Werder auf Europapokalkurs:Werder im Wunderland

Werder Bremen v Hertha BSC - Bundesliga

Thomas Delaney feiert nach dem 2:0 der Bremer gegen Berlin.

(Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Mit einem lässigen 2:0 gegen harmlose Berliner setzt Werder Bremen seine famose Rückrunde fort.
  • Selbst wenn Spieler wie Serge Gnabry oder Thomas Delaney fehlen, fällt das kaum noch auf.
  • Der Klub wartet allerdings noch mit der Vertragsverlängerung mit Trainer Alexander Nouri.

Von Ralf Wiegand, Bremen

Es war viel spekuliert worden über einen Vorfall vom Donnerstag. Da erschien der gewohnheitsmäßige Turnanzug-Trainer Alexander Nouri zur obligatorischen Pressekonferenz vor dem Heimspiel gegen Hertha BC Berlin plötzlich im Ausgehanzug des SV Werder Bremen. Zwischen zwei Trainingseinheiten. Einfach so. Also mutmaßte die Medienvertreter der Stadt, da stünde wohl was Feierliches an, die Vertragsverlängerung zum Beispiel, nachdem auch die Super-Computer der Nasa wohl keine Tabellen-Projektion mehr hinbekommen würden, bei der die Norddeutschen absteigen könnten. Für diesen Zeitpunkt - den fixen Klassenerhalt - hatte Werders Sportchef Frank Baumann das neue Arbeitspapier für Nouri ja in Aussicht gestellt. Es wurde aber keine Vertragsverlängerung verkündet. Nun gingen die Spekulationen in die Richtung, es könnte ja der Haus-Fotograf da gewesen sein, um Nouri in Chef-Pose abzulichten - und dieses Bild, samt Nachricht über die Verlängerung des Trainervertrages, würde dann am Samstag vor dem Anpfiff im Weserstadion präsentiert. Wurde es aber auch nicht.

Zweifel bestehen dennoch keine mehr, dass die Bremer - die nach der Erfahrung der voreiligen Vertragsverlängerung mit Nouris alsbald dann doch entlassenem Vorgänger Viktor Skripnik vorsichtig geworden sind - mit Alexander Nouri weiter machen wollen. Und der 37 Jahre alte Bundesliga-Neuling Nouri selbst bleibt geduldig, nur eine kleine Spitze erlaubte er sich vergangene Woche im aktuellen Sportstudio des ZDF, als er sagte, er habe keine Angst davor, an einer Haltestelle zu stehen, an der kein Bus komme. Sollte heißen: Ein Trainer, der einen potenziellen Absteiger in der laufenden Saison dermaßen auf links dreht, dass er elf Mal hintereinander nicht verliert und in dieser Zeit neun Mal gewinnt, der wird schon einen guten Job finden, wenn er denn muss.

Update der Serien: Neun Werder-Siege aus den vergangenen elf Spielen, neun Hertha-Auswärtsniederlagen hintereinander

Der neunte Sieg in der Rückrunde war der einfachste, den Werder seit langer Zeit einfahren durfte. Bisher mussten die Bremer stets einen immensen Aufwand betreiben, um teilweise überlegene Gegner durch schiere Willenskraft in die Knie zu zwingen. Gegen erbärmliche Berliner aber reichten zwei schnelle Tore durch Fin Bartels und Max Kruse in der Anfangsviertelstunde, und die Partei war gelaufen. Werder durfte die drei Punkte über drei Viertel der Spieldauer einfach mit sich herumtragen, wie man seinen Samstagseinkauf nach Hause bringt, sicher verpackt, in gemächlichem Tempo.

Von der personell arg geschwächten Hertha drohte keinerlei Gefahr, die erste unfertige Skizze einer Torannäherung gelang Salomon Kalou in der 52. Minute, die erste Ecke in der 60. Nicht einmal in das sonst übliche Konterspiel musste Werder investieren, da sich die nunmehr neun Mal auswärts hintereinander punktlosen Berliner gar nicht so weit nach vorne wagten, als dass sich Räume dafür öffnen würden. "Irgendwie merkwürdig" findet Hertha-Trainer Pal Dardai inzwischen das Auswärtsgesicht seiner Elf. Die einzige Gefahr für das souveräne Bremer Spiel bestand darin, von derselben Lethargie befallen zu werden, die die Hertha befällt, sobald sie Berlin verlässt. Gähnen ist ansteckend, das kennt jeder. Und so hatte die Partie hatte nach dem Wechsel weder Spannung noch Tempo. Nachdem Theodor Gebre Selassie noch einmal auf spektakuläre Weise aus fünf Metern übers leere Tor schießen durfte. (72. Minute), ging sie einfach so zu Ende. "Auch mal schön, wenn man nicht so viel zu tun hat", witzelte Torwart Felix Wiedwald, der einst die Schießbude der Liga betrieb und heute solche Zu-Null-Spiele wie persönliche Trophäen sammelt.

Ein Aufstieg wie in der Traumfabrik bestellt

Ein Sieg gegen den Tabellen-Fünften im Stile einer Pflichtaufgabe: Die Zuschauer kommen sich im Weserstadion inzwischen vor wie im Wunderland, auf Zeitreise ins Archiv der längst verblassten Statistiken, als Werder Bremen noch auf Augenhöhe mit den Größten der Liga spielte. Ob die Zahl der Siege, der Punkte, der Gegentore, der erzielten Treffer, in allen messbaren Kategorien weist in der Rückrunde nur der FC Bayern München ähnliche Werte auf wie die Bremer. Nach dem 20. Spieltag stand Werder mit einem Torverhältnis von minus 18 auf dem 16. Platz - jetzt mit plus eins auf dem sechsten. Max Kruses Treffer gegen die Hertha war sein zwölfter in der Rückrunde, seine Vorlage für das 1:0 von Fin Bartels der fünfte Assist - in der Rückrunde ist er Zweiter in der Scorer-Liste (17 Punkte), direkt hinter dem Münchner Lewandowski (18), aber noch vor dem Dortmunder Aubameyang.

Ein Aufstieg wie in der Traumfabrik bestellt ist das, den Alexander Nouri mit einer stoischen Gelassenheit kommentiert - oder nicht kommentiert -, wie sie so nur in Bremen denkbar ist. Der Trainer nervt inzwischen zwar etwas mit der immer gleichen Erklärung, die er auch nach dem Hertha-Spiel wieder anführte: "Spirit und Energie" habe die Mannschaft auf den Platz gebracht, sie glaube "an unsere Abläufe und an unsere Prinzipien". Mannschaftliche Geschlossenheit, Einsatz, Kampf und Herz sind demnach die einzigen Kriterien für den Aufschwung - die Mannschaft spielt allerdings so, als könnte es auch einfach wirklich so sein.

Selbst Gnabry und Delaney ordnen sich unter

Die Abhängigkeit von einzelnen Spielern, wie etwa dem hoch gehandelten Serge Gnabry, der Werder in der Hinrunde mit seinen Toren noch fast alleine im Rennen gehalten hatte, oder vom Dänen Thomas Delaney, der das Spiel in den ersten Spielen der Rückrunde stabilisierte wie ein Stahlträger eine Betondecke - sie sind inzwischen nur noch Einzelteile eines Gesamtkunstwerks. Beide fehlten über lange Zeit, sogar gleichzeitig, gegen Hertha wurden beide nur eingewechselt - dem Bremer Spiel fehlte trotzdem nichts. "Kein Spieler ist größer als die Mannschaft", sagte Verteidiger Robert Bauer, angesprochen auf die neue Rolle von Gnabry als Reservist: "Er ordnet sich wie jeder andere der Mannschaft unter."

Ähnlich äußert sich auch Max Kruse, wenn er sich mal äußert. Kruse spricht nicht viel, die Kritik an seinem Lebenswandel der Vor-Bremen-Ära, das Interesse des Boulevard an seinen Leidenschaften außerhalb des Fußballs, der Rauswurf aus der Nationalmannschaft, all das hat Spuren hinterlassen bei Kruse. Es sei die Mannschaft, die ihm die Rückkehr in den Dunstkreis der DFB-Auswahl ermöglicht habe, sagt Kruse jetzt, und sinnbildlich dafür stand am Samstag gegen Hertha BSC sein Sturmpartner Fin Bartels. Wie ein Jo-Jo hängt Bartels an dem berühmteren Kollegen, so legen sich die beiden gerade in den letzten Wochen die Tore gegenseitig auf. "Die Leistung von Fin Bartels müsste viel mehr gewürdigt werden", sagte Robert Bauer später, womit er das dann auch erledigt hatte.

Nach dem Schlusspfiff, als das Weserstadion hymnisch feierte, stand Trainer Alexander Nouri wie üblich im Mittelkreis, ein paar Meter von seinem Stab entfernt, er scannte dann ein, zwei Mal die Tribünen ab, diese tausendfache Glückseligkeit, ehe er für die Pressekonferenz seinen Anzug richtete. Den Trainingsanzug, versteht sich. Vielleicht war am vergangenen Donnerstag auch einfach nur Kleiderprobe für die Europapokal-Garderobe.

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