Süddeutsche Zeitung

Schwimm-WM:"Der Abwärtstrend ist gestoppt"

  • Florian Wellbrock hat als erster Schwimmer bei einer WM im Becken und im Freiwasser Gold gewonnen.
  • Sein Double steht stellvertretend für die Aufbruchstimmung bei den deutschen Schwimmern.
  • In der absoluten Weltspitze sind bei den Deutschen neben Wellbrock weiter nur die bekannten Namen vertreten. Bei der WM in Gwangju geben aber auch andere Nachwuchskräfte Anlass zu Hoffnung.

Von Claudio Catuogno, Gwangju

Die letzte Siegerehrung war vorbei, der Fina-Präsident Julio Maglione, 83, hatte noch eine weitgehend unverständliche Rede gehalten, und keine halbe Stunde später machten sich die Arbeiter schon daran, die Zeitmessmatten aus dem Becken zu ziehen. Auch jene von Bahn fünf, an der Florian Wellbrock aus Magdeburg früher am Abend nach 1500 Metern Freistil in 14:36,54 Minuten angeschlagen hatte, wurde auf einem Wägelchen verstaut. Als nächstes verschwanden die Begrenzungsleinen. Nichts erinnerte mehr an jene Szene, wie Wellbrock sich dort hinauf gewuchtet und jubelnd seinen beachtlichen Brustkorb präsentiert hatte, bei dessen Ansicht man sich immer fragt, wie das möglich ist: dass ein 1,92-Kerl mit so einem Oberkörper nur 72 Kilo wiegen soll.

Während die Südkoreaner den restlichen Abend wehmütige Musik einspielten, berichtete Thomas Kurschilgen, der neue Leistungssport-Direktor des Deutschen Schwimmverbands (DSV), von der letzten Besprechung des Teams, die einen anderen Sound gehabt hatte. Und das, obwohl sie stattfand, noch ehe Wellbrock der deutschen WM-Mission am Sonntag die Krone aufsetzte. Klar, Enttäuschungen gebe es immer bei 28 Athleten. Aber alles in allem hatte Kurschilgen "einen tollen Teamspirit" erlebt. Er erinnerte noch mal an Philip Heintz, der Bronze über 200 Meter Lagen knapp verpasst hatte, aber danach erklärte, jetzt sei er sich sicher: "Nächstes Jahr werde ich das Ding gewinnen." Kühne Ankündigungen wie diese zeigten "die Aufbruchsstimmung", fand Kurschilgen. "Der Abwärtstrend ist gestoppt, alle richten den Blick zuversichtlich Richtung Tokio 2020."

Insbesondere Florian Wellbrock, 21, der neue Weltmeister über 1500 Meter und zehn Kilometer - und der erste Mensch, der bei einer WM im Becken und im Freiwasser gewonnen hat -, hat mit Olympia noch eine Rechnung offen. Oder? "Definitiv", sagte er. 2016 in Rio war er zwar erst 18 Jahre alt, aber sein 32. Platz hat ihn schwer frustriert. "Da habe ich viel zu viel nach links und rechts geguckt", hat er der SZ kürzlich bei einem Gespräch in Magdeburg erzählt, "in Rio war ich mehr Gast als Teilnehmer." Andererseits: "Viele Gedanken verschwendet" habe er daran nicht mehr. "Ich habe gezeigt, dass ich auf großer Bühne schwimmen kann", sagte er. "Da machen wir nächstes Jahr das Beste draus."

Das Programm für Tokio hat Wellbrock fest im Blick: 800 und 1500 Meter im Becken, dann zehn Kilometer im Freiwasser. Bei Olympia ist das die Reihenfolge. Sein Trainer Bernd Berkhahn dachte sogar laut darüber nach, ob Wellbrock auch noch die 400 Meter ins Portfolio nehmen könnte. Das sollte wohl auch ein Signal sein an jene, die bisher der Ansicht waren, man könne nicht innerhalb von zwei Wochen im Hafenbecken und im WM-Becken gewinnen.

Genugtuung war es auch für den Trainer

Henning Lambertz etwa hatte das so gesehen, der im Dezember verabschiedete Chef-Bundestrainer. Lambertz hatte Wellbrock die Doppelstarts untersagt und lag sich deshalb auch mit Berkhahn in den Haaren. Allerdings hatte Wellbrock nach seiner Reise von der Hafenstadt Yeosu ins WM-Zentrum Gwangju zunächst tatsächlich einen kraftlosen Eindruck gemacht: Über 800 Meter schied er als 17. aus. "Da habe ich bei Facebook gelesen: Konnte ja nur schiefgehen." Deswegen verspüre er "jetzt auch ein bisschen Genugtuung, dass es geklappt hat", sagte Wellbrock. Was eine recht bescheidene Formulierung war angesichts des historischen Doubles.

Genugtuung war es auch für den Trainer. Wie sie ihren Wellbrock wieder hingekriegt haben, nachdem Mitte der Woche plötzlich gar nichts mehr stimmte - die Wasserlage ein Desaster, der Vortrieb ein Witz -, darüber wollten sie nicht im Detail sprechen. Nur so viel: "Dass Flo müde war, daran lag es definitiv nicht." Der Magdeburger Stützpunkt-Chef Berkhahn war ja in einer Doppelrolle in Gwangju: Kurschilgen hatte ihn nach dem allenfalls halbfreiwilligen Lambertz-Rücktritt zum Teamchef ernannt. Nun bringt der Doppeltrainer einen Doppelweltmeister mit nach Hause.

Wellbrocks Gold führte am Sonntag dazu, dass die Deutschen jetzt doppelt so viele Medaillen aus dem WM-Becken gefischt haben wie 2017 in Budapest. In Zahlen liest sich das allerdings weniger prickelnd: zwei statt einer. Mehr Anlass für Optimismus gab da die Anzahl der Finalteilnahmen: Sie stieg von fünf auf 14, darunter fünf Staffeln. Und was die Olympia-Qualifikation der Staffeln angeht, kamen sogar alle sieben Quartette durch. Diese 100-Prozent-Quote hatten sonst nur die USA, Russland und Australien vorzuweisen. Das gebe nun wieder "erweiterte Handlungsoptionen", stellte Kurschilgen zufrieden fest. Je größer das Team, desto mehr Betreuer kann er nach Tokio mitnehmen, desto höher "wird die Qualität". Und desto höher wird nun auch die Motivation mancher Schwimmer aus der zweiten Garde (von denen in Gwangju längst nicht alle die erhoffte Saisonbestleistung ablieferten), sich einen der Staffel-Plätze zu sichern.

In der absoluten Weltspitze sind bei den Deutschen neben Wellbrock weiter nur die bekannten Namen vertreten. Da ist Heintz. Da ist Marco Koch, dem nach schwierigen Jahren die zweitbeste 200-Meter-Brust-Zeit seiner Karriere gelang; Koch arbeitet jetzt mit Henning Lambertz zusammen, diese Kombination passt offenbar. Und da ist Sarah Köhler, die Silber-Gewinnerin über 1500 Meter, die über 800 Meter Vierte wurde und dabei den deutschen Rekord der DDR-Schwimmerin Anke Möhring aus dem Jahr 1987 unterbot. Da waren in Gwangju aber auch ein paar Newcomer wie die 17-jährige Anna Elendt (8. über 50 Meter Brust), Laura Riedemann, 21, und Angelina Köhler, 18, die viel selbstverständlicher an den Start gingen, als man das von jungen DSV-Schwimmern zuletzt gewohnt war. Drei weitere, die weniger nach links und rechts blickten als nach vorne.

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SZ vom 30.07.2019/chge
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