Weltmeistertitel für Severin Freund:"Er ist geflogen wie ein Flugzeug"

Weltmeistertitel für Severin Freund: Der überlegene Sieger von der Großschanze: Severin Freund aus Rastbüchl

Der überlegene Sieger von der Großschanze: Severin Freund aus Rastbüchl

(Foto: AP)

Unglaublich entspannt und mit einem sagenhaften Vorsprung gewinnt Severin Freund den WM-Titel von der Großschanze. Erstmals seit Martin Schmitts Erfolg im Jahr 2001 erklimmt damit wieder ein deutscher Skispringer den Gipfel beim globalen Ereignis.

Von Volker Kreisl, Falun

Auch die letzten Meter in der Luft hatten gepasst, auch die letzte Landung, der letzte Auslauf. Severin Freund schwang ab, den Oberkörper leicht hin- und herwiegend. Oben riss sein Trainer Werner Schuster, der sonst nur anerkennend seine Faust ballt, beide Arme in die Luft und blickte für einen Moment, als hätte er etwas vollkommen Neues, Irres gesehen.

Bei diesem Sprung Freunds gab es keinen Augenblick der Spannung und Ungewissheit - dass er der neue Weltmeister sein würde, stand sofort außer Frage. Dann: 135,5 Meter, neuer Schanzenrekord, zwei Höchstnoten, 20,0, dazu zweimal die 19,5. Mit insgesamt 268,7 Punkten und einem sagenhaften Vorsprung von 22,3 Zählern wurde Freund der erste deutsche Weltmeister von der Großschanze seit 2001, als Martin Schmitt in Lahti gewann. Nebenbei ist Freund der sechste Deutsche überhaupt, der den Titel holt. "Er ist geflogen wie ein Flugzeug", sagte Werner Schuster später, "ich bin gerührt, ich hätte nicht gedacht, dass ich einmal einen Weltmeister abwinken darf."

Es gibt Überraschungstitel und hart erkämpfte Titel, und Severin Freund wird vielleicht als der Weltmeister in Erinnerung bleiben, der am entspanntesten und sichersten zu seinem Sieg geflogen ist.

"Ich hatte brutal viel Spaß", sagte er zunächst, "aber das braucht ein bisschen Zeit, bis ich das begriffen habe." Und auch eine Stunde später, nach dem Durchlauf durch die Mixed-Zone, der Blumenzeremonie, der Dopingprobe und der Pressekonferenz sagte Freund: "So wahnsinnig angekommen ist es bei mir immer noch nicht."

Dieses zurückliegende Jahr und diese WM hatten für Severin Freunds Karriere ja selber die Wirkung einer großen Schanze - sie beförderte ihn in ungeahnte Höhen. Da war der Auftakt mit dem Teamgold bei Olympia für den Mann aus Rastbüchl, dessen Lebensweise nicht ins Raster typischer Podest-Athleten passt. Freund wollte ja schon früh alles auf einmal: studieren in München und trainieren in Oberstdorf. Das Großstadtleben mit seiner Freundin und das Stützpunkttraining am Alpenrand mit seinem Trainer Schuster. Der ließ sich auf das Experiment ein, das dann tatsächlich funktionierte.

Olympia-Gold mit dem Team

Freund gelang im vergangenen Jahr der Durchbruch bei Olympia mit besagtem Teamerfolg und später dem ersten Einzeltitel, wenn auch einem 1b-Einzeltitel: Er wurde Skiflug-Weltmeister. Dann folgte ein Tief bei der Vierschanzentournee, die schnelle Rückkehr der Form auf der Flugschanze am Kulm, eine Serie von sechs Podestplätzen, ein Rekordfliegen - und schließlich diese WM-Woche: Silber auf der Normalschanze, die erste Einzel-WM-Medaille überhaupt für ihn und die erste für den Deutschen Skiverband (DSV) seit sechs Jahren, dann Gold mit dem Mixed-Team, zwei Ereignisse, die ihn durch die Woche trugen wie ein Luftkissen.

Selten hat man einen Sportler bei einem Saisonhöhepunkt dermaßen entspannt erlebt. Freund plauderte nach Trainings-, und Trial-Sprüngen in der Mixed-Zone, immer mit einem Lachen und immer mit viel, viel Zeit. Dann dieser Berg und diese Großschanze: Der Anlauf, der Sprungtisch, das Profil gefallen ihm besonders. Erst einmal wurde hier gesprungen, im Probeweltcup im vergangenen Jahr, Freund kam schon da mit 135 Metern am weitesten.

Plötzlich interessiert sich auch das Publikum fürs Skispringen

Am Donnerstagabend um 17.30 Uhr genoss er dann schon recht gelassen den Weg zum nächsten Zwischengipfel: den ersten Durchgang des Großschanzenspringens. Erstmals bei diesen Weltmeisterschaften interessierte sich ein größeres Publikum für die fliegenden Männer, geschätzt 5000 Zuschauer saßen auf der Tribüne. Es ging hin und her dabei, es gab einige überraschende Momente, wie den weiten Satz des Norwegers Anders Bardal im ersten Durchgang (er verlor aber im Finale die Nerven und fiel auf Rang sechs zurück).

Oder die plötzliche Wiederkehr des Springers, der als der kompletteste seiner Zeit gilt: der Rekord-Weltcupsieger Gregor Schlierenzauer aus Österreich, am Ende Silbergewinner vor dem Drittplatzierten Rune Velta. Oder die beachtliche Leistung des Siegsdorfer Talents Markus Eisenbichler, der hier in Falun seine schlechten Leistungen bei der Vierschanzentournee wohl endgültig vergessen gemacht haben dürfte. Eisenbichler zeigte vor allem im Finaldurchgang einen gelungenen zweiten Satz und reihte sich schließlich als zweitbester Deutscher auf Rang zehn ein.

Der zweite Durchgang, das Finale, näherte sich dem Ende - und damit auch dem Moment, in dem ein Führender sonst längst tief versunken ist in seinen Gedanken und nur seinen bevorstehenden Einsatz vor Augen hat. Aber Freund, den man schon vorher in den Live-Bildern des Schanzenfernsehens aus dem Warteraum mit seinen Widersachern herumalbern sah, schien diesmal gar keine Konzentration zu brauchen. Er hatte ja vorher gesagt: "Ich werde voll angreifen. Gerade wenn es gut läuft, will man jeden Sprung auskosten. Und das werde ich machen."

Das tat er dann auch, er wartete auf das Zeichen seines Trainers, hopste vom Balken, nahm Anlauf und setzte über den Absprungtisch hinab.

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