Neuerung im Weitsprung:Mihambo versucht es ohne Brett

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Laborversuch unter Wettkampfbedingungen: Malaika Mihambo hebt in Düsseldorf von der 40 Zentimeter breiten Take-off-Zone ab. (Foto: Martin Meissner/AP)

In Düsseldorf wird erstmals eine größere Absprungzone im Weitsprung getestet. Es geht um nichts weniger als die Frage: Ändert das die gesamte Sportart?

Von Saskia Aleythe

Die Orientierung fiel Malaika Mihambo noch schwer. Der Sprung fühlte sich gut an, also jubelte sie, mit zwei nach oben geklappten Fäusten und einem Strahlen im Gesicht. Was im nächsten Moment einer kleinen Ernüchterung wich: Ihr zweiter Sprung beim Istaf Indoor in Düsseldorf war respektable 6,61 Meter weit, mehr aber auch nicht. Und diese Art der Verwirrung erlebten an diesem Sonntag auch einige ihrer Konkurrentinnen, so ist das vermutlich bei einer Weltpremiere: Zum ersten Mal wurde hier das Springen von einer sogenannten Take-Off-Zone getestet, die 40 Zentimeter breit ist, statt vom 20 Zentimeter breiten Balken.

Verantwortlich für die Desorientierung war die neu getestete Art der Messung: Statt wie traditionell von einem fixen Punkt aus zu messen, galt die Zehenspitze des individuellen Absprungpunkts als Orientierung. Zwei Landungen auf dieselbe Stelle im Sand konnten also im Ergebnis um bis zu 40 Zentimeter variieren. „Ich fand es interessant“, sagte Mihambo am Mikrofon der ARD. Die Olympia-Zweite von Paris fand die Idee „ganz schön“, nun mehr Platz zum Abspringen zu haben, „auf das Brett mit der normalen Regelung passt ja kein ganzer Fuß drauf“.

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Auf Düsseldorf schaute an diesem Tag die halbe Leichtathletikwelt, ging es bei diesem Test doch auch um die Frage: Ist Weitsprung mit weniger Präzision noch derselbe Sport?

Das Absprungbrett gehört nach Meinung von Weltverbandspräsident Coe nicht zu den heiligen Elementen

Diskutiert wird eine mögliche Anpassung der Disziplin schon länger, Statistiken aus den vergangenen Jahren hatten den internationalen Leichtathletik-Verband World Athletics ins Grübeln gebracht: Ein Drittel der Weitsprung-Versuche bei der Weltmeisterschaft 2023 in Budapest war ungültig, die Zuschauer verbrachten also viel Zeit bei der Beobachtung von übertretenden Athleten. Um sich im Zeitalter von Tiktok und Co. noch behaupten zu können, muss man sich etwas einfallen lassen. „Unser Sport ist 150 Jahre alt und es gibt heilige Elemente, die wir schützen wollen, aber es gibt andere, die die Öffentlichkeit kaltlassen“, sagte World-Athletics-Präsident Sebastian Coe im vergangenen Jahr. Das Absprungbrett gehört seiner Einschätzung nach nicht zu den heiligen Elementen. Deswegen die Idee: Wird der Weitsprung spannender, wenn mehr gültige Versuche zu sehen sind? Und wenn man am Brett auch keine Weite mehr verschenken kann, sondern einfach vom Fuß des Athleten gemessen wird?

Diese Ideen fanden so schnell Gegenwind, wie sie ausgesprochen waren. Der größte Kritiker unter den Athleten ist der Grieche Miltiadis Tentoglou, mehrmaliger Weltmeister und Olympiasieger von Paris, der schon mit dem Rücktritt als Weitspringer drohte, sollte die neue Zone zur Regel werden. Weitsprung sei eine der schwierigsten Disziplinen gerade wegen der nötigen Präzision am Absprungbrett, sagte Tentoglou – „der Sprung selbst ist einfach“. Der neunmalige Olympiasieger Carl Lewis sorgte sich sogleich um den Vergleich mit historischen Marken und merkte polemisch an, im Basketball würden die Körbe auch nicht vergrößert, damit mehr Treffer erzielt werden. Allerdings geht es beim Basketball auch über einen längeren Zeitraum rasanter zu als beim Weitsprung, wo nach den Versuchen oft 30 Sekunden und mehr bis zur Weitenmessung vergehen, ohne dass sich an der Anlage etwas täte.

Malaika Mihambo gehört bisher zur Minderheit an Athletinnen und Athleten, die sich den Versuchen der Neuerung gegenüber offen zeigten. Ihr Motto: einfach mal ausprobieren. „Optimale Sprünge werden mit der Take-Off-Zone auf jeden Fall wahrscheinlicher“, sagte sie. Wobei die Definition eines „perfekten Sprungs“ nun vielleicht neu gefasst werden muss. Gerade Mihambo hat in ihrer Karriere das Spiel mit der Präzision immer wieder zur Perfektion getrieben: Immer dann, wenn der Druck am größten war, überzeugte sie durch ihre mentale Stärke. Und das bedeutete auch, den schmalen Balken im entscheidenden Moment zu treffen. Was bei einer Anlaufgeschwindigkeit von mehr als 30 Kilometern pro Stunde allerdings auch bei 40 Zentimetern Absprungfläche kein Selbstläufer ist.

Das konnte man am Sonntag beobachten, auch mit der Take-Off-Zone in Düsseldorf kam es zu fünf ungültigen Versuchen bei 41 Sprüngen – eine geringere Quote. Für die offizielle Weltrangliste wurden zusätzlich auch die Weiten nach dem üblichen Regelwerk gemessen, mit interessanten Unterschieden. Mihambo gewann den Wettbewerb mit 6,87 Metern, nach klassischer Weitenmessung wäre sie allerdings nur Dritte mit 6,39 Metern geworden. Außerdem wären vier Versuche ungültig gewesen, während alle ihre Sprünge in der Take-Off-Zone lagen.

Ob sich der Laborversuch etabliert, wird sich zeigen – in Düsseldorf machte die Hightech-Messung noch an manchen Stellen Probleme. „Man hat gemerkt, dass es da noch die einen oder anderen Dinge gibt, die man vielleicht noch überarbeiten muss“, sagte Malaika Mihambo. Aber daran arbeiten, das weiß jeder Sportler, ist immer besser als Stillstand.

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