Werder Bremen:Kainz wird vom Mitläufer zum Matchwinner

Werder Bremen - Hamburger SV

Bremens Florian Kainz: Durfte sich nach Spielende feiern lassen

(Foto: dpa)
  • Florian Kainz erzielt für Werder Bremen das Siegtor im Nordderby - dabei stand er in dieser Saison viele Spiele gar nicht im Kader.
  • Für eine Geschmacklosigkeit sorgen Wirrköpfe aus dem Werder-Lager: Fünf Tage nach den Vorfällen in Dortmund beschmeißen sie den HSV-Mannschaftsbus mit Farbbeuteln, Eiern und auch Flaschen.
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Von Frank Hellmann, Bremen

Hinterher hat Zlatko Junuzovic bereitwillig seinen Platz am Absperrband geräumt. Der aktuelle Mannschaftskapitän des SV Werder, für seine klaren Worte in guten wie in schlechten Zeiten geschätzt, bat darum, dass bitte statt seiner Person der Derbyheld beim 2:1 (1:1) gegen den Hamburger SV von den Journalisten unter der Ostkurve des Weserstadions verhört werden sollte: Florian Kainz. Sein österreichischer Landsmann, der als Perspektivspieler vergangenen Sommer für immerhin 3,5 Millionen Euro aus Wien nach Bremen wechselte und dann wochen- und monatelang nicht mal in den Kader besten 18 Profis schaffte, glückte schließlich nach 75 Minuten jener Streich, der den Evergreen in der norddeutschen Tiefebene entschied.

"Das freut mich extrem", sagte der 24-Jährige. Sein Beginn in der deutschen Bundesliga sei enttäuschend gewesen, "aber ich will darüber gar nicht mehr reden, sondern das Positive mitnehmen". Hätte ihm einer am Morgen des Ostersonntags geflüstert, dass er den Siegtorschützen für die 106. Auflage dieses Klassikers geben würde, "ich hätte sofort unterschrieben."

Der erst zwölf Minuten zuvor eingewechselte Kainz wirkte so glücklich wie ein kleines Kind, dass bei der Eiersuche verspätet doch noch das größtmögliche Nest mit Bergen voller Süßigkeiten entdeckt hat. Seine Entwicklung vom Mitläufer zum Matchwinner stand gleichwohl exemplarisch für die Wandlung, die Werder inzwischen durchgemacht hat. Nach 23 Punkten aus neun Spielen findet sich Bremen auf einmal auf Platz acht wieder. Und die Anhängerschaft trällerte fröhliche Lieder vom Europapokal.

Die abwartende Taktik ist Teil des Programms

Was ist da passiert? Das wankelmütige Gebilde, das unlängst beim ersten Windstoß zusammenfiel und gerne Gegentore schluckte wie ein Spielautomat die Plastikmünzen, wirkt inzwischen gefestigter als ein gegen Sturmfluten verstärkter Weserdeich. "Wir treten als Einheit auf. Und dieser Zusammenhalt macht uns stark. Der HSV hatte keinen Plan mehr, wie er gegen uns ein Tor schießt", erklärte Junuzovic in Kurzform die neue Erfolgsformel, die deutlich weniger Spektakel als früher vorsieht.

Auf der Basis einer Dreierkette, die diesmal der zurückgekehrte Abwehrchef Lamine Sané souverän befehligte, spielen die Grün-Weißen längst nicht bedingungslos oder gar blind nach vorne. Im Gegenteil. Die abwartende Taktik ist Teil des Programms, das auch nach dem frühen Rückstand - Michael Gregoritsch verwertete per Kopf eine punktgenau getimte Maßflanke des Ex-Bremers Aaron Hunt (6.) - nicht aufgegeben wurde. Werder besaß bereits vor der Pause durch Max Kruse (1.), Florian Grillitsch (18.) und einem an den Pfosten gezirkelten Freistoß von Junuzovic (22.) die besseren Chancen, um sich dann durch Kruses neunten Saisontreffer nach einer feinen Vorarbeit von Fin Bartels zu belohnen (41.). In der zweiten Halbzeit verdienten sich die Hausherren dank größerem Engagement und mehr Einfällen im Vorwärtsspiel den Erfolg endgültig.

Zittern bis zum Schluss dürfte für den Dino angesagt sein

"Glückwunsch Werder, sie haben knapp, aber nicht unverdient gewonnen", konstatierte Markus Gisdol. Der HSV-Trainer schrieb seiner Mannschaft ins Stammbuch, sie habe zu viele Lücken gelassen, die speziell der in Reinbek geborene und beim FC St. Pauli zum Profi gereifte Kruse zu nutzen wusste. Bremens Nummer zehn "war der entscheidende Mann und der herausragende Spieler", urteilte Gisdol. Eine Einschätzung, die beim Kollegen Alexander Nouri für Widerspruch sorgte. Zum einen wollte der Bremer Coach den kollektiven Kraftakt der Seinen nicht geschmälert wissen, zum anderen griff die Erklärung mit Kruse wirklich zu kurz. Werder lieferte auch die bessere Teamleistung ab als der HSV.

Selbstkritisch gaben die Protagonisten in den roten Hosen ihre Versäumnisse zu. "Es hat die komplette Spielzeit etwas gefehlt", mäkelte Torwart Christian Mathenia, der beim 1:2 für einen entscheidenden Moment die kurze Ecke freigab. "Wir haben uns über 90 Minuten den Schneid abkaufen lassen", meckerte Torschütze Gregoritsch. "Wir haben es nicht so hinbekommen, organisiert zu verteidigen", sagte Sportchef Jens Todt, für den sich die Ausgangslage nicht geändert hat. Zittern bis zum Schluss dürfte für den Dino angesagt sein.

Dass vor dem Prestigeduell Wirrköpfe aus dem Werder-Lager fünf Tage nach den schlimmen Vorfällen in Dortmund nichts Bessere zu tun hatten, als den HSV-Mannschaftsbus mit Farbbeuteln, Eiern und auch Flaschen zu bewerfen, machte Todt später bewusst nicht zum Thema: "Das Ding machen wir nicht größer als es ist. Wir haben uns davon nicht einschüchtern lassen." Beim Aussteigen sei das Gefährt an vielen Stellen "grün-weiß statt blau-weiß" gewesen, erzählte Tormann Mathenia, der nach den Vorfällen in Dortmund von einer "komischen Situation" sprach, die auf seine Leistung indes keinen Einfluss gehabt hätte.

Am klarsten verurteilte Trainer Gisdol die Geschmacklosigkeit, die sich auf der Rampe am Osterdeich, der Zufahrt zum Weserstadion, abgespielt hatte: "Ich bin ehrlich, dann zuckt man zusammen. Gerade wenn kleine Flaschen fliegen. Ich finde das sehr unsensibel nach den Vorkommnissen der vergangenen Tage."

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