Leichtathletik1000 Meilen in einem einzigen Wettkampf

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„In Bayern habe ich mit weitem Abstand keine Konkurrenz. Es gibt niemanden, der in meinem Alter ist und schon so lange so viel läuft“: Walter Zimmermann, hier bei einem seiner vielen Ultraläufe.
„In Bayern habe ich mit weitem Abstand keine Konkurrenz. Es gibt niemanden, der in meinem Alter ist und schon so lange so viel läuft“: Walter Zimmermann, hier bei einem seiner vielen Ultraläufe. (Foto: Zimmermann/oh)

Der Ultraläufer Walter Zimmermann hält einen Weltrekord in der Altersklasse M70.  Über einen Ausdauerathleten, der nie ruht – weil er aus medizinischen Gründen gar nicht mehr ruhen darf.

Von Sebastian Leisgang

Schwer zu sagen, ob Walter Zimmermann es ernst meint. Auch das kann ja einen guten Witz ausmachen: die Pointe zu setzen, ohne zu lachen oder auch nur die Miene zu verziehen. Je trockener, desto kraftvoller, dann wirkt es besonders. Zimmermann, ganz nüchtern, sagt also: „Ich bin eigentlich nur ein durchschnittlicher Läufer.“

Dazu muss man wissen: Zimmermann, 71, ist in New York mal 1047 Kilometer in zehn Tagen gelaufen, umgerechnet fast 25 Marathons. Seit dem vergangenen Jahr hält er auch einen Weltrekord. In der Altersklasse M70 ist er der Einzige, der 1000 Meilen in einem einzigen Wettkampf zurückgelegt hat. Zimmermann war 23 Tage und 21 Stunden unterwegs, dann lief er ins Ziel.

Sind das die Zahlen eines Durchschnittsläufers? Ist das Mittelmaß?

Ein Nachmittag in der vergangenen Woche, Walter Zimmermann hat auch spontan Zeit für ein Gespräch, mittlerweile ist er ja Rentner. Dass er im Ruhestand wäre, kann man allerdings nicht behaupten. Früher arbeitete er in Marktheidenfeld, knapp vierzig Kilometer westlich von Würzburg, als Postbote. Und so wie er früher Briefe ablieferte, liefert er heute in seinen Sportschuhen ab, Tag für Tag, Lauf für Lauf.

Besonders talentiert sei er nie gewesen, sagt Zimmermann – dann folgt der Satz mit dem durchschnittlichen Läufer. Das Training mache es aber aus. Das sei alles, erklärt Zimmermann: „In Bayern habe ich mit weitem Abstand keine Konkurrenz. Es gibt niemanden, der in meinem Alter ist und schon so lange so viel läuft.“ 1987 bestritt er seinen ersten Marathon und schleppte sich, als er das Ziel erreicht hatte, im Münchner Olympiastadion die Treppen runter. Nicht rauf, sondern runter. Er war am Ende seiner Kräfte, hatte Krämpfe in beiden Oberschenkeln und konnte nur noch rückwärtsgehen.

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Geschichten wie diese erzählt Zimmermann besonders gerne. Er legt dann oft ein paar kurze Pausen ein, damit die Pointen sitzen. Das gefällt ihm am besten an all den Erfahrungs- und Wettkampfberichten, die er im Laufe des Gesprächs loswird. Zimmermann redet dann immer besonders emotionslos. Er trägt einfach vor. Seinen Triumph hat er, wenn sein Gegenüber stutzt und es kaum glauben kann, was er da sagt.

Auch in seinem Alter lege er bei Sechs-Tage-Läufen immer zwischen 70 und 80 Kilometer zurück – jeden Tag. Früher habe er 100 geschafft, sagt Zimmermann und hört sich beinahe so an, als würde er sich dafür entschuldigen. Nur zwischen 70 und 80 Kilometer, bloß nicht so laut sagen! Und tatsächlich sagt Zimmermann „so lala“, wenn man sich erkundigt, wie er gerade drauf ist. Einen wie ihn fragt man natürlich nicht, wie es geht. Man fragt, wie es läuft. Und darauf sagt Zimmermann etwas, was man auch kaum glauben kann, obwohl es gar keiner seiner Erfahrungs- und Wettkampfberichte ist: „Ich habe zurückgeschraubt.“

„Wenn ich nicht mehr laufen würde, würden sich die Arterien zusammenziehen und verengen.“

Der 1000-Meilen-Weltrekord aus dem Vorjahr habe viel Kraft gekostet. In aller Regel laufe er pro Jahr etwa 2000 Kilometer, 2024 seien es aber mehr als 5000 gewesen. Deshalb nimmt er sich gerade „eine schöpferische Pause, ein Übergangsjahr“, wie Zimmermann sagt. Das heißt allerdings nicht, dass er nicht laufen würde, ganz im Gegenteil: Wenn Walter Zimmermann eine schöpferische Pause einlegt, trainiert er trotzdem jeden Tag.

„Ich muss ja laufen. Das geht gar nicht anders“, sagt er, als gebe es ein Gesetz, das ihm per Paragraf untersagt, die Füße mal hochzulegen und zur Ruhe zu kommen. Und im Grunde ist es auch so. Es gibt zwar keine Vorschrift, die ihn zum Laufen anhält – aber eine Anordnung seines Arztes. „Ich darf nicht aufhören, sonst würde ich Probleme kriegen“, erklärt Zimmermann, „als ich letztes Mal beim Doktor war, hatte ich einen Ruhepuls zwischen 40 und 50. Wenn ich nicht mehr laufen würde, würden sich die Arterien zusammenziehen und verengen.“

Walter Zimmermann muss also laufen. So wie die Muskulatur abbauen würde, wenn er Schluss machen sollte, würde auch, so die Auskunft seines Arztes, die Leistung des Blutkreislaufs nachlassen. Geister, die er nach eigener Aussage mit seinem täglichen Training über Jahrzehnte selbst gerufen hat. Und deshalb hat er jetzt keine Wahl mehr. „Wenn ich trainiere, ist alles normal“, sagt Zimmermann, „deswegen darf ich mein Leben lang nie aufhören.“ Aber das hat er sowieso nicht vor. Walter Zimmermann braucht das Laufen ja, sonst wäre er nicht er selbst.

932 Wettkämpfe hat er schon bestritten. Das ist die Zahl, auf die er selbst kommt. Die Deutsche Ultramarathon-Vereinigung habe nicht alle seiner Läufe gelistet, aber ihm, Zimmermann, sei natürlich nichts entgangen. „Meine Liste ist ganz genau. Ich notiere alles“, sagt er. Wenn es ums Laufen geht, ist der einstige Postbote auch: Buchhalter. Zimmermann hat alles erfasst und fein säuberlich aufgeschrieben, jeden Lauf, jeden Wettbewerb.

Durch seine Statistiken weiß er, dass er in seinem Leben schon rund 180 000 Kilometer zurückgelegt hat, 20 000 fehlen noch, dann hat er quasi, umgerechnet auf den Erdumfang, die Weltkugel fünfmal zu Fuß umrundet. Und was wäre das erst für eine Geschichte – mit über 70?

Ob er es schafft? Auch das ist schwer zu sagen, Walter Zimmermann ist ja nur ein Durchschnittsläufer.

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