Werder Bremen:Arbeitsgruppe Masochismus

Torwart Felix Wiedwald SV Werder Bremen Gestik Geste enttäuacht FC Bayern München FCB vs SV Werder

Bester Bremer: Torhüter Felix Wiedwald versucht vergebens, seine Mitspieler anzutreiben.

(Foto: Michael Weber/Imago)

Nach den Niederlagen in Lotte und München erwarten Werders Trainer Skripnik unruhige Zeiten.

Von Ralf Wiegand

Erwartungen waren an diesem Abend nicht zu enttäuschen auf Seiten des Bremer Anhangs, da hätte auf dem Platz alles passieren können. Am Morgen hatten sich am Hauptbahnhof der Hansestadt Mitglieder des "Fanclubs auf Twitter aktiver Werderfans" zum Sechs-Stunden-Trip nach München getroffen und standesgemäß getwittert: "Die Arbeitsgruppe für angewandten Masochismus hat sich am Hbf versammelt, um heute Abend einen Folterabend zu besuchen." Sie wussten ja alle, was auf sie zukommen würde.

Mittiger lag ein Kopf noch selten unter der Guillotine als der von Werder Bremen vor dem Beginn der 54. Bundesliga-Saison. Der vom Drittligisten SF Lotte im Pokal vor einer Woche gedemütigte, durch Platzverweis, Frustfouls und Zuschauerbeschimpfung zudem zutiefst verunsicherte Werder-Kader kam als das in die Allianz-Arena, was böse Jungs auf dem Schulhof "Du Opfer" nennen. Und die Spieler erfüllten die Rolle perfekt, wurden nur geschont durch einen im Abschluss verschwenderischen FC Bayern. Die Bremer taten zum eigenen Schutz vor einem Debakel: nichts.

Die Aufstellung von Werder war voller Überraschungen

Ihr Problem war, dass sie sich nach den frühen Gegentoren nicht weiter zurückziehen konnten, da sie schon mit einer Grundaufstellung an der Grenze zum Mauerbau angetreten waren. Gleich drei Innenverteidiger verteilte Trainer Viktor Skripnik in seiner Viererkette, dazu baute er den erst am Mittwoch ursprünglich als Abwehrspieler verpflichteten Robert Bauer ins Mittelfeld ein. Skripnik überraschte auch mit der Aufstellung des US-Isländers Aaron Johansson, der fast ein Jahr verletzungsbedingt kein Spiel gemacht hatte und schon zur Pause pumpte wie ein Maikäfer.

Manche Umstellungen waren Verletzungen geschuldet, der von Star-Einkauf Max Kruse etwa oder von Zlatko Junusovic. Andere aber bestätigten die Theorie, dass es Skripnik schwer fällt, wenigstens in einzelnen Mannschaftsteilen eine Stammformation zu finden oder Spielern länger als für 90 Minuten sein Vertrauen zu schenken. Lennart Thy, in Lotte noch einzige Spitze, saß in München auf der Bank; der junge Johannes Eggestein, 18 und als eines der größten Talente der Liga gehandelt, gehörte nicht mal zum Kader. Er schoss, während die erste Mannschaft der Bremer in München keine Torchance zu Stande brachte, die zweite Werder-Elf zum 4:2-Sieg gegen Osnabrück.

Auf Skripnik, 46, dürften unruhige Zeiten zukommen, wenn die Länderspielpause genug Raum für eine zünftige Trainerdiskussion zulässt. Der ukrainische Coach, der den Retter-Bonus seiner Anfangstage längst verspielt hat, ist bei den meisten Bremer Fans unten durch. In der ersten Halbzeit stand er noch im Stile eines Campers in der Coachingzone, der seinen Kindern dabei zuschaut, wie sie vergeblich versuchen, das Zelt aufzubauen. Nach dem 0:3 zog er sich unter das schützende Dach der Trainerbank zurück.

Dass die Bremer im Sommer Sportchef Thomas Eichin entlassen hatten, der Skripnik loswerden wollte, war das eine; dass sie im selben Moment auch Skripniks Vertrag um ein Jahr verlängerten, könnte dem Duo aus Sport-Geschäftsführer Frank Baumann und Aufsichtsratschef Marco Bode auf die Füße fallen. Nach dem Katastrophenstart in die neue Saison wird die Diskussion um Skripnik so laut werden, dass an Rekonvaleszenz des Notfallopfers Werder Bremen kaum zu denken sein wird. Nicht alle Bremer sind Masochisten.

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