Süddeutsche Zeitung

Team-Gold bei der Schwimm-WM:Richtig abgebogen im Chaos

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Die deutsche Freiwasser-Staffel um Florian Wellbrock gewinnt das Sechs-Kilometer-Rennen im Lupa-See - auch dank eines schnellen Schlussspurts des 24-jährigen Magdeburgers in einem teils verwirrenden Wettbewerb.

Von Sebastian Winter, Budapest

Fünfzehn Kilometer nördlich von Budapest liegt eine Freizeitoase für gestresste Städter, der Lupa-See, 100 Hektar groß, gerade 26 Grad warm, ideal für eine Abkühlung in diesen brütend heißen Tagen. Der einstige Baggersee ist eigentlich in drei Bereiche unterteilt, angepasst an die Bedürfnisse der gestressten Städter. Ein Abschnitt für Wassersport, Wakeboarding, Tauchen, Stand-Up-Paddling, Fly- oder Hoverboarding. Einer, ganz profan, für Kanu fahren oder Rudern. Und dann gibt es noch den so genannten Premium-Strand, Kapazität 7500 Besucher, weißer Sand, weiße Liegen - samt Kinderstrand, mit Abenteuerspielplatz, Schaukeln und Trampolin.

Derzeit gibt es aber noch einen vierten Bereich: den für die Freiwasser-Wettbewerbe bei den Schwimm-Weltmeisterschaften, einer Disziplin, in der die Deutschen fast schon traditionell gut sind. Der Würzburger Thomas Lurz ist mit zwölf Titeln, alle errungen im Freiwasser, der erfolgreichste deutsche WM-Schwimmer. Am Sonntagnachmittag hat das Team des Deutschen Schwimm-Verbandes seine goldene Bilanz - Florian Wellbrock hatte bei den Olympischen Spielen in Tokio das 10-Kilometer-Rennen für sich entschieden - erweitert.

In der Mixed-Staffel über sechs Kilometer holten sich Wellbrock, der am Abend zuvor Bronze über 1500 Meter Freistil gewonnen hatte, gemeinsam mit Oliver Klemet, Lea Boy und Leonie Beck die nächste Goldmedaille. Es ist der erste Titel und das fünfte Edelmetall für den DSV bei dieser WM, nach Silber und Bronze für Wellbrock und den zweiten Plätzen für Anna Elendt und Lukas Märtens im Becken.

Dass das Schwimmen im offenen Gewässer eine völlig andere Disziplin ist als jene auf der 50-Meter-Bahn, das sahen in der Freizeitoase auch jene Badegäste, die ansonsten nicht viel mit Spitzensport zu tun haben. Ein knappes Dutzend Boote begleitete die Schwimmerinnen und Schwimmer, die in ihrer Staffel mal Mann gegen Frau, mal anders herum, ihre Runde drehten. Fotografen, Rettungsschwimmer, die Jury, sie alle fuhren nebenher, eine riesige Drohne schwebte zudem über dem See.

Alle mussten in einem ovalen Kurs um mehrere Bojen herum, und dass man dabei leicht die Orientierung verlieren kann ohne Leinen, Bodenkacheln, Hallendecke und all die anderen Hilfsmittel, die es im Becken gibt, wurde gleich vier Nationen zum Verhängnis. Der Grieche Dimitrios Markos, der Südkoreaner Jaehun Park, der Südafrikaner Connor Buck und die Spanierin Maria de Valdes Alvarez wählten den falschen Weg um die letzte Boje herum - und wurden prompt disqualifiziert. Bruch der Regel 6.1, teilte die Fina später mit.

Der Trainer verteilt ein großes Lob an "Freischwimmer" Wellbrock

Und die Deutschen? Leonie Beck erzählte kurz vor der Siegerehrung, sie sei "am Anfang, glaube ich, einen kleinen Umweg geschwommen"; Lea Boy hätte laut eigener Aussage auch beinahe eine fatale Abkürzung genommen, "ich habe dann aber gemerkt, es geht in die falsche Richtung und habe den Weg alleine gefunden". Wellbrock übernahm dann als Schlussschwimmer in einer Konstellation, die schwerer war als erhofft. "Die Taktik ist nicht ganz aufgegangen, wir hatten gehofft, dass die Leonie mit einem kleinen Vorsprung übergeben kann", sagte Bundestrainer Bernd Berkhahn und lobte Wellbrock: "Er hat das taktisch meisterhaft gemacht heute, mit einem saustarken Endspurt. Er hat sich freigeschwommen."

Auf seiner Paradestrecke über 1500 Meter Freistil hatte der 24-jährige Titelverteidiger von 2019 am Abend zuvor im Becken der Duna-Aréna lediglich Bronze gewonnen, hinter dem US-Amerikaner Bobby Finke und Gregorio Paltrinieri (Italien), der in 14:32,80 Minuten einen neuen Europarekord aufstellte. "Der Bobby hat mich auf der letzten Bahn nur so aufgefressen, der macht eine Welle, das ist unglaublich", sagte Wellbrock, "deswegen gehe ich da sehr zufrieden mit der Bronzemedaille raus." So richtig zu freuen schien er sich allerdings nicht. Berkhahn konterkarierte Wellbrocks Aussage später auch: "Er kam halt raus aus dem Wasser und sagte: ,Ich habe mich nicht ausbelastet und könnte jetzt noch weiterschwimmen.' Er hat sich zu sehr auf Bobby konzentriert, sie haben Gregorio schwimmen lassen, das war ein großer Fehler."

Fehler machte Wellbrock dann nicht mehr am Sonntag im Lupa-See, in dem, wie die Drohnenbilder zeigten, eine hübsche Algenpracht herumschwamm. "Es war schon sehr viel Grünzeug unterwegs", sagte Wellbrock noch, "aber es gibt Schlimmeres als ein paar Pflanzen im Wasser. Wir haben einen super Job gemacht, wollen den positiven Vibe mitnehmen und noch ein paar Medaillen mitnehmen." Schon am Montag können die Deutschen das nächste Edelmetall gewinnen und Algen und Bojen umkurven, ohne falsch abzubiegen: über die Fünf-Kilometer-Distanz im Lupa-See.

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