Süddeutsche Zeitung

Werder Bremen:Mit Arroganz zur Wiederbelebung

Lesezeit: 3 min

Von Jörg Marwedel, Bremen

Vor einigen Tagen hat Frank Baumann sich viel Zeit genommen für die Medien. Werder Bremens Geschäftsführer versuchte zu erklären, warum das mit Europacup-Träumen in die Saison gestartete Team als Siebzehnter in dieser Hinrunde die schlechteste Zwischenbilanz in 55 Jahren Bundesliga hingelegt hatte. Die Beobachter des gerade beendeten Trainingslagers auf Mallorca haben dann schnell gemerkt, dass sich bei der Analyse der Fehler auch Trainer Florian Kohfeldt nicht ausgenommen hatte. Es sei "das komplexeste" Trainingscamp in seiner noch jungen Karriere als Profitrainer gewesen, teilte er mit.

Schließlich habe der interne Check unter anderem erbracht, dass er zuweilen die Regeneration vernachlässigt habe, was durchaus zur Verletzungsserie beigetragen haben könnte. Andererseits versucht Kohfeldt nun, seinen Profis vorzuleben, was Abstiegskampf bedeutet - eine Situation, die er lange wegschob, weil er sehr lange an den Turnaround glaubte. Nun stauche er die Spieler im Training auch mal zusammen "wie ein brillanter Felix-Magath-Imitator", schrieb der Kicker. Etwa wenn einer nach harten Zweikampf liegen bleibe oder sich zu sehr um einen gefoulten Kollegen kümmere. Auf diese Weise, grantelte Kohfeldt, habe man in der Hinrunde vier Gegentore bekommen. Ob die Spieler ihm den neuen Führungsstil abnehmen?

Zu "brav" sei die Mannschaft gewesen, urteilte Baumann. Ein Abstiegskampf aber erfordert andere Stärken, als nur gut Fußball spielen zu können. Die Suche nach tonangebenden Naturellen war demnach die zentrale Aufgabe zur Winterpause. Nun hat man einen solchen Typen gefunden, Kevin Vogt, 28, kommt von der TSG Hoffenheim. Er sei "charakterlich die absolute Wunschlösung", betont Kohfeldt.

Er habe "Ecken und Kanten" und scheue es nicht, seine Meinung zu sagen, sagte Vogt am Montag bei seiner ersten Pressekonferenz im Weserstadion. Ein Beispiel seines Selbstvertrauens lieferte er gleich mit: "Mutig zu spielen, ist in meinen Augen der Schlüssel zum Erfolg", sagte er. "Wenn ein Pass mal nicht klappt, dann versuche ich ihn trotzdem noch mal. Ich will maximal mutig spielen."

Zu allem Überfluss flällt auch Bargfrede aus

Diese Schnellhilfe, zunächst nur bis Saisonende für eine Leihgebühr zwischen 600 000 und einer Million Euro (je nach Einsätzen und Klassenerhalt) ausgeliehen, soll die Bremer Defensivabteilung verstärken, die mit 41 Gegentoren die schlechteste in der Liga war und an jene löcherige Abwehr erinnerte, die 2013 wesentlich zum Ende der Ära des Trainers Thomas Schaaf beigetragen hatte. Vogt, kürzlich nach Disputen mit Trainer Alfred Schreuder als Kapitän in Hoffenheim zurückgetreten, bemerkte, er "stehe total im Saft", er wolle mit seiner Art auch anstecken: "Hier gibt es viele gute Fußballer, und ich bin überzeugt, dass wir aus der Negativspirale der Hinrunde herauskommen."

Auch Kohfeldt ist überzeugt, dass Vogt "uns mit seiner Physis und Geschwindigkeit guttut". Er habe "eine positive Arroganz, ohne überheblich zu sein". Vogt kann sowohl in einer Dreier-Abwehrkette spielen als auch auf der Position des Sechsers, womöglich ist er erst mal auf der Sechs gefragt. Denn zu allem Überfluss fällt nun auch noch Philipp Bargfrede (Wadenverletzung) für mindestens zwei Spiele aus.

Werders Wiederbelebung könnte zusätzlich noch durch einen offensiven Mittelfeldspieler beschleunigt werden, auch an so einem Transfer arbeitet Baumann noch. Denn für den nach Istanbul abgewanderten Max Kruse habe man noch keinen wirklichen Nachfolger gefunden, das wissen sie in Bremen selbst, einen, der auch in schwierigen Situationen den Ball fordere. Mental unterscheidet Baumann vier Charaktertypen: dominante, integrative, kreative und disziplinierte Typen. Schon voriges Jahr habe man kaum dominante Typen gehabt, gibt er zu, Kruse sei zwar ein Führungsspieler gewesen, aber mehr "kreativer Individualist als dominant". Aber auch der dominante Abwehrspezialist Vogt könnte nun "unseren Fußball wieder zum Leben erwecken", glaubt Kohfeldt. Einen Fußball, der nach seiner Meinung derzeit "unter einer Menge Schutt vergraben" sei.

Aber auch sonst muss laut interner Analyse noch an Stellschrauben gearbeitet werden. Etwa an der fehlenden Sprintstärke, die Baumann nicht allein den vielen Verletzten zuschreiben kann. Oder an der medizinischen Abteilung, die ebenfalls aufgerüstet wird. Es soll eine Praxis im Kabinenbereich eröffnet werden, die vom neuen Teamarzt Daniel Hellermann mehr Zeit erfordert. Auch die Zusammenarbeit zwischen Athletiktrainern, Physiotherapeuten und Ärzten soll deutlich intensiviert werden, nachdem herausgekommen war, dass die Kommunikation alles andere als optimal war. Gut für Kevin Vogt: Er muss also nicht den alleinigen Retter spielen.

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Quelle:
SZ vom 14.01.2020
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