Virgil van Dijk:Vom Makel, ein Innenverteidiger zu sein

Virgil van Dijk: Liverpools Virgil van Dijk (links, im Zweikampf mit Chelseas Tammy Abraham) ist der weltbeste Fußballer, sagen manche, aber längst nicht alle.

Liverpools Virgil van Dijk (links, im Zweikampf mit Chelseas Tammy Abraham) ist der weltbeste Fußballer, sagen manche, aber längst nicht alle.

(Foto: AP)
  • Virgil van Dijk wird bei der Weltfußballerwahl nur Zweiter hinter Lionel Messi, jedoch vor Cristiano Ronaldo.
  • Wieder bekam ein Stürmer die meisten Stimmen - und nicht ein Verteidiger, obwohl van Dijk wirklich überragend spielte.
  • "Dass er überhaupt in einer Reihe mit den beiden steht, zeigt, was Virgil für eine Entwicklung durchgemacht hat", sagt sein Trainer Jürgen Klopp.

Von Benedikt Warmbrunn

Vielleicht war 2019 schon eines der letzten Jahre, in denen Wahlzettel wie der von Andrew Robertson die Ausnahme waren. Robertson ist Kapitän der schottischen Fußball-Nationalmannschaft, zu seinen Pflichten gehört es auch, seine Stimme bei der Wahl zum Weltfußballer des Jahres abzugeben. Robertson, 25, ist Linksverteidiger, und so hat er auch gestimmt. Auf Rang drei nominierte er Sadio Mané, einen Mitspieler aus Liverpool. Auf Rang zwei nominierte er Frenkie de Jong, im vergangenen Jahr der Aufbauspieler bei der europäischen Überraschungsmannschaft Ajax Amsterdam, inzwischen beim FC Barcelona. Weltfußballer war für Robertson aber sein Vereinskamerad Virgil van Dijk, ein Innenverteidiger. Robertson wählte nicht Cristiano Ronaldo, er wählte nicht einmal Lionel Messi.

Robertson deckte mit seiner Wahl die Vielfalt des Fußballs ab. Aber er war dabei seiner Zeit noch ein, zwei Jahre voraus.

Am Montag hatte der Weltverband Fifa in die Mailänder Scala eingeladen, es wurden die Besten des Jahres geehrt. Abstimmen durften zuvor die Nationaltrainer, die Nationalkapitäne, ausgewählte Journalisten; zusätzlich eingespeist wurde das Ergebnis einer Online-Umfrage. Als Welttrainerin wurde Jill Ellis ausgezeichnet, die mit den Fußballerinnen der USA bei der WM in Frankreich triumphiert hat. Die Wahl zum Welttrainer gewann Jürgen Klopp, der Liverpool zum Champions-League-Sieg geführt hat. Weltfußballerin wurde die US-Kapitänin Megan Rapinoe, die anschließend eine weitere Rede hielt in ihrem Kampf gegen Ungleichheit. Um "bedeutsame Veränderungen zu schaffen", sagte sie, müsse jeder sich "empören", nicht nur die unmittelbar Betroffenen. Die Wahl zum Weltfußballer gewann Messi.

Elfmal haben Messi und Ronaldo die Wahl gewonnen

Dass der Argentinier ausgezeichnet wurde, war wenig überraschend, einerseits. Mit Barcelona hatte er die spanische Meisterschaft gewonnen, er war ins Halbfinale der Champions League gekommen, er hat die meisten Tore in Europa geschossen. Und überhaupt ist er bereits zum sechsten Mal Weltfußballer. Andererseits war die Überraschung dann doch ziemlich groß.

Elfmal haben Messi und Ronaldo in den vergangenen zwölf Jahren die Wahl gewonnen, 2018 wurde diese Serie von Luka Modric unterbrochen. Doch in diesem Jahr war die Konkurrenz so mächtig und kraftvoll wie selten zuvor: Sie kam daher in der Gestalt des 193 Zentimeter großen Virgil van Dijk, der als entscheidender Transfer gilt auf Liverpools Weg zum Champions-League-Titel, neben Alisson Becker (der folgerichtig zum Welttorhüter gewählt wurde). Im Halbfinale hatte Liverpool Messis Barcelona besiegt. Van Dijk hat zudem als Kapitän die Niederlande zurück in die europäische Spitzengruppe geführt. Und vor wenigen Wochen hat er sich bei der Wahl zu Europas Fußballer des Jahres bereits gegen die ewigen Messi und Ronaldo durchsetzen können.

Bei der Wahl zum Weltfußballer geriet van Dijk aber womöglich eine Eigenschaft zum Nachteil: Er ist Innenverteidiger.

Werden bald mehr Wahlzettel so aussehen wie jener von Andrew Robertson?

Seit 1991 wird die Auszeichnung vergeben, im ersten Jahr ging sie an Lothar Matthäus, der 1991 aber noch nicht der Libero seiner späten Jahre war, sondern ein Mittelfeldregisseur, wie man damals zu sagen pflegte. Seitdem hat die Wahl nur ein Abwehrspieler gewonnen, 2006 Fabio Cannavaro - und selbst der italienische Weltmeister galt als Verlegenheitslösung: In jenem Jahr gab es eben nicht den einen spektakulären Angreifer. 2007 gewann Kaká, danach begann die Ära Messi vs. Ronaldo.

Die beiden stehen für aufregenden Angriffsfußball, ihre Tore und Dribblings und Fallrückzieher lassen sich zu wunderbaren Videos zusammenschneiden. Sequenzen, wie sich das Kollektiv in Liverpool seit der Ankunft von van Dijk verbessert hat, wie die Raumaufteilung präziser und dichter geworden ist, finden sich dagegen selten. Van Dijks Kunst ist es ja, dass nichts passiert, und für das Nichts interessieren sich nicht viele Menschen. Dass in diesem Jahr erneut Messi gewann, war daher auch zu Teilen eine Gewohnheitswahl.

Van Dijk wurde immerhin Zweiter, vor Ronaldo - und das, findet Welttrainer Klopp, sei doch schon eine große Auszeichnung: "Dass er überhaupt in einer Reihe mit den beiden steht, zeigt, was Virgil für eine Entwicklung durchgemacht hat. Er musste dafür nicht gewinnen." Und in ein, zwei Jahren werden wohl ohnehin mehr Wahlzettel so aussehen wie jener von Andrew Robertson. Wenn sich die Einsicht verbreitet hat, dass auch Abwehrspieler entscheidend sein können. Oder spätestens dann, wenn Messi, 32, und Ronaldo, 34, aufgehört haben.

Ronaldo, der Kapitän der Portugiesen, hatte übrigens auch einen Wahlzettel der Vielfalt eingereicht. Bei ihm gewann der Innenverteidiger Matthijs de Ligt vor de Jong und Angreifer Kylian Mbappé. Für Messi wollte Ronaldo offensichtlich nicht stimmen. Und eine Stimmabgabe für ihn selbst untersagt ihm das Weltfußballer-Regelwerk.

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