Weltfußball:Vom FBI gesucht

Weltfußball: Da klatscht der Chef vor Freude in die Hände: Marco Polo del Nero (links) überreicht Fifa-Präsident Gianni Infantino bei dessen Besuch ein Trikot.

Da klatscht der Chef vor Freude in die Hände: Marco Polo del Nero (links) überreicht Fifa-Präsident Gianni Infantino bei dessen Besuch ein Trikot.

(Foto: Kin Saito/CBF)

Brasiliens Marco Polo Del Nero droht der Prozess, doch der Fifa-Chef sieht gerne bei ihm vorbei.

Von Thomas Kistner

Marco Polo Del Nero empfängt nur noch selten Gäste aus der Welt des Fußballs. Umso mehr hat ihn der hohe Besuch am vergangenen Donnerstag entzückt; gegen alle Versprechen ließ der Präsident des brasilianischen Fußballverbands CBF sogar das olympische Auftaktspiel seiner Seleçao gegen Südafrika Auftaktspiel sein, um dem bedeutenden Gast anlässlich eines Fototermins ein persönlich gestaltetes Nationaltrikot zu überreichen: Gianni. Nummer zehn.

Jetzt hat Nummer zehn ein Problem. Gianni Infantino, seit Februar Präsident des Fußball-Weltverbandes Fifa, setzt seinen Parcours durch alle Fettnäpfchen fort, am Besuchstag bei Del Nero hatte das Fifa-Ethikkomitee gerade eine zwei Monate währende Untersuchung gegen ihn eingestellt. Es ging um dubiose Flüge, Freunde und Sponsoren. Die Sache war knapp für Infantino.

Nun die Visite bei Sportsfreund Del Nero. Der ist CBF-Boss, einerseits. Andererseits legt das US-Justizministerium in seiner Anklageschrift zum Fifa-Korruptionsskandal seitenweise ein schmutziges Treiben des brasilianischen Skandalfunktionärs dar. Das erweiterte Dokument des Eastern District Court in New York vom 25. November 2015 führt Del Nero unter 27 (von insgesamt 42) Beklagten, darunter sind Figuren wie Jack Warner, der auch in der deutschen Sommermärchen-Affäre eine tragende Rolle spielt, sowie Del Neros Amtsvorgänger Ricardo Teixeira und José Maria Marin. Letzterer sitzt in den USA unter Hausarrest fest. Teixeira war rechtzeitig aus Florida abgehauen, als das FBI zuschlug; dass auch die Bundespolizei in Brasilia gegen ihn ermittelt, erschien ihm wohl als kleineres Übel.

Auch Del Nero schaffte den letzten Flieger: Nur Stunden nach den Zugriffen des FBI am 27. Mai 2015 in Zürich floh er Hals über Kopf in die Heimat. Dringende Verpflichtungen hätten ihn abberufen, lautete die Notlüge, tatsächlich war er gerade angereist, um als Mitglied des Fifa-Vorstandes Sepp Blatter wieder ins Amt zu wählen.

Brasiliens Fußballführung ist seit Jahrzehnten korrupt bis ins Mark. Übervater João Havelange, Namensgeber des Estádio Olímpico João Havelange, wo sich in Rio Leichtathleten und Fußballer messen, musste als Fifa-Ehrenpräsident und IOC-Ehrenmitglied abtreten, als Schmiergeldflüsse in Millionenhöhe an ihn aufflogen. Trotzdem ist der heute 100-jährige Greis, der vor Blatter 24 Jahre lang die Fifa regiert hatte, zu den Rio-Spielen eingeladen, bei denen er ein Ehrenamt hält. Er bleibt aber lieber zu Hause.

So wie Del Nero. Zu Hause ist er vorläufig sicher, Brasilien liefert Staatsbürger nicht aus. Dass sich Del Nero nicht mehr aus dem Land traut, begleitet die nationale Presse mit viel Humor. Den Auftritt der Seleçao bei der Copa America 2015 in Chile musste das Verbandsoberhaupt ebenso schwänzen wie die Copa Centenario im Juni in den USA - dort hätten die Handschellen gleich bei der Einreise geklickt.

Die Vorwürfe? "Betrug, Bestechung und Geldwäsche."

Die Umtriebe des brasilianischen Fußballchefs nehmen in der Anklageschrift der US-Justiz viel Raum ein. Auf 17 Erwähnungen kommt Del Nero; die Amerikaner registrierten dabei auch, dass er bis dahin den Fifa-Vorsitz für das olympische Fußballturnier innehatte. Vorgeworfen wird dem Fußballpatron "das Fordern und der Erhalt stiller, illegaler Zahlungen und Schmiergelder". Explizit hätte er die Fifa "geschädigt durch diverse kriminelle Aktivitäten, einschließlich Betrug, Bestechung und Geldwäsche, zum Zwecke der persönlichen Bereicherung". Del Nero, heißt es, habe seine Fifa-Vertrauensposition missbraucht und Treuepflichten verletzt.

Die US-Anwälte der Fifa kennen diese Anklageschrift auswendig. Nun macht Fifa-Chef Infantino einem Corpus corrupti seine Aufwartung, der laut US-Justiz der Fifa schweren Schaden zugefügt hat.

Nicht bekannt ist, wie US-Justizministerin Loretta Lynch das kollegiale Rendezvous bewerten wird. Sie hat den Fifa-Gaunern angedroht: "Wir kriegen euch, egal wann und wo!" Die Sache ist heikel: In ihren Ermittlungen hält die Fifa bisher einen Status als Opfer, sie zahlt ihren Anwälte von der Kanzlei Quinn Emanuel Millionen dafür, ihr diesen existenziell wichtigen Status zu erhalten. Und nun widerlegt Infantinos Gastspiel bei einem, den das FBI sucht, den Eindruck, dass die geschädigte Fifa wirklich jede Art Druck auf diejenigen ausübt, die sie betrogen haben. Dann müssten Figuren wie Del Nero isoliert statt sportpolitisch gestärkt werden. Beim Treffen in Rio waren rund 40 brasilianische Funktionäre zugegen, darunter Alejandro Dominguez, Chef der Südamerika-Fedération Conmebol. Die Conmebol wurde von der US-Justiz gerade erst runderneuert.

Die Bewertung der Amerikaner in Hinblick auf den Opferstatus der Fifa ist das eine. Das andere ist die Beurteilung der Ethikkommission der Fifa, die gerade erst die Akte Infantino zugeschlagen hat. Sie hat schon auf Basis der US-Anklage formell ein Verfahren gegen Del Nero eröffnet, nun wartet sie auf Material der US- Justiz. Das Amüsement über Infantinos Visite dürfte sich in Grenzen halten; falls der Fifa daraus ein Nachteil entsteht, müssten die Ethiker erneut aktiv werden.

Infantino selbst sieht seinen Besuch weniger problematisch. Er habe anlässlich seines Olympia-Besuchs die Einladung zu "einer Sitzung mit Vertretern der brasilianischen Spitzenklubs nicht ablehnen" können, teilt er der SZ mit. "Wir sprachen dabei weder über Ermittlungen oder Verfahren innerhalb der Fifa oder einer anderen Institution. Ich befand mich (. . .) auf einem offiziellen Besuch in Brasilien und war nicht zu einer Bewertung des CBF-Führungsmodells oder des Verbandspräsidenten dort." Die Fifa ginge mit Reformen in Bezug auf Transparenz und Governance voran, dem Beispiel "sollten alle Mitgliedsverbände einschließlich des CBF folgen".

An Infantinos Besuch erinnert nun eine schöne Plakette am CBF-Hauptsitz, darauf prangt auch das Fifa-Motto: "Für das Spiel. Für die Welt." Del Nero selbst flötet auf der Fifa-Website: "In meiner Position will ich dazu beitragen, dass der Sport sauber und gesund bleibt." Wer so redet, hätte gut in die olympische Eröffnungsfeier gepasst.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: