Süddeutsche Zeitung

Weltfußballer-Kandidat:Neuer greift die globalen Helden an

Manuel Neuer wird die Wahl zum Weltfußballer gegen Messi und Ronaldo kaum gewinnen können - dafür ist sein Glitter-&-Glamour-Rückstand zu groß. Trotzdem hat er den Torwart gesellschaftsfähig gemacht.

Von Christof Kneer

Thomas Müller hat wie immer einen guten Vorschlag gemacht: Wenn man eh' wieder Cristiano Ronaldo zum Weltfußballer wähle, meinte Müller am Dienstag, dann könne man "ihm den Titel ja gleich mit der Post schicken". Zu klären wären dann tatsächlich nur noch Kleinigkeiten, zum Beispiel, an welchen Fifa-Briefkasten die Titelurkunde gesendet werden müsste und natürlich, aus welchem Verbandsfördertopf man sich die Materialkosten (Briefmarken, Briefumschlag) zurückholen könnte.

Was Thomas Müller aber damit sagen wollte: Cristiano Ronaldo als Weltfußballer wird auch im Jahr 2014 kaum zu verhindern sein. Zumal Ronaldo etwas mehr Facebook-Freunde hat (knapp über 100 Millionen), als in Gelsenkirchen-Buer Menschen wohnen (knapp unter 100 Millionen).

Aus Gelsenkirchen-Buer stammt Manuel Neuer, jener Fußballer, den Müller wohl wählen würde, wenn er dürfte. Müller ist aber weder Nationalelf-Kapitän noch Nationaltrainer noch ausgewählter Sportjournalist - nur jene drei Arten von Menschen wählen den Weltfußballer. Beziehungsweise: Haben ihn gewählt. Die Wahl ist bereits gelaufen, aber das Ergebnis wird schön geheim gehalten und erst am 12. Januar 2015 bei der Fifa-Gala in Zürich präsentiert.

Manuel Neuer wird diese Wahl kaum gewinnen können, sein Glitter & Glamour-Rückstand gegenüber den globalen Helden Cristiano Ronaldo und Lionel Messi ist zu groß. Dass er es aber zum ernsthaften Follower der beiden Weltmarken gebracht hat, ist ein Sieg, der noch höher ausfällt als die meisten Siege seines FC Bayern.

Neuer, 28, hat es unter die letzten Drei geschafft, wie die Fifa gerade bekannt gab, und im Grunde ist dieser dreiste Einbruch ins Revier der Feldspieler nur der letzte, folgerichtige Schritt einer Entwicklung. Neuer ist kein Kahn mehr, Kahn war Höhe- und Schlusspunkt der deutschen Torwartgeschichte. Neuer hat die Kampfzone ausgeweitet, er ist kein Linien- und auch kein Reaktionstorwart mehr, obwohl er natürlich auch diese Disziplin beherrscht. Neuer ist der elfte Feldspieler. Er wird als offiziell anerkannte Anspielstation in die Überlegungen seiner Trainer einbezogen, und der Gegner muss jederzeit damit rechnen, dass ihm 50 Meter vor dem Tor ein Torwart entgegenkommt - wie beim legendären WM-Spiel gegen Algerien.

Ohne Neuer wäre Deutschland vermutlich nicht Weltmeister geworden, sondern im Achtelfinale ausgeschieden.

Manuel Neuer hat den Torwart gesellschaftsfähig gemacht. Der Torwart ist jetzt nicht mehr der da hinten, der verrückte Einzelsportler, der nicht gescheit kicken kann. Ein Torwart, der mit Künstlern wie Messi und Ronaldo auf derselben Bühne steht: Vor einem Jahrzehnt hätte das noch ausgesehen, als sei da ein Actiondarsteller neben zwei Burgschauspielern gelandet.

Am 12. Januar 2015, bei der Gala in Zürich, wird sich aber keiner mehr für diesen Torwart genieren. Er ist jetzt ein Könner von gleichem Rang.

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SZ vom 03.12.2014/ebc
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