Weltrekordflut im Schwimmen:Rekorde aus Plastik

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Der Weltrekord ist im Wettrüsten der Schwimmanzugschneider beliebig geworden. Selbst Britta Steffen findet nach ihrer Fabelzeit, so gehe der Sport kaputt.

Josef Kelnberger

Schwimmen galt früher als sehr einfacher Sport. Der Athlet zog Badehose oder Badeanzug über, schwamm in der geforderten Technik vom Start ins Ziel, und die Stoppuhr gab die Antwort auf alle Fragen. So einfach war es natürlich nie. Manche Athleten schoren sich die Körperhaare, um ihr Wassergefühl zu schärfen, andere ließen sich Luft in den Darm pumpen, um günstiger im Wasser zu liegen.

Britta Steffen auf dem Weg zu ihrem neuen Weltrekord. (Foto: Foto: dpa)

Es folgte jene Phase der Manipulation, die man mit den breiten Schultern und den Bass-Stimmen ostdeutscher Frauen in Verbindung bringt. Doping war nie nur eine Domäne der DDR, aber die Leistungssprünge, die damals mit Hilfe der berüchtigten blauen Pillen erzielt wurden, sind vergleichbar mit der jetzigen Entwicklung. Wie auf Schnellbooten schießen die Schwimmer nun in ihren Hightech-Anzügen immer neuen Weltrekorden entgegen, Galionsfiguren ihrer jeweiligen Anzuglieferanten.

Die Berlinerin Britta Steffen schwamm am Donnerstag im Vorlauf der deutschen Meisterschaften fast nebenbei zum Weltrekord über 100 Meter Freistil. Sie jubelte nur verhalten, denn sie wusste: Sie hatte den Rekord ihrem neuen Schwimmanzug zu verdanken. Der Weltrekord, eines der höchsten Güter des Sports, ist im Wettrüsten der Schwimmanzugschneider beliebig geworden.

108 zählte man im Olympia-Jahr 2008, in ähnlichem Tempo geht es dieses Jahr weiter. Schwimmen ist zum Profisport mutiert, und neben der täglichen Arbeit mag auch Doping die Profis schneller machen. Aber selbst mit flächendeckendem Doping wäre die Flut der Rekorde nicht zu erklären. Sogar Britta Steffen findet, so gehe ihr Sport "kaputt". Das Schwimmen fällt dem eigenen Boom zum Opfer.

Ausnahmeathleten wie der Australier Ian Thorpe und der Amerikaner Michael Phelps verschafften der Sportart weltweit enorme Popularität, und die Sportindustrie besetzte den neuen Markt. Die meist maßgeschneiderten, mit immensem wissenschaftlichen Aufwand entwickelten Ganzkörperanzüge steigern durch ihren extremen Druck auf den Körper die Leistungsfähigkeit. Sie verringern den Wasserwiderstand und geben dem Schwimmer im Wasser Auftrieb.

Die neuesten Modelle sind mit Polyurethan beschichtet, einem wasserabweisenden Kunststoff. Man werde in dem Anzug nicht müde und schwimme "wie auf einer Luftmatratze", sagt Britta Steffen. Sie gewann in Peking zwei Goldmedaillen, einen Weltrekord traute man ihr durchaus zu, aber nicht nach ihrer monatelangen Wettkampfpause. Ihre Bestleistung wirkt eher wie eine Farce.

Als besondere Pointe darf Steffens Anzuglieferant den Weltrekord werten. Viele deutsche Schwimmer begründeten ihr schlechtes Abschneiden in Peking damit, die Produkte des Verbandsausrüsters Adidas seien nicht konkurrenzfähig im Vergleich zu Produkten von Speedo oder Arena. Verärgert kündigte das Unternehmen den Millionenvertrag mit dem Schwimm-Verband - und entwickelte für die Vertragspartnerin Steffen nun offenbar ein Spitzenprodukt. Der Trend fügt dem Sport auf allen Ebenen Schaden zu. Etwa 400 Euro kostet so ein Anzug im freien Verkauf, für das Image des Schwimmens ist das verheerend. Welche Eltern wollen so einen Luxussport den Kindern finanzieren?

Der Weltverband hat die Anzüge nur halbherzig reglementiert - ein Kotau vor der Industrie, die so viel Geld investierte. Erst nach der Weltmeisterschaft 2009 in Rom will man die Kleiderordnung drastisch ändern. Am besten so: zurück zu Badehose und Badeanzug.

© SZ vom 26.06.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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