Werder Bremen:Wie die Murmeltiere

Bielefeld, Schueco Arena, 10.03.21, GER, Herren, 1.Bundesliga, Saison 2020-2021, DSC Arminia Bielefeld - SV Werder Brem

Freund des schönen Fußballs, aber im Abstiegskampf aktuell Pragmatiker: Werder-Trainer Florian Kohfeldt.

(Foto: Ulrich Hufnagel/imago)

Weniger laufen, weniger passen, weniger Risiko: Werder Bremen hat seine Vitalfunktionen im Überlebenskampf heruntergefahren. Der Erfolg gibt Trainer Florian Kohfeldt recht.

Von Ralf Wiegand, Bremen

Man kann es halt nie allen recht machen, vielleicht ist es das, was Florian Kohfeldt dieser Tage lernen muss. Er sagt ja selbst über sich, er sei "ein junger Trainer", was auch stimmt, mit 38 Jahren. Er hat noch längst nicht alles erlebt. Andererseits, und das offenbart einen der Abgründe in dem Business, in dem er arbeitet, ist er nach dem Freiburger Christian Streich in der Fußball-Bundesliga der sportliche Leiter mit der längsten Verweildauer in seinem aktuellen Job - man sollte also wissen, wofür er steht. Kohfeldt trainiert Werder Bremen seit dem 10. November 2017, in seinen ersten zwei Spielzeiten als Überflieger, in der dritten Saison als Krisenmanager, und in seiner aktuell vierten, tja, als was eigentlich?

Vor dem Spiel gegen den FC Bayern München an diesem Samstag (15.30 Uhr) hat sich ein Bild des SV Werder verfestigt, das zum Fußball-Romantiker Florian Kohfeldt so überhaupt nicht passen will. Der Trainer ist seit jeher ein Verfechter des schönen Spiels, er lässt Emotionen zu, bei sich und bei seinen Spielern, und er liebt die Stimulanz eines vollen, aufgepeitschten Stadions. Letzteres gibt es seit einem Jahr nicht mehr, und inzwischen sieht es auch so aus, als sei das Leben nicht nur von den wegen der Pandemie geräumten Tribünen gewichen, sondern auch aus dem Bremer Spiel.

Kaum eine Mannschaft will den Ball weniger oft haben als die des SV Werder, die im Durchschnitt dieser Saison auf eine Ballbesitzquote von nur knapp über 40 Prozent kommt - enthaltsamer bei der Benutzung des Spielgeräts sind nur der FC Augsburg und der FSV Mainz.

Werder, über viele Jahre eine der ersten Adressen für kultiviertes Spiel, gilt plötzlich als Inbegriff des ergebnisorientierten Pragmatismus. In den Begegnungen mit Bremer Beteiligung fallen ligaweit die drittwenigsten Tore, die Bremer schießen sogar seltener auf Gegners Tor als Schlusslicht Schalke 04, und die Statistik weist für Grün-Weiß die wenigsten Sprints und die wenigsten tiefen Läufe aller Erstligisten auf. Wer alle Spiele der Bremer angeschaut hat, weiß nicht mehr, welche die schlechteste Halbzeit war, die Werder hingelegt hat: War es die erste im Spiel gegen Augsburg, die gegen Köln, doch die gegen Schalke - oder erst letzten Mittwoch jene in Bielefeld? Eklig seien die Bremer, heißt es jetzt in der Liga, destruktiv, und seit dem Verbalscharmützel mit den entnervten Frankfurtern, die in Bremen vollkommen unerwartet 1:2 verloren hatten, heißt es sogar: unfair.

Irgendwann soll Werder wieder schöner spielen - aber nicht jetzt, wenn just die Bayern kommen

Deshalb ist bei Werder zwar eine gewisse Entspannung eingezogen angesichts von 30 Punkten nach 24 Spielen, zwölf mehr als zum vergleichbaren Zeitpunkt der vergangenen Saison, die erst in der Relegation gerettet werden konnte. Aber es ist eben auch ein Rechtfertigungsdruck entstanden: Ist diese Art zu spielen nicht Verrat an der eigenen Idee vom dominanten Ballbesitzfußball, den Kohfeldt nur ausgesetzt, nicht aber abgeschafft haben will?

Werder, daran besteht kein Zweifel, hat wie etliche andere Mannschaften in der Bundesliga in den Überlebensmodus geschaltet und versucht, Risiko zu vermeiden. Damit kann man, siehe Griechenland 2004, sogar Europameister werden, ohne dass einem die Fans schmachtend zu Füßen liegen. "Wenn uns das dieses Jahr sicher in der Klasse hält, kann ich damit leben", sagt Kohfeldt, der aber keinen Hehl daraus macht, dass er nach Abwenden der größten Gefahr, eben dem Risiko des Abstiegs, demnächst wieder anderen Fußball sehen will. Noch aber gelten andere Werte: Werder hat seine Vitalfunktionen wie ein Murmeltier im Winterschlaf zurückgefahren, auch bei der Zahl gewonnener Zweikämpfe oder der Laufdistanz investiert niemand weniger als Bremen. Es sind die Daten, die den abwartenden Spielstil dokumentieren - der Werder andererseits in die Lage versetzt, gegen sich müde gelaufene Mannschaften später im Spiel noch zum Zug zu kommen.

Momentan, sagt Kohfeldt, signalisiere ihm seine Mannschaft, dass sie sich tief stehend am sichersten fühle, dass es ihr "gut geht" mit dieser Art zu spielen - und er wolle nicht gegen seine Spieler arbeiten. "Keiner Mannschaft aus der unteren Hälfte gelingt es noch, uns auseinander zu spielen", und auch die großen Teams der Liga hätten damit ihre Schwierigkeiten. Werder weist die fünftwenigsten Gegentore auf. Aus der Vorsaison reichen schon allein die zwei Niederlagen gegen Mainz bei 1:8 Gegentoren oder die Packung in München (1:6) aus, um die Wucht des Wandels zu belegen. Hansi Flick vom FC Bayern hat daher größtes Verständnis für den Stilbruch des Bremer Trainerkollegen: "Florian hat letzte Saison keine einfache Saison gehabt", sagte Flick vor dem Duell mit Werder, "jetzt hat er die Defensive kompakter gestaltet, hat zehn, zwölf Punkte mehr. Der Erfolg gibt ihm recht."

Irgendwann, demnächst, jedenfalls noch diese Saison soll aber auch das Spiel der Bremer wieder schöner werden, nur halt nicht jetzt, "denn jetzt kommen dummerweise die Bayern", sagt Kohfeldt. Und das heiße: "Leiden." Wenn am Ende wieder das Ergebnis stimmt, wird in Bremen diesmal aber niemand meckern.

Zur SZ-Startseite
Nationalmannschaft paddelt auf Mittelmeer

Hansi Flick
:Er hat immerhin nicht Nein gesagt

Hansi Flick ist der logische Wunschkandidat auf die Nachfolge von Joachim Löw als Bundestrainer. Der Coach des FC Bayern verweist auf seinen Vertrag bis 2023 - aber er sagt auch nicht ab.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: