0:5 gegen Mainz:Bremen liefert ein Lehrvideo für Panikforscher

Werder Bremen - 1. FSV Mainz 05

Werder-Trainer Florian Kohfeldt (l.) ist immer häufiger als Tröster gefragt. Hier für Torwart Jiri Pavlenka.

(Foto: dpa)

Gegen Mainz erlebt Werder ein denkwürdiges 0:5-Debakel, bei dem alle Systeme ausfallen. Nicht nur das Spiel geht verloren - auch der Rückhalt des sonst so treuen Publikums.

Von Ralf Wiegand, Bremen

Das Lexikon definiert Panik als "durch eine plötzliche echte oder vermeintliche Gefahr hervorgerufene, übermächtige Angst, die zu unüberlegten Reaktionen führt". Womit über den Zustand des SV Werder Bremen, jener so hoch gehandelten und so tief gestürzten Mannschaft, nahezu alles gesagt wäre. Die erste Halbzeit gegen Mainz 05, in der die Bremer vier Tore kassierten und so nicht nur das Spiel verloren, sondern auch den Rückhalt ihres Publikums, können Panikforscher als Lehrvideo in ihr Seminarprogramm aufnehmen: Die Angst vor einer weiteren Niederlage löste eine Klatsche von nahezu sporthistorischem Ausmaß aus - 0:5, ein Debakel.

Nie zuvor in seiner langen Bundesligageschichte waren die Bremer im heimischen Stadion zur Pause so hoch zurückgelegen wie an diesem Dienstag gegen Mainz, nicht beim 0:7 gegen die Bayern aus dem Jahr 2013, nicht beim 1:7 gegen Mönchengladbach 1987. Zwischen der zehnten und 38. Minute formten die Mainzer, allen voran Robin Quaison mit drei Treffern (10./19./38. Minute), aus ihrem Gegner einen 1a-Abstiegskandidaten, Mateta machte in der 82. Minute das Schleifchen drum.

Das 0:2 (15.) hatten die Bremer selbst geschossen, inszeniert als humoristisches Zwei-Personen-Kammerspiel mit den Darstellern Milos Veljkovic und Torwart Jiri Pavlenka, dem nur aus formalen Gründen das Eigentor später zugeschrieben wurde, weil es zwei Eigentorschützen bei einem Treffer halt nicht geben darf. Gelacht hat übrigens niemand über diese auf eine Szene verdichtete Zustandsbeschreibung der Bremer Verfasstheit.

Werder erlebt exemplarisch das, was viele hoch gehandelte Mannschaften schon durchmachen mussten, wenn das Saisonziel - im Bremer Fall ein Platz im Europapokal - früh aus den Augen gerät. Anfangs war es großes Verletzungspech, das die Bremer geltend machen durften, später wähnten sie sich lediglich in einer lästigen Ergebniskrise bei noch vorhandener spielerischer Selbstzufriedenheit. Kritik an der Leistung äußerte Trainer Florian Kohfeldt zum ersten Mal nach dem 0:1 gegen Paderborn an gleicher Stelle, leichte Ratlosigkeit nach der desaströsen Leistung in der zweiten Halbzeit von München. Aber dort war immerhin der FC Bayern der Gegner gewesen, beim 1:6.

Alle Systeme fallen aus

Vor den letzten Hinrunden-Spielen mit den punktemäßig ähnlich bedürftigen Mainzern und Kölnern rief Kohfeldt plötzlich selbst den Panikmodus aus. Der Trainer, der sonst stets betonte, dass Werders Spiel auf Mechanismen und Abläufen basiert, dass es das Schlimmste sei, die Linie zu verlieren, verließ nun seinen Kurs und gab das Spiel frei: "Es ist egal, wie wir spielen", es zählten nur noch die Punkte.

Und nun, da es diese Punkte nicht gab, stattdessen im Weserstadion der Ausfall aller Systeme zu beobachten war? Erinnert Werder Bremen frappierend an den VfB Stuttgart der vergangenen Saison, nur schlimmer. Die Schwaben sind mit einem viel zu guten Kader und großen Europacup-Träumen in der zweiten Liga gelandet. Auch die Bremer haben lange nicht geglaubt, wie tief sie wirklich abstürzen könnten. Das durch entsprechende Fragen provozierte Zitat von Davy Klaassen nach dem 1:2 gegen Schalke, wonach seine Mannschaft "zu gut für den Abstiegskampf" sei, klebt nun wie Kaugummi an dieser Elf.

Fehlendes Tempo in Abwehr und Mittelfeld, physische Nachteile der Stürmer, Kopfball- und Standardschwächen wie bei einer Amateurmannschaft: All das war schon zu beobachten, als die Resultate nur unglücklich zu sein schienen. Die komplett überspielten Mittelfeld-Motoren Klaassen und Maximilian Eggestein verloren ihre Form, auch weil durch Verletzungen Wechsel auf diesen Positionen nicht möglich waren. Mit den Niederlagen sickerte bei den in den letzten zwei Jahren eher passsicheren Bremern die Verunsicherung ein, die Ballverluste in der gefährlichen Zone nahmen zu. In diesem labilen Gefüge können sich auch die vielversprechenden Talente wie Johannes Eggestein oder Josh Sargent nicht weiterentwickeln, erste Einwechseloption im Sturm ist meistens der 41-jährige Claudio Pizarro. Das ist romantisch, aber letztlich ein Armutszeugnis für die Offensivabteilung des Bremer Kaders.

Pizarro kam auch in der zweiten Halbzeit gegen Mainz aufs Feld, ohne Effekt. Die Bremer Welle blieb aus, die Mainzer machten es gnädig. Nach dem Schlusspfiff stellten sich die Bremer den Fans in der Ostkurve, einen kurzen Moment lang gab es Pfiffe, dann Applaus für die Geste. Doch der Rückhalt bröckelt: Nach dem 0:1 war noch das ganze Stadion aufgestanden, um die Elf aufzurichten, mit jedem Gegentor wechselten die Phasen des Entsetzens von Stille über Pfiffe und Hohn bis zur Flucht. Das unverbrüchlich treue Publikum zu verlieren, wäre dann der letzte Schritt in die sich anbahnende Katastrophe.

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