Werder Bremen:Bloß nicht sexy sein

Werder Bremen - FC Schalke 04

Belebt Bremen wieder: Mit Trainer Alexander Nouri ist Werder seit acht Spielen unbesiegt.

(Foto: Carmen Jaspersen/dpa)

Vor zwei Monaten stand Bremens Trainer Nouri noch vor dem Aus: Im Nordderby könnte der nächste Schritt Richtung Europa League gelingen.

Von Jörg Marwedel, Bremen

In diesen Tagen hat Claudio Pizarro versucht zu erklären, warum er nur noch schwer seinen Platz in der Werder-Elf findet: "Ich bin zum dritten Mal hier, und es ist jetzt ein bisschen anders, dieses Werder Bremen." Was der Peruaner meinte, ist der Konterfußball, den der Trainer Alexander Nouri inzwischen spielen lässt. Das sei "ein bisschen schwierig" für ihn. Er war es während seiner ganzen Karriere gewohnt, immer nur "nach vorne zu spielen und in der gegnerischen Hälfte mehr Ballbesitz zu haben". Aber, schloss der Mann, der mit 104 Toren der Bremer Rekordschütze in der Bundesliga ist: "Die Ergebnisse sind gut. Warum sollen wir etwas ändern?"

Das 38 Jahre alte Werder-Idol ist ein Opfer der neuen, erfolgreichen Zeit. Immer häufiger muss der noch sehr geschmeidige Fußball-Greis auf der Bank Platz nehmen, obwohl Geschäftsführer Frank Baumann das offensive Spiel weiter für eine "Werder-DNA" hält. Trotzdem hat sich viel verändert, seit Bauman, der Kapitän der Bremer Double-Gewinner von 2004, und der Trainer-Newcomer Nouri das Sagen haben. Der SV Werder hat vor dem 106. Nordderby gegen den Hamburger SV am Sonntag um 15.30 Uhr nach zuletzt 20 Punkten aus acht Spielen plötzlich sogar die Chance, sich noch für die Europa League zu qualifizieren.

Der nüchterne Baumann hält die Frage nach einem neuen internationalen Höhenflug nach siebenjähriger Pause für eine "Fangfrage". Er spricht lieber von Demut und "neuer Stabilität". Doch als Chef eines Vereins, der vor wenigen Wochen noch auf einem Abstiegsplatz stand, hat er wesentlich zum Wandel beigetragen. Baumann ist nämlich nicht nur ein nüchterner Analyst (weshalb er seinen Irrtum mit Trainer Viktor Skripnik nach nur drei Spieltagen korrigierte), sondern hat offenbar auch ein Gefühl für Personalpolitik. Sie erinnert an jene Zeiten, in der sein Vor-Vorgänger Klaus Allofs mit einem Gespür für neue Spieler Werder für viele Jahre zum Spitzenteam formte.

Beim Blick auf Baumanns Transfers fällt auf: mehr Volltreffer kann man kaum landen. Max Kruse, Serge Gnabry, Robert Bauer, Niklas Moisander, Lammine Sané und im Winter noch Thomas Delaney tragen inzwischen das Werder-Spiel. Unter dem Strich hat Baumann nach den Verkäufen von Anthony Ujah nach China und Jannik Vestergaard an Gladbach ein Transferplus von 3,4 Millionen Euro erwirtschaftet. Das wird in der Bundesliga einzig noch vom Frankfurter Kollegen Fredi Bobic (8,75 Millionen) übertroffen. Nur der inzwischen an den FC Metz verliehene Fallou Diagné entpuppte sich als Flop. Die anderen Zugänge, die es nicht schafften - Eilers, Yatabaré, Petsos und Thy - wurden noch von Thomas Eichin verpflichtet.

Vor allem aber scheint die Gruppendynamik im neuen Team zu stimmen. Während die Alteingesessenen Clemens Fritz, Pizarro (das Vorbild für professionelle Einstellung und Spaß) sowie Zlatko Junuzovic die Werder-Tradition vorleben, darf der ehemalige Nationalspieler Max Kruse in Bremen seine kleinen Ausschweifungen außerhalb des Rasens mit seinem großen fußballerischen Ehrgeiz kompensieren. Abwehrchef Moisander sei, so Baumann, "der Ruhige", sein Abwehrpartner Sané der Mann, der "eine gewisse Lockerheit reinbringt". Und beim Dänen Delaney sei schon "beim ersten Training" klar gewesen, dass er ein Führungsspieler ist.

Nouri schafft das, woran Thomas Schaaf und Viktor Skripnik scheiterten

Dass Werder auch die vielen Ausfälle relativ locker auffing, hat wohl mit den Persönlichkeiten im Team zu tun. Hin und wieder sah es so aus, als ob Pizarro, Fritz oder Junuzovic dem noch recht unerfahrenen Coach während des Spiels die Taktik einflüsterten. Ob dieser Eindruck stimmt, will niemand verraten. Für Baumann zeigt sich an solchen Szenen nur, dass es "einen sehr konzentrierten Austausch" zwischen Mannschaft und Chef gibt. Überhaupt lebt Nouri, über dessen Aus noch vor neun Wochen auf Tabellenplatz 16 spekuliert worden war, vor allem von seinem Kommunikationstalent. Mit dem Argentinier Santiago Garcia spricht Nouri auch Spanisch. Frank Baumann sagt, Nouri habe inzwischen "seinen Weg gefunden". Er lebe den Teamgedanken vor, betrachte aber jeden Profi zuvorderst als Individuum. Er gebe dem Team Freiheiten, könne aber trotzdem "die Jungs packen".

Vor allem hat Nouri trotz einiger Anfängerfehler eine erfolgreiche Fußball-Idee entwickelt. Ihm ist es zuzuschreiben, dass der SV Werder erstmals seit der Double-Saison 2003/2004 die Abwehr wieder abdichten konnte. Gleichzeitig verfügt Werder inzwischen auch schon wieder über den fünftbesten Angriff der Liga. Nouri hat - im Gegensatz zu Dauer-Coach Thomas Schaaf und seinem Vorgänger Skripnik - endlich die Balance zwischen Angriff und Verteidigung hinbekommen.

Bis in den Herbst hinein schluckte die Werder-Abwehr noch die meisten Tore der Liga, in den letzten drei Spielen unter Viktor Skripnik ließ die Abwehr die Gegner rekordverdächtige 60 Mal aufs Tor schießen, was zu zwölf Gegentreffern führte. Jetzt zieht sich Werder manchmal sogar im eigenen Stadion weit zurück, um schnelle Gegenangriffe zu starten. Vor allem hat Nouri detailliert am Zusammenspiel der einzelnen Mannschaftsteile gearbeitet. Geht das so weiter, wird Aufsichtsratschef Marco Bode vielleicht bald anders reden als vor dem Nordderby. Da sagte er, als hätte er sich mit Baumann abgesprochen: "Auch wenn das nicht sexy klingt: Unser Ziel ist der Klassenerhalt."

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