Weitsprung:Erst Trance, dann Tanz

European Championships - Leichtathletik

Malaika Mihambo hat es sich nicht leicht gemacht, gewinnt aber beim dritten Versuch Gold im Weitsprung.

(Foto: Hendrik Schmidt/dpa)

Mit ihrer Goldmedaille festigt Malaika Mihambo ihren Ruf, eine Weitspringerin für große Anlässe und große Herausforderungen zu sein.

Von Saskia Aleythe, Berlin

Die Medaille, die dann um ihren Hals hing, wäre fast ein Traum geblieben. Die Weitspringerin Malaika Mihambo hätte beinahe einen ruhigeren Abend erlebt, hätte nach drei Sprüngen ihre Tasche zusammengepackt, wäre nicht mit der Fahne durchs Olympiastadion und in die Arme von Maskottchen Berlino gehüpft, hätte keine Audienz im ZDF-Sportstudio erhalten und später noch Ehrungen entgegengenommen mit Magnumflaschen Champagner. Fast wäre sie nur ein Name in der Ergebnisliste geblieben: Malaika Mihambo, Platz zehn. Ausgeschieden im EM-Finale nach drei Versuchen, weil sie mit 6,36 Metern so weit unter ihren Möglichkeiten blieb, dass sie den Wettbewerb nicht als eine der acht Besten zu Ende führen durfte. Ganz gut also, dass Mihambo dann im entscheidenden Moment dachte: "Der dritte Sprung soll nicht der letzte sein."

Tatsächlich hatte die 24-Jährige am Samstagabend in Berlin quasi zwei letzte Versuche: Den ersten, als sie kurz vorm Ausscheiden 6,75 Meter weit sprang und eben nicht mehr auf Rang zehn, sondern auf Platz eins stand. Und den sechsten und allerletzten, als sie schon Europameisterin war. Was wiederum ein Erfolg ist, über den sich mehrere Anekdoten erzählen lassen: Über die Spannung des Wettkampfs, der auch nach dem dritten Versuch noch mal brisant wurde. Über das Wesen von Malaika Mihambo, die nach ihrem Titel erst mal "in Trance" war. Und über die Sportlerin Malika Mihambo, die im Winter vom Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) ganz schön hängen gelassen wurde.

"Heute konnte ich erst gut springen, als ich Konter geben musste", sagte Mihambo nach dem Wettkampf, das klang erstaunlich ehrlich und nach dem Phänomen der Aufschieberitis, das auch schon Menschen außerhalb von EM-Finals im Weitsprung erfasst haben soll. Auf jeden Fall war das eine recht bescheidene Schilderung der eigenen Stärke: Sie konnte schließlich kontern, als der Druck am größten war. Der Anlauf bei den ersten beiden Sprüngen sei sehr gut gewesen, berichtete ihr Trainer Ralf Weber, "aber sie hat auf den letzen Schritten etwas den Gang rausgenommen, Angst gehabt, überzutreten." Und so hob sie im zweiten Versuch weit vor dem Sprungbrett ab, was wichtige Zentimeter kostet. "Dann reicht es auch mal schnell nicht", sagt Weber, "und dann ist die Sache rum."

Also dann, dritter Versuch: 6,75 Meter sprang Mihambo da, fast 40 Zentimeter weiter als zuvor, auch hier hatte sie das Brett noch nicht gut erwischt. Danach sei sie sehr angespannt gewesen, "weil ich nicht erwartet habe, dass 6,75 Meter reichen, um zu gewinnen". Hätte es auch fast nicht: Maryna Bech aus der Ukraine sprang im letzten Versuch noch 6,73 Meter, Großbritanniens Shara Proctor, die WM-Zweite von 2015, kam auf 6,70 Meter. Sie alle hätten wohl noch erheblich weiter springen können, wäre der Wind im Olympiastadion nicht gewesen. Favoritin Ivana Spanovic aus Serbien war wegen Achillessehnenproblemen nicht angetreten. Mihambos Bestweite liegt bei 6,99, der wollte sie zumindest im allerletzten Versuch des Abends noch mal nahe kommen, als sie den Titel schon sicher hatte. Das klappte dann nicht, dafür konnte Mihambo den Sieg so langsam auf sich wirken lassen. "Realisiert habe ich es noch nicht", sagte sie, "bei der Siegerehrung werden sicherlich die Tränchen kullern. Dann freue ich mich auf die Abschlussfeier, da kann ich tanzen." Von Trance zum Tanz sozusagen, das könnte auch die Schlagzeile über ihrem vergangenen Jahr sein.

Im Winter hatte der DLV Mihambo vom Olympia-Kader (ehemals A-Kader) in die Perspektivauswahl herabgestuft, das ist die zweite Reihe, auch in finanzieller Hinsicht. Mihambo hatte sich Ende Januar 2017 verletzt, sie war auf einer Treppenstufe abgerutscht und zog sich einen Gelenkerguss und ein Sesambeinödem im Fuß zu. Welche Behandlung anschlägt, ob operiert werden soll oder nicht, war lange unklar. "Da musste ich sehr zittern, seitdem hat es auch meine sportliche Karriere beeinflusst, weil man jetzt seine Gesundheit viel mehr zu schätzen weiß", sagte Mihambo in Berlin. 2016, bei den Olympischen Spielen, war sie mit 6,95 Metern als beste Deutsche auf Rang vier gelandet, bei der EM zuvor hatte sie Bronze gewonnen - nur 2017, nach ihrer Verletzung, lief es schlechter, klar. Ihr Trainer Ralf Weber versucht, sich diplomatisch zu geben und sagt dann: "Wenn Athleten nach drei Jahren mit internationalen Top-Ten-Platzierungen nach einem Jahr Verletzung die Förderung gestrichen wird, muss ich schon am System zweifeln. Das ist nicht die richtige Botschaft an die Athleten." Und eine enge Zusammenarbeit mit den Bundestrainern, wie etwa im Speerwurf, gebe es eher nicht: "Die ist auf jeden Fall noch ausbaufähig, um es mal positiv zu formulieren."

Mihambo und Weber sind ihren Weg in die Weltspitze abseits der etablierten Pfade gegangen. Seit ihrem zehnten Lebensjahr wird sie von Weber trainiert, der seinen Job ehrenamtlich macht, im richtigen Leben ist er Lehrer. Beim TSV Oftersheim, ihrem Verein, gibt es nur eine andere Athletin, die sie als Trainingspartnerin bezeichnen könnte: Eine 400-Meter-Läuferin. Aber Mihambo fühlt sich wohl dort, "ich habe alles, was ich brauche. Meine Familie, meine Freunde, der Trainer ist super. Was will man mehr?" Nach ihrem Bachelor-Studium in Politikwissenschaften arbeitet sie nun ehrenamtlich in einer sozialen Organisation in Mannheim. In ihren Projekten geht es dann schon mal um "Wertevermittlung durch Sport". Darüber kann sie Spannendes berichten, nicht erst seit ihrem Finale bei der EM.

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