Süddeutsche Zeitung

1:0-Sieg:Werder kommt im Abstiegskampf an

Lesezeit: 2 min

Bremen kann doch noch gewinnen - und scheint beim 1:0 in Freiburg mit Zweikampfhärte und Lautstärke die Kritiker an Trainer Florian Kohfeldt widerlegen zu wollen.

Von Christoph Ruf, Freiburg

Es ist ein struktureller Nachteil bei sogenannten Traditionsvereinen, dass im Laufe der Jahrzehnte schon recht viele Spieler dort gegen den Ball getreten haben und sich oft noch lange nach ihrem Karriereende kompetent fühlen, die aktuelle Lage zu bewerten. Im Falle von Werder Bremen äußerten sich zuletzt die Altvorderen Rune Bratseth und Dieter Burdenski kritisch über die Arbeit des jungen Trainers Florian Kohfeldt.

Nach dem 1:0 seiner Bremer beim SC Freiburg konnte Kohfeldt dafür nicht nur den etwas glücklichen Dreier genießen, sondern auch ein Statement des Trainerkollegen Christian Streich, der seiner Niederlage auch etwas "Gutes" abgewinnen konnte: Dass die Kritiker an der Weser nun verstummen müssten: "Die, die nicht beurteilen können, wie bei euch intern gearbeitet wird, sollen mal nachdenken, bevor sie irgendwelche Sachen in die Mikrofone schwätzen."

Kohfeldt selbst gab zu Protokoll, er sei "aus Selbstschutz" unmittelbar nach Abpfiff in die Kabine gegangen. "Ich hätte den ein oder anderen gerne in den Arm genommen. Aber das geht im Moment nicht. Deswegen bin ich reingegangen, habe mich auf meinen Stuhl gesetzt und gefreut."

Auf dem Platz hatte sich der Gast dann alle Mühe gegeben, sämtliche gängigen Klischees über die Werder-Spielweise zu widerlegen, die ja im Vorwurf fehlender Wettkampfhärte und defensiver Schlampigkeit gipfeln. Werder ging mit mindestens angemessener Galligkeit in die Zweikämpfe und griff gerne und oft zum Stilmittel des taktischen Fouls. Spätestens, als Theo Gebre Selassie den abschlussbereiten Lucas Höler mit einem prächtigen Tackling vom Ball trennte (26.), war klar, dass es Freiburg schwerhaben würde, den Nachmittag erfreulich zu gestalten. "Das waren nicht 99, das waren 101 Prozent Emotion", freute sich Kohfeldt.

Bremen bekommt die gelbe Karte wegen zu viel Temperament auf der Tribüne

Auch atmosphärisch war Abstiegskampf angesagt: Im Vergleich zum Coaching Kohfeldts wirkte das des Kollegen Streich fast schon schüchtern. Das Fernduell zwischen den in 80 Metern Entfernung auf den Tribünenseiten platzierten Ersatzspielern endete ebenfalls mit einem Werder-Sieg. Die elf Bremer wurden von den jeweils neun Backups noch lauter angefeuert als die Freiburger Kollegen - in der zweiten Hälfte bekam Teammanager Tim Barten sogar die gelbe Karte wegen zu viel Temperaments auf der Tribüne.

Die Freiburger hatten allerdings auch weniger Grund zum Enthusiasmus. Denn nachdem Leonardo Bittencourt nach tollem Pass von Davy Klaassen das 1:0 erzielt hatte (19.), wollte einfach kein Tor mehr fallen. Nicolas Höfler (62.) und Changhoon Kwon (85.) vergaben zwei Chancen, ehe nach Gelb-Rot für Werders Philipp Bargfrede das zu passieren schien, was in dieser Saison wohl kaum einer Mannschaft so oft widerfahren ist wie den Bremern: ein vermeintlicher Last-Minute-Ausgleich durch Manuel Gulde nämlich (89.). Doch diesmal hatte Werder Glück. Petersen war beim Schuss zuvor im Abseits gestanden, der Videoschiedsrichter erkannte den Irrtum. Es blieb also beim Werder-Sieg. "Das war ein erster Schritt, nicht mehr, aber es war ein erster Schritt. Die Erleichterung, wenn der Schiedsrichter abpfeift, ist groß", sagte Kohfeldt.

Der Abpfiff dürfte für ihn auch rein physisch eine Erleichterung gewesen sein. 123,77 Kilometer an Laufleistung hatte sein Team am Ende des Tages abgespult. Hätte man des Trainers Hin- und Her-Tigern in der Coaching Zone dazugerechnet, wären noch etliche Kilometer hinzugekommen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4915923
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 24.05.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.