Süddeutsche Zeitung

Werder Bremen:Drei Punkte für die Trainer-Checkliste

Während immer mehr Details zur mutmaßlichen Impfpass-Fälschung von Markus Anfang publik werden, sucht Werder Bremen nach einem neuen Trainer. Ins Profil passen könnte der ehemalige Kieler Ole Werner.

Von Thomas Hürner, Bremen

Frank Baumann hatte sich eigentlich akkurat vorbereitet. Einen Anforderungskatalog mit 35 Punkten hatte der Sportchef des SV Werder Bremen angefertigt, als er sich im Sommer auf die Suche nach einem neuen Trainer machte. Nichts sollte dem Zufall überlassen werden, die Kandidaten wurden wie beim TÜV auf mögliche Mängel abgeklopft: Ist der Coach kompatibel mit der eingeschworenen "Werder-Familie"? Bringt er Zweitliga-Expertise mit? Kann er junge Spieler entwickeln und zugleich mit jenen etablierten Routiniers umgehen, die aus der Abstiegssaison im Kader verblieben sind?

Wer konnte da schon ahnen, dass Baumann seine Liste besser um die Kriterien Nummer 36 und 37 ausgeweitet hätte: Impfbereitschaft und allgemeine Gesetzestreue.

In Bremen sind sie immer noch entsetzt über die Vorwürfe, mit denen sich der Auserwählte Markus Anfang konfrontiert sieht. Gegen den 47-Jährigen, der am Samstag seinen Job als Werder-Trainer hinwarf und somit einer Entlassung zuvorkam, laufen Ermittlungen, weil er ein Zertifikat zum Nachweis einer Corona-Schutzimpfung gefälscht haben soll. "Wir sind bemüht, schnellstmöglich Klarheit in die Sache zu bringen", teilte die Staatsanwaltschaft der SZ am Montag mit.

Die ersten Zweifel an Anfangs Version keimten bereits im August

Das Portal Deichstube hat nun mit Verweis auf "zuverlässige Quellen" rekonstruiert, wie die ersten Zweifel an der Glaubwürdigkeit Anfangs aufgekommen sind: Am Freitag, 20. August, habe die Werder-Delegation auf der Reise zum Auswärtsspiel beim Karlsruher SC einen Stopp am Frankfurter Flughafen eingelegt und erst nach der Landung die Information erhalten, dass ein Spieler positiv auf das Coronavirus getestet worden war.

Nach zwei weiteren Tests konnte zwar Entwarnung gegeben werden, auch die Öffentlichkeit erfuhr nichts von dem Vorfall. Als verbrieft gilt aber, dass sich Trainer Anfang und sein ebenfalls zurückgetretener Assistent Florian Junge, dem dasselbe Vergehen wie seinem Chef zur Last gelegt wird, zwischenzeitlich in Quarantäne begeben hatten. Was laut Anfangs Impfpass aber gar nicht nötig gewesen wäre: Eingetragen war eine Zweitimpfung im Juli. Warum ging Anfang also in eine Isolation, in die sich eigentlich nur Ungeimpfte begeben müssen, obwohl er das laut den Angaben in seinem Dokument gar nicht gemusst hätte?

Abgesehen davon weist die Indizienlage in eine klare Richtung: Bei seinem Termin zur Zweitimpfung war Anfang mit Werder im Trainingslager im Zillertal - Hunderte Kilometer entfernt von dem angeblichen Ort, an dem er laut Impfpass die Spritze erhalten haben soll. Überdies stellte sich bei einer Prüfung durch das Bremer Gesundheitsamt im November heraus, dass die Chargennummer des Impfstoffs nicht existierte. Die Staatsanwaltschaft bestätigte am Montag diesen Verdacht und teilte überdies mit, dass die Personalien von Anfang im EDV-System des Impfzentrums Köln nicht erfasst seien. An diesem Standort sollte der Trainer ausweislich des Dokuments geimpft worden sein. Von einem Besuch nbbeim Kölner Karneval soll ihn das laut Deichstube nicht abgehalten haben: Eine große Feier im Foyer des Maritim-Hotels, bei der die 2-G-plus-Regelung galt - geimpft oder genesen sowie tagesaktuell getestet.

Ein Auftritt von Geschäftsführer Filbry erstaunt

Kann man solch eine Posse vorhersehen? Sicher nicht. Dennoch müssen sich Sportchef Baumann und Klaus Filbry, zuständig für das Ressort Finanzen, mal wieder Fragen gefallen lassen. Sie haben qua Amt den schleichenden Absturz des Traditionsklubs zu verantworten, sportlich wie finanziell. Allen voran ein Auftritt Filbrys erstaunte am Samstag, kurz vor Bremens 1:1 gegen den FC Schalke 04. Da schloss der Finanzchef kategorisch aus, etwaige Schadenersatzforderungen gegen Anfang in Betracht zu ziehen - und das, obwohl der Klub nur wenige Monate zuvor angeblich 400 000 Euro an den SV Darmstadt gezahlt hatte, um den Trainer nach Bremen zu holen. Genauer wollte Filbry die Gründe für seine Zurückhaltung nicht erläutern.

Das Geld könnte man jetzt jedenfalls gut gebrauchen. Anfang, so das in Bremen stets proklamierte Narrativ, sollte nach dem Abstieg in der Vorsaison einen "Wiederaufbau" einleiten, der in der internen Rangordnung sogar vor dem Wiederaufstieg stand. Dafür war der Kader - im Rahmen der begrenzten Möglichkeiten - durchaus nach seinem Gusto zusammengestellt worden: Baumann spendierte ihm im Sommer Zugänge wie Nicolai Rapp, Lars Lukas Mai oder den 3,5 Millionen Euro teuren Marvin Ducksch, alles alte Bekannte von Anfangs vorigen Stationen.

Als Top-Kandidat für den vakanten Trainerjob in Bremen gilt nun Ole Werner, bis September in Diensten von Holstein Kiel. Der Coach hat dort sein Amt auf eigenen Wunsch niedergelegt, blieb aber vertraglich an den Klub gebunden, weil die Kieler Verantwortlichen auf eine Ablöse spekulierten. Werner brächte jedenfalls vieles mit, was sich Baumann auf seinem Anforderungskatalog notiert hatte. Vielleicht weitet der Werder-Sportchef seine Liste sogar auf 38 Punkte aus: Werner hat mit den Kielern bereits den FC Bayern aus dem DFB-Pokal geworfen. Und die Bayern ärgern, das war früher ja mal so etwas wie die Bremer Paradedisziplin.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5470562
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/sjo/schm
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.