Weltspiele der Nomaden :Männer, die um Ziegen streiten

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Die Weltnomadenspiele sind für alle Nationen offen – auch für die deutschen Bogenschützinnen um Stephanie Behrendt (Mitte). (Foto: Behrendt/privat)

In Kasachstan finden zurzeit die Weltnomadenspiele statt, eine Art Olympia für kuriose Sportarten in der Tradition der zentralasiatischen Wandervölker. Mit dabei: die deutsche Bogenschützin Stephanie Behrendt.

Von Ferdinand Schwarz

Reitende Männer rangeln in vollem Tempo um eine Ziegenattrappe oder versuchen, einander vom Pferderücken zu ringen; Greifvögel kreisen umher, um Menschen bei der Jagd zu assistieren; Frauen in aufwendigen Gewändern schießen mit Pfeil und Bogen. In Astana, der Hauptstadt Kasachstans, spielen sich dieser Tage – zumindest aus westlicher Sicht – für den Sport eher ungewöhnliche Szenen ab. Grund für dieses Treiben sind die Weltspiele der Nomaden, gewissermaßen die Olympischen Spiele der früheren Wandervölker Zentralasiens, die alle zwei Jahre stattfinden.

Allerdings sind die Spiele auch für Nicht-Nomadenvölker offen. Insgesamt nehmen rund 80 Länder daran teil, die sich in 20 Disziplinen messen. Viele Sportarten mit Pferden zählen zum Programm, Geschicklichkeits- und Brettspiele, Ringen oder Jagdwettkämpfe. Auch eine deutsche Delegation aus sieben Sportlern ist derzeit in Astana, darunter Stephanie Behrendt, 41, Bogenschützin aus der Nähe von Wetzlar in Hessen.

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Behrendt, eigentlich Lehrerin für Mathematik und Physik, ist die bislang einzige deutsche Goldmedaillengewinnerin der Spiele. Sie gewann vor einigen Jahren in Kirgistan im 60-Meter-Daumen-Bogenschießen, bei dem der Pfeil mit dem Daumen statt wie in Europa üblich mit dem Zeigefinger gespannt wird. Zusammen mit zwei anderen Bogenschützinnen und Kolleginnen aus der Schule ist Behrendt bis Sonntag in Astana, sie nimmt an Wettkämpfen teil, schaut sich andere Sportarten an, saugt die Erfahrungen auf. „Das ist schon kurios, wenn man sieht, wie sich zwei große Männergruppen um einen Ziegentorso streiten“, sagt sie.

Geschlafen wird in Hotels, ein Pendant zum olympischen Dorf gibt es nicht. Alles sei aber sehr gut organisiert, erzählt Behrendt am Telefon, Shuttlebusse bringen die fast 3000 Athleten zu den Wettkämpfen. Jurten, die traditionellen Zelte der Nomaden, sucht man in der hochmodernen Metropole Astana vergeblich. Die Hauptstadt des durch Öl und Mineralien recht wohlhabenden Landes mutet eher wie Dubai an: Wolkenkratzer, Hochglanz, Prunkbauten.

Auf der Suche nach ihrer Identität haben sich einige ehemalige Sowjetstaaten auf ihre nomadischen Wurzeln besonnen - hier sieht man das Horseback-Wrestling. (Foto: Behrendt/privat)

„Diese Rückbesinnung auf die nomadische Kultur, wie sie in den Weltnomadenspielen repräsentiert wird, ist konstruiert“, sagt Manja Stephan, Professorin für Zentralasienstudien an der Humboldt-Universität in Berlin. Die nomadische Lebensweise habe in den Gesellschaften Zentralasiens aufgrund der Assoziierung mit Rückständigkeit einen schweren Stand, soll aber trotzdem als kulturelles Vorbild dienen, als nationale Leitkultur dieser Länder. Nach dem Zerfall der Sowjetunion, zu der auch weite Teile der ursprünglichen Gebiete der Nomadenvölker gehörten, rangen viele Staaten um ihre nationale Identität. Um diese Leerstelle zumindest teilweise zu füllen, besannen sich Länder wie Kirgistan zurück auf ihre Ursprünge, auf die Nomaden, die die Kultur dieser Gebiete jahrhundertelang geprägt hatten. Um diese wieder in der Gesellschaft zu verankern und die Traditionen zu stärken, richtete Kirgistan 2014 die ersten Weltspiele der Nomaden aus.

Auch bei den Spielen in Astana sind Sport und Identität eng verbunden. „Es geht schon auch sehr viel um Kultur hier, wir tragen beim Bogenschießen zum Beispiel auch traditionelle Kleidung“, erzählt Behrendt. Die Wettkämpfe bei den Weltnomadenspielen muten mitunter martialisch an, erinnern an gewalttätig ausgetragene Stammeskonflikte, wie das anfangs beschriebene Ziegen-Polo, die beliebteste Sportart bei den Spielen. Der Umgang untereinander ist aber fair und von großem Respekt geprägt, auch Sportler aus nicht nomadischen Ländern werden gefeiert, alles sei ein großes Miteinander: „Die Menschen hier freuen sich, dass wir aus Deutschland dabei sind“, sagt Behrendt.

„Der Sport wird als Soft-Power-Strategie benutzt, ähnlich wie es beispielsweise Katar im Fußball macht.“

Stephan von der Humboldt-Uni sieht bei den Spielen auch politische Motive: „Der Sport wird als Soft-Power-Strategie benutzt, ähnlich wie es beispielsweise Katar im Fußball macht.“ Eingequetscht zwischen den Großmächten China und Russland versucht Kasachstan, das flächenmäßig neuntgrößte Land der Erde, seinen Status in der Region zu verbessern und zu festigen. Zudem haben die Spiele einen manchmal mehr, manchmal weniger starken nationalistischen Anstrich. Die Spiele 2022 richtete die Türkei aus, Nationalismus und große Inszenierung stellten damals den Sport weit in den Schatten.

Für die Region und die Sportler aus aller Welt sind sie dennoch vor allem eins: ein Fest, ein Feiern des kulturellen Erbes der Nomaden. 20 000 Menschen schauten sich die Eröffnungsfeier an, die Wettkämpfe werden live übertragen, Staatspräsidenten aus der Region sind zu Gast. Für eine Medaille hat es bei der deutschen Delegation um Behrendt dieses Mal nicht gereicht, die Bogenschützinnen schlossen die Wettbewerbe im guten Mittelfeld ab. Gastgeber Kasachstan, Kirgistan und Usbekistan dominieren den Medaillenspiegel seit jeher, große olympische Nationen wie die USA, China oder eben Deutschland rangieren weit dahinter. Aber auch ohne Medaille fühlt sich Behrendt wohl. „Die Stimmung hier ist sehr gut, alle sind freundlich und interessiert“, sagt sie.

Die Neugier, wie man es schaffen kann, von einem Pferd aus Ziele mit dem Bogen zu treffen, brachte sie einst in Kontakt mit den besonderen Wettkämpfen. Heute versorgt sie die Freunde und Familie aus der Heimat in einem Whatsapp-Kanal mit Bildern aus Astana, damit auch sie ein paar Eindrücke von Essen, Kultur und Traditionen der Nomaden sammeln – und über die kuriosen Wettkämpfe wie das Ziegen-Polo staunen können.

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