Süddeutsche Zeitung

Werder Bremen:Kohfeldt brüllt schon wieder

Lesezeit: 3 min

Der Trainer vermisst gleich im ersten Liga-Spiel die notwendigen Tugenden.

Von Thomas Hürner, Bremen

Florian Kohfeldt, 37, ist nicht unbedingt ein wandelndes Geheimnis, aber dafür wird er in dieser mechanischen und kühlen Branche ja auch vielerorts sehr geschätzt. Ein Trainer, der sagt, was er denkt und wie er sich fühlt, unter strengem Verzicht auf mildernde Floskeln und meistens auch auf schlechte Ausreden. An Kohfeldt lässt sich während eines Fußballspiels ziemlich gut ablesen, ob die eigene fußballerische Geisteshaltung gerade auch seinen Spielern inhärent ist; so war das auch im Heimspiel gegen Hertha BSC.

Allein die Beobachtung des Trainers sagte also mal wieder viel über die Leistung des SV Werder: Kohfeldt, wie er sich am Hinterkopf kratzt; Kohfeldt, wie er sich durch die Haare fährt; Kohfeldt, wie er das alles wiederholt, in immer hektischerer Abfolge. Und schließlich Kohfeldt, wie er explodiert und eine Arie der Verbitterung aus sich heraus brüllt.

Nein, diese 1:4-Niederlage war aus Bremer Sicht natürlich kein bisschen zufriedenstellend, auch abgesehen von der Höhe des Ergebnisses. Eine "große Enttäuschung" verspürte Kohfeldt, aber noch schlimmer war vielleicht, was er während des Spiels vermisst hatte. Womit man wieder bei seiner fußballerischen Geisteshaltung wäre: "Wir müssen giftig, gallig, angefasst sein", sagte Kohfeldt, "nur so können wir in der Bundesliga Spiele gewinnen." Und auch wenn er das so nicht aussprach: Nicht wenige in Bremen glaubten, dass die fehlende Stimmung ein Faktor für die schlimme vergangene Saison war, die in zwei umkämpften Spielen gegen Heidenheim gerade noch gerettet werden konnte.

Auch das war eine bittere Erkenntnis: Die Rückkehr von 8500 Fans, so engagiert diese von den Rängen schreien und anfeuern und jubeln mögen, zaubert noch lange keinen Vorteil herbei, schon gar nicht bei der schlechtesten Heimmannschaft der vergangenen Saison. Als es in die Halbzeit ging, Werder lag 0:2 hinten, da war der Vertrauensvorschuss bei einigen Anhängern schon wieder verspielt. Es gab Pfiffe.

Kurz nachdem der Ligaverbleib feststand und der Schrecken noch spürbar über dem Weserstadion lag, hatten in Bremen die Gremien getagt. Die Herren waren schnell einig: Es sollte mit Kohfeldt weitergehen, nicht ohne ihn, vom Trainertyp her wäre man sowieso "wieder bei jemanden wie Florian gelandet", wie der Aufsichtsratsvorsitzende Marco Bode kürzlich der FAZ verriet. Das Bremer Modell sieht grundsätzlich ohnehin vor, die Launen der Branche zu ignorieren. Kontinuität schlägt Aktionismus, im Falle Kohfeldts gleich auf mehreren Ebenen und aus tiefster Überzeugung: Spritzig, mutig, voller Esprit will Werder spielen; die Mannschaft soll immer dorthin gehen, wo es für einen selbst und aber auch für den Gegner schmerzhaft wird. Genau dafür steht auch der junge Trainer Kohfeldt.

Ein solcher Matchplan empfiehlt sich vor allem bei einem Gegner wie Hertha BSC, den nicht nur Kohfeldt ob seiner individuellen Klasse in "anderen Sphären" verortet, was er nicht als Entschuldigung verstanden wissen wollte. Es war nur fair, trotz aller Bremer Unzulänglichkeiten auch diese Einordnung auszusprechen, sie gehörte ja auch zur Wahrheit dieses Nachmittags. Im Berliner Angriff spielten Krzysztof Piatek, Dodi Lukebakio und etwas dahinter Matheus Cunha - ein Trio, das mehr als 60 Millionen Euro gekostet hat, wobei letzterer sogar als Schnäppchen gelten darf, so leichtfüßig wie der Brasilianer wieder durch die gegnerischen Reihen tänzelte. Und dann konnte Hertha-Trainer Bruno Labbadia auch noch Jhon Cordoba einwechseln, der erst vor wenigen Tagen für 15 Millionen Euro als zusätzliche Option im Sturm verpflichtet worden war. Der Kolumbianer veredelte sein Debüt mit dem Tor zum 4:1-Endstand (90.), es hätten seinerseits sogar noch mehr werden können. Dafür bereitete Cordoba den Treffer des herausragenden Cunha vor (63.), in der ersten Hälfte waren schon der pfeilschnelle Lukebakio (45.) sowie Verteidiger Peter Prekarik (42.) erfolgreich gewesen. Hertha-Trainer Labbadia stellte mit Recht fest: "Das war alles in allem ein guter Auftritt, den wir hingelegt haben."

Und Werder? Muss weiterhin Milot Rashica verkaufen, seinen wohl talentiertesten Fußballer, des Geldes wegen; gegen Hertha stand er wegen einer Blessur nicht im Kader. Ohne ihn war Bremen im Spiel nach vorne fast durchweg harmlos, es waren weder das notwendige Feuer noch eine verbindende Idee zu erkennen. Auch nicht, nachdem Davie Selke, vor nicht allzu langer Zeit noch Ergänzungsspieler bei Hertha, per Kopf das zwischenzeitliche 1:3 erzielt hatte (69.). Dabei hatte die Bremer Startelf wohl etwas anderes signalisieren sollen: Selke spielte im Sturmzentrum, um ihn herum Josh Sargent, Yuya Osako sowie Tahith Chong; ein Offensivquartett also, das mit seinem jugendlichen Elan viel wirbeln könnte, gegen Hertha aber nicht mehr als ein Versprechen für die Zukunft blieb.

Genau daran glauben sie ja trotz allem rund ums Weserstadion: an die Zukunft. "Heute hat wieder jeder gemerkt, wo wir eigentlich herkommen", sagte der Trainer Florian Kohfeldt, "die Souveränität, die Sicherheit kommt nur, wenn wir uns in die Saison hinein kämpfen." Für den Bremer Sportchef Frank Baumann war das Spiel jedenfalls "ein Warnschuss" zur rechten Zeit.

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SZ vom 21.09.2020
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