acht sieglose Spiele hatte Werder aneinandergereiht, eine klare Niederlage hätte am Sonntag sogar zum Sturz auf den Abstiegs-Relegationsplatz geführt. Doch mit einem Parforceritt im Nordderby kletterte das Team ins Mittelfeld. "Das war nicht das beste Spiel, das wir je gemacht haben. Aber. . . scheißegal", sagte Kohfeldt.

Dass er nicht nur gelöst wirkte, sondern es tatsächlich war, hatte nicht ansatzweise damit zu tun, dass er um seinen Job hätte bangen müssen. Anders als in Köln, Mainz oder Berlin, die bereits den Trainer getauscht haben, wurde Kohfeldt von der Klubführung in seinem Handeln bestärkt: "Es gab im Verein nie einen Zweifel", berichtete er, die Botschaft seiner Werder-Vorgesetzten sei gewesen: "Wir gehen da durch. Egal, wie lange es dauert."

Allerdings: Die Unterschiede zu anderen Standorten, an denen teilweise dramatische Krisensymptome zu begutachten waren oder sind, sind ja auch offenkundig. Wer am Wochenende zum Beispiel die fußballerischen Vorträge und Ideen von Werder und Hertha BSC miteinander verglich, wäre nie auf die Idee gekommen, dass beide Teams vor dem Spieltag punktgleich waren. Im Falle von Werder konnte man dem Siegtorschützen Milot Rashica beipflichten: "Wir alle wissen, dass wir nicht dorthin gehören, wo wir gerade stehen."

Das sagte der Stürmer nach einer Partie, in der er zusammen mit dem zuletzt heftig kritisierten Torwart Pavlenka zum Matchwinner geworden war. Rashica verwandelte einen Handelfmeter zur frühen Führung (13.) und erzielte das späte 3:2 (83.), das Kohfeldt als "einen der emotionalsten Momente der bisherigen Saison" adelte.

Sein Team habe "überhaupt kein Einstellungsproblem", versichert Kohfeldt

Torwart Jiri Pavlenka wiederum bewies in diversen Aktionen, dass er einer der besten Torhüter der Liga sein kann. In der Schlussphase lenkte er einen Kopfball von Wolfsburgs Torjäger Wout Weghorst spektakulär zur Ecke. Die VfL-Tore durch Weghorst (1:1/36.), der nach einem Kopfball von Guilavogui abstaubte, und Rechtsverteidiger William (2:2/73.) waren Pavlenka nicht anzulasten. "Dieses Spiel wird ihm unglaublich gut tun", glaubt Kohfeldt.

Das Bremer 2:1 erzielte Regisseur Leo Bittencourt - per Kopf. Die Flanke war tief genug angeflogen, so dass der 1,70 Meter große Deutsch-Brasilianer seine Kopfball-Fertigkeiten aufführen konnte. Seine Kindheit hatte Bittencourt bei Energie Cottbus verbracht, wo auch sein Vater Franklin Profi war. Wegen der bevorzugten Stilmittel der Lausitzer (Bälle weit und hoch) musste Bittencourt zwangsläufig lernen, den Kopf nicht nur zum Denken zu benutzen.

Werder rief in Wolfsburg übrigens auch jene Tugend ab, die Cottbus einst bis in die Bundesliga gespült hatte: eine Leidenschaft, die Kohfeldt fast ergriffen zurückließ. Wie es dazu gekommen sei, wurde er gefragt. Doch nachdem er geantwortet hatte, dass er der Mannschaft den Film "Titanic" gezeigt habe, lachte er selbst über diesen missglückten Scherz, denn die einst als unsinkbar geltende Titanic ist ja bekanntlich gekentert. In Wahrheit hatte Kohfeldt seiner Mannschaft Szenen aus der eigenen jüngeren Vergangenheit gezeigt, genauer: aus seinen Anfangstagen als Werder-Coach im Jahr 2017.

Seine Mannschaft habe zwar "überhaupt kein Einstellungsproblem", versicherte Kohfeldt. Aber in der Videothek habe er viele Sequenzen gefunden, in denen greifbar wurde, wie elf Spieler im grünweißen Trikot einander beherzt zuriefen: "Ich geh' da jetzt hin, ich mach das jetzt." Genau so taten sie es dann wieder in Wolfsburg, wo Kohfeldt seinem Team auch durch offensive Einwechslungen Mut und Siegeswillen zuführte. Am Ende räumte sogar Stürmer Rashica an der Eckfahne der eigenen Hälfte einen Gegenspieler ab - was im Lichte der sagenhaften Werder-Schwäche bei der Verteidigung von Standardsituationen zwar fahrlässig war, aber gut ging.

Vielleicht gelang das alles auch, weil der alte, wasserstoffblondierte Stürmer Claudio Pizarro als Maskottchen taugt. Phänotypisch erinnert der Peruaner zwar eher an einen Legenden-Hallenturnier-Kicker als an einen Erstligaprofi, doch in der Schlussphase machte er wie gewünscht den einen oder anderen Ball fest - und somit auch den Sieg. Kohfeldts Wochenausblick endete übrigens mit dem Spiel gegen Paderborn, da soll sein Team unbedingt weitere drei Punkte holen.

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