Keine Trainerfrage:Werder Bremen ist intakt - spielt halt einfach nur schlecht

RB Leipzig - SV Werder Bremen

Wenn Bilder Bände sprechen: Werder-Trainer Florian Kohfeldt kurz vor dem Abpfiff im Spiel gegen Dortmund.

(Foto: dpa)

Der Verein steht auf einem Abstiegsplatz, verliert fast alle Heimspiele, schießt keine Tore - und trotzdem denkt niemand an einen Trainerwechsel. Willkommen bei Werder Bremen.

Kommentar von Ralf Wiegand

Es ist erstaunlich, was in Bremen gerade passiert, und vielleicht hat es das im deutschen Fußball der Neuzeit so auch noch nie gegeben. Da spielt eine Mannschaft, die sich selbst das Erreichen des Europapokal-Wettbewerbs zum Ziel gesetzt hat, die schlechteste Saison der Vereinsgeschichte seit 1980. Sie verliert dabei im Weserstadion, Ort einiger der denkwürdigsten Spiele deutscher Klubs im Europacup, acht von elf Spielen, die letzten sechs sogar allesamt zu Null. Diese Mannschaft kassiert die meisten Gegentore der Liga, und hätten nicht der Düsseldorfer Florian Kastenmaier und der Augsburger Tin Jedvaj ins eigene Tor getroffen, Werders letztes gültiges Bundesligator wäre im vergangenen Advent gefallen - es war der Ehrentreffer bei einer 1:6-Klatsche in München.

Diese vom Europacup träumende, fast alle Heimspiele verlierende, keine Tore schießende, scheunentoroffene Mannschaft hat bereits drei Punkte Rückstand auf den Relegationsplatz, fünf auf einen Nichtabstiegsplatz, sie bereitet die Lizenzunterlagen für die zweite Liga vor und verhandelt mit der Stadt Bremen darüber, wie im Abstiegsfall das europacup-taugliche und entsprechend teure heimische Stadion noch zu finanzieren wäre. Und trotzdem, trotz dieses absoluten Debakels, hält der Verein, für den diese Mannschaft in der Bundesliga gemeldet ist, am Trainer fest. Willkommen bei Werder Bremen.

Niemand wird zum jetzigen Zeitpunkt sagen können, ob es einfach nur total irre ist, sich den so genannten Mechanismen des Geschäfts zu verweigern und am Trainer, in diesem Fall Florian Kohfeldt, 37, festzuhalten. Oder ob es nicht doch der offene, legitime und vernünftige Widerstand gegen ein angebliches Gesetz des Profibetriebs ist, das aber noch nie jemand gelesen hat. Auf jeden Fall sind in der Hansestadt alle Fragen nach einer Trainerablösung bis auf weiteres und wie nach all den Niederlagen bisher auch nach dem 0:2 gegen Dortmund weiterhin überflüssig - Kohfeldt bleibt. Basta.

Das, wie gesagt, gab es auf diesem Niveau wohl noch nie. Gut, Freiburg ist mit Christian Streich schon ab- und aufgestiegen, und auch Paderborn hat schon vor dem ersten Spiel gesagt, sie werden auch das letzte mit Steffen Baumgart bestreiten, egal wie die Saison läuft. Aber Paderborn ist ein Aufsteiger vom Formate Aschenputtels, und auch in Freiburg ist, mit Verlaub, der Abstieg immer eingepreist. Aber Werder würde zum ersten Mal seit 40 Jahren aus der Bundesliga absteigen, die Bremer sind die Nummer drei der ewigen Tabelle, die Nummer eins im Norden, sie waren noch vor zehn Jahren Stammgast im Europacup, spielten sechs Mal in der Champions League, sie waren noch vor einem Wimpernschlag der Sportgeschichte der ewige Stachel im Fleisch des FC Bayern.

Und jetzt geht dieser große, auch stolze Verein in Nibelungentreue zum Trainer einfach so, sehenden Auges, in den Abstieg? Muss nicht der Verein größer sein als jeder einzelne, größer auch als dieses junge Trainer-Versprechen Kohfeldt, der erst am Anfang einer Karriere steht, deren Verlauf keiner kennt?

Das mag so aussehen, aber so ist es nicht. Wer Trainerentlassungen aus nackter Not kennt, der kennt auch die Faktoren, die dabei oft eine Rolle spielen. Etwa: Streit zwischen Trainer und wichtigen Spielern, wachsende Distanz zwischen Sportchef und Trainer, Busblockaden und Bierbecherwurforgien als eskalierender Fanprotest. Ratlosigkeit und sichtbare Erschöpfung des umstrittenen Trainers selbst. Und ja, auch Medien, die jeden Respekt verlieren. Also einfach eine richtig miese Stimmung.

In Bremen wirkt alles noch intakt

Oft wirken Trainerwechsel genau da hinein, sie beruhigen das Umfeld. Der Impuls des neuen Trainers hat manchmal gar nichts mit ihm selber zu tun, mit seinen Fähigkeiten, der Impuls kommt durch den Wechsel an sich. Die Fans haben ihre Opfer, die Medien den Reiz neuer Geschichten, die Spieler geraten aus dem Schussfeld, der Manager kann sich wieder hinter den vom ihm erwählten Trainer stellen. Manchmal reicht das, um erfolgreich arbeiten zu können und das Ziel eines solchen Trainerwechsels zu erreichen, oft genug aber nicht.

In Bremen jedoch, und das ist das besondere, ist nichts von dem zu beobachten, was einen Trainerwechsel unausweichlich erscheinen lässt. Der Verein ist intakt, das Verhältnis Klub/Trainer ist intakt, die Fans stehen aufopferungsvoll hinter dem Team, bei jeder Zu-Null-Niederlage wieder, und den Medien kann dieser Trainer Florian Kohfeldt sehr genau erklären, warum genau ab jetzt alles besser wird: weil die verletzten Spieler zurückkehren, das Niveau im Training steigt, seine Optionen mehr werden, weil aus den kleinen Fortschritten bald, sehr bald Ergebnisse werden. Wer Florian Kohfeldt nach dem Spiel gegen Dortmund gehört hat, hat nichts von Müdigkeit oder Resignation gespürt. Und die Mannschaft? Ist intakt. Spielt halt einfach nur schlecht. Wird wieder besser.

In Bremen sehen sie keinen Grund dafür, dass ein Trainerwechsel irgendetwas verbessern würde, weil die Arbeit zwischen Trainer und Mannschaft nach Überzeugung der sportlichen Leitung funktioniert, weil ihr die Fantasie fehlt, was ein anderer Coach besser machen könnte. Der Verein, diesem Eindruck kann man sich kaum verschließen, handelt aus Überzeugung, er streut den Mechanismen des Geschäfts damit Sand ins Getriebe. Wie das ausgeht? Weiß heute niemand. Aber einen Versuch ist es wert.

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