Weitspringerin Mihambo:Besser abheben

7,16 Meter: Malaika Mihambo steigt in Berlin endgültig zur WM-Favoritin auf. Vorher musste sie aber lernen, ihr neues Anlauftempo auch umzusetzen.

Von Joachim Mölter, Berlin

Das Beste heben sich die Leichtathleten gern bis zum Schluss auf, und wenn sie Zeitpläne für Veranstaltungen erstellen, legen sie deshalb die vermeintlich attraktivsten Entscheidungen ans Ende. Also ballten sich bei den deutschen Meisterschaften im Berliner Olympiastadion am späten Sonntagnachmittag vier Wettbewerbe, in denen der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) vier Europameister von 2018 präsentieren konnte. Das Motto der Titelkämpfe lautete ja: "Die EM-Helden sind zurück." Aber nicht jeder dieser EM-Helden begeisterte das Publikum so, wie er es vor einem Jahr an gleicher Stelle geschafft hatte.

Der Speerwerfer Thomas Röhler (Jena) musste sich diesmal mit 82,70 Meter und Platz drei begnügen hinter dem Titelverteidiger Andreas Hofmann (Mannheim/87,07) und dem Mainzer Julian Weber (86,60). Hochspringer Mateusz Przybylko (Leverkusen) gewann zwar, aber bloß mit bescheidenen 2,22 Metern. Gesa Felicitas Krause (Trier) sorgte mit ihrem Sololauf über 3000 Meter Hindernis in sehr ordentlichen 9:28,45 Minuten zumindest für Stimmung auf den mit 34 350 Zuschauern besetzten Tribünen. Aber es kam ja noch die Weitspringerin Malaika Mihambo von der LG Kurpfalz - und die hatte sich das Beste bis zum Schluss aufgehoben.

Im sechsten und letzten Versuch flog sie 7,16 Meter weit, das war Weltjahresbestleistung und neben dem deutschen 5000-Meter-Rekord der Leverkusenerin Konstanze Klosterhalfen (14:26,76 Minuten) der Höhepunkt der Titelkämpfe. Die 25 Jahre alte Mihambo landete damit endgültig in der Favoritenposition für die Weltmeisterschaften in Doha (27. September bis 6. Oktober). Sie hat zum vierten Mal in diesem Sommer die Sieben-Meter-Marke übertroffen, erstmals war ihr das Anfang Juni in Rom gelungen (7,07), danach noch in Dessau (7,05) und London (7,02). Außer Mihambo sind nur noch die Afrikameisterin Ese Brume aus Nigeria (7,05) sowie die Weltmeisterin und Olympiasiegerin Brittney Reese aus den USA (7,00) über die begehrte Marke gekommen.

Die Favoritenrolle nimmt Mihambo gerne an, für sie ist das kein Druck, sondern "nur was Positives", wie sie sagt: "Das fühlt sich sehr gut an. Ich nehme es als Bestärkung - das kommt auf das Selbstbewusstsein noch drauf, das ich schon habe." Die Sache mit dem Selbstbewusstsein darf man bei Mihambo nicht als Überheblichkeit auslegen - die Sportlerin ist eine der Stillen im Land, sie strahlt sehr viel Ruhe aus. Aber sie weiß, was sie kann, und sie hat es oft genug nachgewiesen, mit konstanten Leistungen über die Jahre hinweg, mit regelmäßigen Erfolgen als Europameisterin bei den Junioren (2013), bei der U23 (2015) und bei den Frauen (2018) sowie als Olympiavierte in Rio 2016. Dass sie in kritischen Momenten nervenstark ist, hat sie am Sonntag erneut bestätigt.

Der Wettkampf war zunächst exakt so verlaufen wie der bei der EM vor einem Jahr: Sie hatte im Vorkampf erst mal zwei ungültige Versuche und schaffte es im letzten Versuch noch ins Finale, wo sie drei weitere Chancen bekam. Vor einem Jahr hatte sie in jenem dritten Versuch schon ihre spätere Siegesweite von 6,75 Meter erzielt, nun waren es 6,76 gewesen. Das fand sie okay, sagte sie später: "Aber ich dachte, da kann noch ein bisschen mehr kommen." Das kam ja dann auch noch mit besagten 7,16 Meter bei nur ganz leichter Windunterstützung (0,4 Meter pro Sekunde).

"Ich bin einfach zu schnell angelaufen", erklärte Mihambo ihre ersten beiden Fehlversuche: "Und dann war es schwierig, wieder in den Wettkampf reinzukommen, nachdem man sich gesagt hat: Jetzt mach' mal langsam." Das ist ja ein Luxusproblem, das die Athletin in diesem Jahr hat: Sie ist noch einmal schneller geworden, was eine Voraussetzung für größere Weiten ist; aber sie muss die höhere Geschwindigkeit auch erst mal umsetzen beim Absprung. "Das ist eine Kunst", sagte sie. Und das "Umschalten im Wettkampf vom Sich-Ausbremsen zum Wieder-Vollgas-Geben ist auch nicht so einfach", fügte sie hinzu.

Deutsche Bestenliste im Weitsprung

Weite Name Klub Jahr

7,48 m Heike Drechsler SC Motor Jena 1988

7,21 m Helga Radtke Empor Rostock 1984

7,16 m Malaika Mihambo LG Kurpfalz 2019

7,16 m Sosthene Moguenara LAZ Saar 2016

7,12 m Sabine Paetz-John DHfK Leipzig 1984

7,04 m Brigitte Wujak Dynamo Berlin 1980

7,00 m Birgit Großhennig SC Magdeburg 1984

7,00 m Susen Tiedtke SCC Berlin 1991

6,99 m Sigrun Siegl Turbine Erfurt 1976

6,96 m Christine Schima Chemie Halle 1984

Zu dem 7,16-Meter-Sprung konnte sie nachher recht wenig erzählen, "ich war im Tunnel und habe überhaupt nichts mitbekommen", erklärte sie: "Ich muss den Sprung erst mal mit meinem Trainer in der Videoanalyse anschauen. Aber gefühlt gibt es noch Dinge, die ich hätte verbessern können."

Idriss Gonschinska, der Generaldirektor Sport des DLV, fand es auch so schon eine "unfassbare Leistung", was Mihambo am Wochenende geleistet hatte. Am Samstag war sie bereits im 100-Meter-Finale gegen die Sprint-Spezialistinnen angetreten und hatte als Dritte in 11,21 Sekunden ihre Bestzeit egalisiert sowie ihre WM-Tauglichkeit auch in dieser Disziplin nachgewiesen. Mihambo liebäugelt auch mit einem Doppelstart in Katars Hauptstadt, der Zeitplan ließe es zu. "Und neue Herausforderungen machen auch Spaß", sagt sie.

Ihre Konzentration gilt freilich dem Weitsprung, versicherte sie am Sonntag. "Ich weiß, dass ich da gute Chancen habe", sagte sie, und dass sie sich auf den Wettkampf freue. Auch in Doha kommt der Weitsprung der Frauen übrigens am Schluss, am 6. Oktober, dem letzten Tag der Weltmeisterschaft.

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