Werder Bremen:Dem Mai so nah

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In Bremen klagen sie zurzeit über fehlendes „Spielglück“: Thomas Delaney bei der Ballannahme. (Foto: imago/Nordphoto)

Ermahnung nach dem 0:0 gegen Berlin: Trainer Florian Kohfeldt ist weit davon entfernt, die eigentlich klare Dominanz seiner Elf gegen die Hertha zu feiern.

Von Jörg Marwedel, Bremen

Fast wirkte es so, als sei Pal Dardai das 0:0 bei Werder Bremen ein wenig peinlich gewesen. Man habe den Punkt "weggeklaut", gab der Trainer von Hertha BSC unumwunden zu. In der ersten Halbzeit sei sein Team "gar nicht anwesend" gewesen, und in der letzten Szene der Nachspielzeit hatten dann sogar alle Schicksalsgötter des Fußball-Himmels das Bremer Siegtor verhindert: Aron Johannsson hatte präzise geflankt, Ishak Belfodil den Ball per Kopf ebenso akkurat zurückgelegt auf Maximilian Eggestein, der sofort schoss. Und Hertha-Torwart Thomas Kraft war geschlagen - doch der Ball flog nicht ins Netz, sondern traf Jordan Torunarigha, der auf der Torlinie kauerte.

Florian Kohfeldt, Bremens Trainer, war dennoch weit davon entfernt, die klare Dominanz seiner Elf zu feiern. Die Tatsache, dass man nur eine einzige Chance zugelassen (der eingewechselte Vedad Ibisevic zeigte in der 66. Minute, warum er derzeit als Torjäger außer Form ist), aber mindestens vier Großchancen erspielt hatte, hat den jungen Fußballlehrer nicht beruhigt. Dabei sind vier Großchancen gar nicht so schlecht gegen einen Gegner, der mit zwei Abwehrketten "versucht hat, unser Spiel zu zerstören", wie Kapitän Zlatko Junuzovic nicht zu Unrecht beklagte.

Doch Kohfeldt, der angesichts der brisanten Lage des Tabellensechzehnten einen Sieg gefordert hatte, schlug Alarm. Viele in der Stadt hätten verdrängt, dass der Klub sich im "Überlebenskampf" befinde. Das ist zwar einerseits verständlich, weil Kohfeldt seit seinem Dienstantritt Anfang November das offensive Werder-Spiel wieder belebt hat, einschließlich mutiger Auftritte wie beim 2:4 beim FC Bayern in der Woche zuvor. Aber das könne nicht darüber hinwegtäuschen, wie gefährlich die Situation sei, fügte er an. Angesichts der oft geäußerten Meinung, das Saisonende sei noch weit entfernt, entgegnete Kohfeldt: "Der Mai ist nicht mehr weit." Außerdem wünsche er sich, mal dazusitzen und einen Sieg erklären zu müssen, von dem er nicht wisse, wie er zustande gekommen sei.

Natürlich haben die Bremer die Nichtanwesenheit der Berliner zu wenig ausgenutzt. Zum Beispiel, weil sie manchmal zu spät nachgerückt sind, wie der spielfreudige Max Kruse zuweilen mit seinen Gesten ausdrückte. Kruse, das Zentrum der Offensive, beklagte hinterher auch, dass die Cleverness gefehlt habe. Doch auch das "Spielglück" fehlte, wie Jérôme Gondorf beklagte. Zum ersten Mal schon nach 64 Sekunden, als er selbst den Pfosten traf. Ebenso in der 74. Minute, als erst Theodor Gebre Selassi mit einem Kopfball an Kraft scheiterte, dann erneut Gondorf mit seinem Nachschuss den Pfosten streifte.

Vor allem aber fehlte das Fußball-Glück in der zehnten Minute. Eggestein hatte den Ball ins Tor befördert, die Spieler jubelten, auf der Anzeigentafel erschien das 1:0. Doch zweieinhalb Minuten später hieß es wieder 0:0. Video-Assistent Jochen Drees in Köln hatte erkannt, dass in der Szene zuvor Werders Thomas Delaney dem Berliner Fabian Lustenberger seinen Ellbogen ins Gesicht gerammt hatte. Schiedsrichter Bastian Dankert hatte das übersehen. Es war also eine korrekte Entscheidung.

Doch die "Diskussionen werden nicht weniger, sondern mehr", beklagte Gondorf, der die Fraktion der Romantiker anführte: "Das hat mit Fußball nichts mehr zu tun." Es werden jedenfalls nicht weniger Dispute, wenn an anderen Orten der Video-Assistent nicht eingreift. So wie in Leipzig, wo Werders Abstiegsrivale Hamburger SV das 1:1 erzielte, weil Filip Kostic's minimale Abseitsstellung nicht vom Überwachungszentrum bemängelt wurde.

Wie ernst die Lage in Bremen gesehen wird, verdeutlichte auch noch Sportchef Frank Baumann. Nach dem vom FC Bayern ausgeliehen Abwehrspieler Marco Friedl soll bis zum Mittwoch noch Nachschub für die Offensive verpflichtet werden, kündigte er an. Ein Kandidat soll der Däne Martin Braithwaite vom englischen Zweitligisten FC Middlesborough sein. Lamine Sané und Luca Caldirola sollen den Klub noch verlassen.

© SZ vom 29.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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